Mäßig unterhaltsame Tischgesellschaft

Zur Premiere von „Die Ritter der Tafelrunde“ am 5. März 2016 an den Landesbühnen Sachsen

Eine Schlange vor der Abendkasse bis fast nach Draußen; Händeschütteln und Smalltalk von Staatsministerin zu Landrat zu Oberbürgermeister; Theaterschaffende vom Hause selbst aber auch von weiter weg als Gäste unter dem gewohnten Stammpublikum: Man konnte den Eindruck gewinnen, als sei die Premiere von Christoph Heins „Die Ritter der Tafelrunde“ nicht nur lange erwartet worden, sondern endlich wieder einmal ein gesellschaftliches Ereignis, das dem Radebeuler Haus als Ort substantieller Theaterdiskurse gut zu Gesicht stünde. Und tatsächlich waren ja die Vorzeichen günstig, denn Heins Werk genießt insbesondere in unserer Region einen legendären Ruf als DAS Theaterstück des Wendejahres 1989, als es nach seiner Uraufführung im April am Staatsschauspiel Dresden zur Chiffre für ein dem Untergang geweihtes Altherrenregime wurde. Hein selbst wehrte sich zwar gegen diese Vereinnahmung, aber seither gilt es doch als ausgemachte Sache, dass eine Neuinszenierung dieses Stücks immer auch die Temperatur einer Gesellschaft in einer krisenhaften Zeit messen müsste. Insofern waren die Zuschauer also gespannt auf die von Manuel Schöbel besorgte Inszenierung und neugierig, wie hoch das Fieber wohl steigen würde. Nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden stellte man ernüchtert fest: An welcher Stelle das Thermometer auch angelegt wurde, auf die erhoffte (Betriebs-)Temperatur kam die Aufführung nicht – und ließ das Publikum deshalb weitgehend kalt.

»Die Ritter der Tafelrunde« mit Grian Duesberg, Cornelia Kaupert, Sandra Maria Huimann, Vladimir Garcia del Risco, Thomas Förster und Johannes Krobbach Foto: H. König

»Die Ritter der Tafelrunde« mit Grian Duesberg, Cornelia Kaupert, Sandra Maria Huimann, Vladimir Garcia del Risco, Thomas Förster und Johannes Krobbach
Foto: H. König


Die Handlung setzt am Morgen nach Jeschutes (Cornelia Kaupert) 50. Geburtstag ein und erstreckt sich über zwei Jahre, wobei der Handlungsort stets der Hof von König Artus (gespielt von Thomas Förster, der seine Rolle mit altersmilder Gelassenheit interpretiert) ist. In dieser Zeit zerfällt der von Artus einst gegründete stolze Bund seiner Ritter zusehends und löst sich schließlich auf, bevor ganz am Ende der junge Mordred mit der altersgleichen Kunneware (Julia Rani) die Gralshoffnung der Elterngeneration reuelos auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt und mit der Botschaft „Alle Menschen sind Schwestern und Brüder“ einer luftballonbunten Zukunft entgegensingt und -tanzt. Es bleibt das Geheimnis des Regieteams, warum diese Rolle auf drei Akteure – Johannes Krobbach, Jonas Münchgesang, Jörg Schittkowski – aufgeteilt wird, denn sinnfällige Effekte ergeben sich daraus nicht, eher stiftet es Verwirrung. Als Ironisierung funktioniert dieses Schlussbild allerdings auch nicht (mehr), werden doch zuvor die Krisen der Gegenwart von Klimawandel bis Migration so reichlich und mit pädagogischem Gestus eingeflochten (auch dort, wo es gar nicht passt, etwa im Brief des freiwillig aus dem Bund der Ritter ausgeschiedenen Gawain, der seinen Gral nun doch lieber im „Kloster der Hundert Frauen“ suchen will), dass der in dieser Form angekündigte Aufbruch in eine bessere Welt je nach Blickwinkel liebenswert naiv oder gar peinlich flach anmutet.

