Radebeul und die Familie von Arnim

Im ersten Bauabschnitt des Waldstraßen-Viertels hatte man um 2005 einer kurzen, neuen Straße den Namen Bettina-von-Arnim-Straße gegeben – Bettina von Arnim (1785-1859) war eine Schriftstellerin in der Zeit der deutschen Romantik, Schwester des Clemens Brentano und Ehefrau von Joachim von Arnim, zwei weiteren Romantikern. Im Anschluss an die etwa seit 1930 bestehende Bebauung in der Goethe-, Lessing- und Kantstraße erhielten nun die neuen Straßen ebenfalls Dichternamen, darunter Bettina von Arnim als vorerst einzige Frau. In Radebeuls Osten spricht man logischerweise vom Dichter-Viertel, das hat Sinn!

»Haus Arnim«, Waldstraße 20f Foto: D. Lohse

»Haus Arnim«, Waldstraße 20f
Foto: D. Lohse


Alteingesessene Radebeuler, zu denen auch ich mich nun zählen kann, haben den Namen dieser in Deutschland weit verbreiteten Adelsfamilie schon einmal gehört oder in der Waldstraße gelesen, nämlich am „Haus Arnim“, Waldstraße 20 (heute kurioserweise 20f!). Da läge doch der Gedanke nahe, o.g. Bettina hätte in dem keine 150m von besagter Straße weit entfernten Anwesen gelebt – es ist schließlich der gleiche Familienname. Aber Vorsicht, das wäre zu „kurz gesprungen“. Das passt schon mal zeitlich nicht zusammen: Bettina von Arnim (eigentlich Anna Elisabeth, genannt Bettina, im engeren Kreis auch Bettine) starb 1859 und ihr sehr weitläufiger Verwandter Henning von Arnim ließ sich 1860/61 von Moritz Ziller in Oberlößnitz einen Altersruhesitz bauen. Das großzügige Anwesen, ursprünglich ein von drei (heute nur noch zwei) Gebäuden gebildeter Hof gehört, obwohl über dem Eingang auf der Südseite noch deren altes Wappen zu erkennen ist, auch schon lange nicht mehr der Familie von Arnim.
Foto: D. Lohse

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Die Stationen der Bettina von Arnim waren Frankfurt, wo sie am 4. April 1785 als Bettina Brentano geboren wurde und später in einer Klosterschule aufwuchs, ab 1811 nach Heirat mit Ludwig Joachim, gen. Achim, von Arnim wurden Schloss und Gut Wiepersdorf (südöstlich von Jüterbog) ihre Heimat. Von Wiepersdorf aus reiste sie öfter nach Berlin, wo sie am 20. Januar 1859 starb. Wir dürfen sie uns als eine lebenslustige, vielseitig interessierte Frau vorstellen, die es als junge Schriftstellerin in der damaligen Männerwelt der schreibenden Zunft nicht leicht hatte, sich zu behaupten. Eine Annäherung ihrerseits an Goethe, man war ja in der gleichen Stadt geboren, und ein Gedankenaustausch zu aktuellen Themen verlief wohl eher einseitig, so dass ihr Buch „Goethes Briefwechsel mit einem Kinde“ zumeist auf dichterischer Freiheit beruht. Andere von ihr geschriebene Bücher sind u.a. „Die Gunderode“ und „Dies Buch gehört dem Könige“, gemeint ist hier der Preußenkönig. Interessant ist auch, wie Bettina von Arnim in verschiedenen Brockhausausgaben charakterisiert wird: Naturliebe, schwärmerische Neigung und schrankenlose Einbildung (1894); adliger Blaustrumpf, ganz närrisches Wesen und vieles erdichtet (1929); eigenständige Vertreterin der Romantik, Beschäftigung mit sozialen Fragen und frühe Frauenrechtlerin (2006). Was drückt das nun aus? Zum einen, man kann sie nicht leicht einem „Schubkasten“ zuordnen und zum anderen: Kaiserreich, Weimarer Republik und BRD hatten die Frau jeweils aus anderem Blickwinkel betrachtet, die gesellschaftliche Rolle der Frau hat eine Wandlung erfahren. Nicht belegt ist aber, ob sie im Kreis der Dresdner Romantik (z.B. dem Scharfenberger Kreis) eingebunden war. Ausschließen können wir aber, dass sie in Radebeul, bzw. einer der Ursprungsgemeinden, jemals gewesen ist. Ungeachtet dessen, darf man hier natürlich eine Straße nach ihr benennen.
Foto: D. Lohse

