Tag des offenen Denkmals 2016

Wie in V+R 09/16 angekündigt, fand der Tag des offenen Denkmals am Sonntag, den 11.09.16 bei strahlendem Sonnenschein statt. Das Interesse war wieder groß – zur Eröffnung durch die stellvertretende Vorsitzende des Vereins für Denkmalpflege und neues Bauen, Frau Katja Leiteritz, 10 Uhr am Rosa-Luxemburg-Platz 2/3 waren 40 bis 50 interessierte Radebeuler und ein paar Gäste von außerhalb Radebeuls anwesend. Auch von den anderen Denkmalstandorten war ein gutes Echo zu hören. Dank an alle, die zum Gelingen des Tages einen Beitrag geleistet hatten, vor allem aber an die privaten Eigentümer von Denkmalen, die sich bereit erklärt hatten, mitzuspielen! Nachfolgend sei mein Redebeitrag am Eröffnungsstandort angefügt:

Geschichte der Wohnhäuser Alfred-Naumann-Str. 13, 15, Heinrich-Zille-Str. 46 und Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 (heute alles Kulturdenkmale)

Gröba-Haus, Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 Foto: D. Lohse

Gröba-Haus, Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 Foto: D. Lohse


1. Die GRÖBA-Elektrizitätswerke – ein kommunaler Zweckverband

Nachdem um 1900 städtische Stromversorger als lukrative Geschäftsidee wie Pilze nach dem warmen Regen auftauchten, waren bald die ländlichen Regionen, in denen elektrische Maschinen für die Landwirtschaft aufkamen, hinsichtlich der Stromversorgung unterversorgt. Um dem Missstand abzuhelfen, wurde 1909 auf einem großen Gutshof in Gröba (Ortsteil von Riesa) der Zweckverband zur Stromversorgung und Verteilung über die ländlichen Gebiete in Mittelsachsen gegründet. In der ersten Phase waren die Städte Riesa, Großenhain, Meißen und Oschatz eingebunden, doch bald kamen Döbeln, Lauchhammer und die Lößnitzgemeinden dazu. Unter Direktor Korff und in der Zeit nach dem 1. Weltkrieg arbeitete der Zweckverband Gröba immer erfolgreicher, so dass er den Firmensitz 1924 / 25 nach Niederlößnitz verlegen konnte, die Verwaltung zog in den Neubau (Entwurf O. Rometsch) Körnerweg 5 ein. In der Folge wurde in Niederlößnitz von 1924 – 26 eine Gröba-Werkssiedlung errichtet, zu der auch die von den Architekten Gebr. Kießling entworfenen Wohnhäuser am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz gehören. Andere Gröba-Häuser (Dr.-Rud.-Friedrichs-Str., Stosch-Sarassani-Str. u. Gröbastr.) entwarf Architekt Dr. Tischer. Ob es zwischen den verschiedenen, für Gröba tätigen Planern Kontakte, ggf. auch gestalterische Zusammenarbeit gab, ist nicht nachweisbar. 1928 / 29 errichteten die Gröba-Werke an der Meißner Straße ein Umspannwerk mit noch zwei Wohnhäusern, die von einem Dresdner Büro betreut wurden.

So war Radebeul ins Zentrum der ländlichen sächsischen Stromversorgung gerückt.

Dabei war die Idee von Werkswohnungen nicht neu, solche gab es früher und größer schon bei Krupp in Essen oder Zeiss in Jena. Man darf darin durchaus ein soziales Engagement des Betriebes sehen, auch wenn die Häuser im Volksmund Meister- oder Beamtenwohnungen genannt wurden. Ich weiß nicht, ob die Gröba-Siedlung nach der Definition einer Siedlung eigentlich Siedlung genannt werden dürfte – sagen wir so, es ist eine Siedlung, die im Stadtteil Niederlößnitz fließend integriert ist, d.h., keine so festen Konturen und einheitliche Hausbilder besitzt, wie man das von einer Siedlung erwarten würde. Wie mir Frau Klemm, die langjährige Bewohnerin eines Gröba-Hauses in der heutigen Dr.-Rud.-Friedrichs-Straße erzählte, war die technische Ausstattung mit Bädern, Zentralheizung und Warmwasserspeichern sehr modern. Hinter den Häusern waren in dem Bereich Nutzgärten und ein zentraler Wäscheplatz zugeordnet. Hier fanden auch gemeinsame Gartenfeste statt, die zur Festigung des Betriebsklimas beitrugen. Änderungen traten dann nach 1945 ein, als Umsiedler und Ausgebombte aus Dresden in der Gröba-Siedlung aufgenommen werden mussten und der kommunale Zweckverband in einen VEB umgewandelt, also verstaatlicht wurde. Damit verlor sich auch der Charakter von Werkswohnungen. Die Wohnhäuser waren für die wirtschaftlich schwere Zeit nach dem 1. Weltkrieg und Inflation sowie vor der Weltwirtschaftskrise auffallend solide und mit gut zugeschnittenen Wohnungen gebaut worden – was man auch daran erkennt, dass auf diesem Standort erst nach ca. 90 Jahren eine vollständige Sanierung erforderlich wurde.