Zuvor gibt sich die Regie Mühe, die Zuschauer Anteil an den Leiden der alten Ritter nehmen zu lassen, die auf je unterschiedliche Weise mit der eingetretenen Situation eines Staates im Umbruch umgehen. Während Keie kraftvoll auf die Verteidigung der alten Werte und die Verantwortung der Gralsritter für das Wohl der Gesellschaft pocht (Tom Hantschel überzeugt in dieser Rolle durch kompromisslose Authentizität) und Orilus verklärt der guten alten Zeit mit Brot und Spielen für das Volk nachhängt (Olaf Hörbe kann sich mit der undankbaren Aufgabe, einen Ehe- und Alkoholprobleme mit albernen Waldläufchen kompensierenden Ritter zu spielen, offenkundig nicht so richtig anfreunden), hat der einstige Vorzeigeritter Parzival bereits die Lehren aus seiner erfolglosen Gralssuche gezogen und sich als Realpolitiker neu erfunden, der sich in den Dienst der progressiven Jugend stellen und den Wandel als Journalist ideologisch unterfüttern will (Grian Duesbergs Parzival nimmt man ab, dass er zwischen Loyalität zur alten Ordnung und Hinwendung zum noch unbestimmten Neuen schwankt). Die erste Frau am Hofe – Ginevra (Sandra Maria Huimann) ist die Ehefrau von Artus – ist mit ihren Gedanken weniger beim Ehemann als beim lange Zeit abwesenden Lancelot, der ausgangs des zweiten Aktes (d.h. vor der Pause) nach fünfjähriger Abwesenheit wie der lang ersehnte Heilsbringer an der Tür des Schlosses steht – und zunächst lange Zeit schweigt, weil er eben nichts von einem Gral zu sagen weiß. Es mag zwar der Kooperation mit dem kubanischen Theater in Camagüey geschuldet sein, dass Lancelot durch Vladimir Garcia del Risco verkörpert wird, der seinen Part auf Spanisch spricht (eine deutsche Übersetzung läuft über der Bühne gut sichtbar mit). Und sicherlich spielte auch das Bestreben eine Rolle, Gralsverheißung und -ritterlichkeit in Zeiten angstvoller Kulturbewahrung nicht eurozentrisch zu verengen, sondern ins Globale zu weiten. Aber wäre dann nicht angesichts der realen Situation in Europa ein Arabisch sprechender Lancelot passender gewesen?

Über die ganze Aufführungsdauer ungeklärt bleibt die Funktionalität der Bühne (durch Anja Furthmann besorgt), die durch eine transparente Wand mittig in Vorder- und Hintergrund geteilt ist. Weder wird deutlich, dass die ritterliche Tafel sich über beide Flächen verteilt, noch ist nachvollziehbar, warum es überhaupt zwei Hälften geben muss. Die Kostüme (Bogna Grazyna Jaroslawski) folgen keiner einheitlichen Ästhetik. Jene der Männer sind einem traditionellen Stil verpflichtet, während die Frauen deutlich moderner gezeichnet sind. Ob das ein Fingerzeig daraufhin sein soll, wem die Zukunft gehört, bleibt jedoch offen.

Im Programmheft formuliert Intendant und Regisseur Manuel Schöbel seine Überzeugung, dass Heins Stück „auch heute Mut machen und Impulse geben kann“. Damit mag er grundsätzlich Recht haben, seine eigene Arbeit aber bleibt hinter diesem Anspruch zurück. Mut machen können in dieser Ritterdämmerung weder die müden, um ihre Ideale und Hoffnungen ärmer gewordenen Haudegen noch die jungen Wilden, die vom Gewesenen nichts mehr wissen wollen, aber auch nicht wirklich Führungsstärke entwickeln und Verantwortung übernehmen wollen. Und so bleibt wohl nur die Einsicht von Artus übrig, der in einem stillen Moment Bob Dylans Klassiker „The times they are a-changing“ singt. Vielleicht ist das ja auch nur die Essenz des Stückes – und mehr nicht. Allerdings bewahrt mich die Anerkennung dieser (ja hinlänglich bekannten) Tatsache nicht vor dem unbehaglichen Gefühl, dass diese laue Tafelrunde weder in der Lage ist, Glücksversprechen der Vergangenheit wenigstens als schöne Illusion für die Gegenwart zu bewahren, noch diese in ein lebenswertes Morgen zu übersetzen. Wo bleibt da der (so nötige) Impuls?

Bertram Kazmirowski

Nächste Aufführungen: 3. April, 19 Uhr, 5. Juni 15 Uhr, 11. Juni 19.30 Uhr, jeweils Radebeul

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