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Was nun muss man über Friedrich Henning von Arnim, den Erbauer der Waldstraße 20, wissen? Zumindest so viel, dass er am 25. Juni 1804 in Merseburg geboren und am 21. Januar 1885 in Dresden gestorben ist. Er besaß in Dresden ein Haus (genaue Lage unbekannt) und seit 1861 ein neu gebautes Landhaus in Oberlößnitz, wo er und seine Familie sich meist im Sommer aufhielten. Das Landhaus entsprach mit einer stilistischen Anlehnung an Schweizer Häuser (Drempel, flachere Dachneigung, weiter Dachüberstand) dem damaligen Zeitgeschmack. Zusammen mit seiner Ehefrau Franziska, geb. von Böhlau, hatte er drei Kinder – Carl Christoph (1841-1876), Marie Louise (1844-1925) und Caroline Johanna, gen. Netty, (1850-1909). Henning von Arnim besaß Güter in Grossen und Groß-Milkau bei Mittweida, sowie in Oberau bei Meißen und hatte Anteile an einem Kohlebergwerk in Planitz. Als Rittergutsbesitzer und Industrieller dürfte er wohl nicht unvermögend gewesen sein.
Er war damit aber eher die Ausnahme in der Arnimschen Großfamilie, wo ansonsten Kammerherren, Offiziere, Diplomaten, Künstler, Schriftsteller und Förster nachgewiesen sind. Da seine Frau bereits 1855 starb, bezog er den Landsitz in der Waldstraße im Mai 1861 nur mit seinen Kindern und Personal.

Der in Radebeul wohl bekannte Baumeister Moritz Ziller (geb. 1838) war, nachdem er 1859 bzw. 60 das väterliche Baugeschäft übernommen hatte, für Entwurf und Ausführung der neuen Gebäude auf Flurst. 14/ Oberlößnitz verantwortlich, er unterzeichnete mit Ziller junior. Wir haben beim Arnimschen Gut vielleicht die früheste Arbeit von Moritz Ziller vor uns, denn die Firma Gebr. Ziller zusammen mit seinem Bruder Gustav wurde erst 1867 gegründet. Von der Waldstraße aus gesehen, bildeten die drei Gebäude mit zweigeschossigem Herrenhaus in der Mitte und links und rechts mit zwei nahezu gleichen Wirtschaftsgebäuden mit Ställen, Remise und untergeordneter Wohnfunktion ein Ensemble, in der Mitte des Hofes ein runder Springbrunnen. Das ursprünglich bis an die Sachsenstraße oder höher reichende Grundstück hatte um das Herrenhaus einen Park, von dem sich noch ein paar alte Bäume erhalten haben (1 Eiche, 2 Platanen, 1 Kiefer), nach Norden anschließend ehemals Flächen für Gartenbau und Wein – diese im 20. und 21. Jh. jedoch parzelliert und mit mehreren Einfamilienhäusern bebaut. Etwa seit 1980 fehlt das östliche Wirtschaftsgebäude. Hier stehen seit dem Garagen und die ehemals symmetrische Wirkung des Ensembles, man kann hier durchaus auch von städtebaulicher Raumwirkung sprechen, ist seit dem gestört. Das Herrenhaus zeigt außer dem weiten Dachüberstand Originalbalkone auf den beiden Giebelseiten, auf der Südseite dezenten plastischen Kopfschmuck und das Wappen derer von Arnim, im Inneren finden wir ein repräsentatives Treppenhaus mit Resten von Ausmalung aus der Bauzeit. Im Zuge der Sanierung war leider die Vervollständigung des Ensembles nicht möglich. Bedingt durch die Sanierung einschließlich Umbau zu einem Mehrfamilienwohnhaus kamen 2003 weitere Balkone und Dachgaupen dazu – ein Kulturdenkmal ist es aber trotzdem noch!

Der Name von Arnim, genauer gesagt Johanna Dorothea von Arnim (Hauptmannswitwe), taucht um 1925 in Radebeul als Besitzerin des Hauses Nizzastraße 53 (wo heute das große Hotel steht) nochmals auf. Ob sie in einer direkten familiären Beziehung zu Henning von Arnim stand, kann allenfalls vermutet werden, Nachweise fehlen aber. Im Vorfeld zu diesen Recherchen las ich das 1992 erschienene Buch „Der grüne Baum des Lebens“ von Clara von Arnim, erschienen bei Knaur, die in direkter Linie zu Bettina und Achim von Arnim steht. Darin die zum Teil tragische Lebensgeschichte der Familie im 20. Jh. mit einigen erhellenden Rückblicken ins frühe 19. Jh., durchaus empfehlenswert.

Für freundliche Auskünfte zur Adelsfamilie von Arnim danke ich Herrn Jasper von Arnim aus Melbeck / Niedersachsen, der den Überblick über den Stammbaum hat, sowie Frau Birgit Albrecht vom Künstlerhaus Schloss Wiepersdorf in Brandenburg.

Dietrich Lohse

Sonstige Quellen: „Stadtlexikon Radebeul“, Autorenkollektiv um Frank Andert, Große Kreisstadt
Radebeul, 2005
„Denkmaltopographie der BRD – Stadt Radebeul“, Dr. Helas, Mitarbeit M. Müller,
M. Nitzsche, Sax-Verlag, 2007

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