2. GEBR. KIESSLING – die Architekten dieses Bauensembles

Schon der Vater Friedrich Ernst Kießling war Baumeister und Jalousienfabrikant in Kötzschenbroda gewesen. Seine Söhne Architekt Ernst Leopold K. (1873-1951) und Baumeister Edmund Walter K. (1875-1948) traten ab 1903 im Baugeschehen der Lößnitzorte unter der Bezeichnung Gebr. Kießling auf. Das Ende der Tätigkeit dieses Büros und Baugeschäfts lag etwa bei 1940. Als Gebrüder zu firmieren war in der Zeit offenbar üblich – Gebr. Ziller, Gebr. Große, Gebr. Thalheim…

Der Baustil, den der Vater pflegte, entsprach der Gründerzeit und zeigte oft Dachformen mit Schiefer, die an französische Architektur des 19. Jh. erinnerten, z.B. Heinrich-Zille-Str. 39 u. 56. Die Söhne bedienten sich anfangs des Jugendstils (Hermann-Ilgen-Str. 46) und zeigten später Bauten, die dem Heimatstil entsprachen, wie das heute vorgestellte Bauensemble am Rosa-Luxemburg-Platz. Ähnlich wie die Zillers hatten auch sie einige monumentalere Bauten in Radebeul entworfen und errichtet: die Schule Naundorf, später dazu die Turnhalle, die Schule in der Harmoniestraße, die Berufsschule (Straße des Friedens), das ehem. Rathaus von Kötzschenbroda (heute Sparkasse), aber auch die Feierhalle auf dem Friedhof Kötzschenbroda und die ehem. Totenhalle im Krankenhausgelände.

Dem Dreispänner (A.-Naumann-Str. 15 / R.-Luxemburg-Pl. 2 / 3) kommt noch eine wichtige städtebauliche Funktion zu: er bildet in idealer Weise den östlichen Platzabschluss des Königsplatzes, heute Rosa-Luxemburg-Platz, eines ansonsten recht gemischt umbauten Platzes. Die Westfassade wirkt zunächst regelmäßig, aber auf den zweiten Blick erkennt man eine Asymmetrie, die eine gestalterisch belebende Wirkung hat.

Die Gebr. Kießling machten fast alle ihre Häuser (hier leider nicht nachweisbar) durch ein Signet im Putz, meist neben dem Eingang, öffentlich kenntlich – „meine Hand für mein Produkt“ sagte man später in anderem Zusammenhang -, eine Parallele zu Dresdner Häusern von Baumeister Erlwein, die sich auch stilistisch oft mit den Kießling-Häusern vergleichen lassen. Längere Zeit war der Firmen- und Wohnsitz in der Meißner Str. 253, einer Villa mit Büroanbau und Lagerplatz daneben am Gradsteg, heute Garten. Ebenfalls für die Gröba-Werkssiedlung entwarfen die Gebr. Kießling auch das Mehrfamilienhaus Gröbastr. 14/15, das bereits früher saniert wurde. Die Gebr. Kießling hatten auch außerhalb von Radebeul große Aufträge, so z.B. die Rathäuser in Heidenau und Mügeln.

Für ein paar Bauaufgaben verpflichtete die Firma auch Künstler, wie Burkhart Ebe für den plastischen Schmuck am ehem. Rathaus von Kötzschenbroda. Wer das Schmuckrelief über dem Doppeleingang Rosa-Luxemburg-Platz 2, 3 angefertigt hat, war nicht zu erfahren.

Die Brüder Kießling fanden ihre letzte Ruhestätte an verschiedenen Stellen auf dem Kötzschenbrodaer Friedhof.

Während der Recherche für die beiden zum Tag des offenen Denkmals bestimmten Häuser stellte ich fest, dass es sowohl zur Bautätigkeit der Gebr. Kießling als auch zu deren privatem Umfeld noch unerforschtes Terrain gibt.

Es war interessant, zum diesjährigen Tag des offenen Denkmals wieder mal eine laufende Baustelle sehen zu können, auch wenn das Disziplin bei den Besuchern erforderte. Auf dieser denkmalpflegerischen Großbaustelle sah ich Firmenvertreter, bzw. Firmentafeln, die in anderen Jahren schon an Radebeuler Kulturdenkmalen erfolgreich tätig waren und das was an Geleistetem schon zu sehen war, z.B. die Dachdeckerarbeiten, machte einen sehr guten Eindruck. Ich bin sicher, dass viele Radebeuler Bürger im Frühjahr 2017, wenn die Bauarbeiten beendet sein werden, noch mal genau am Rosa-Luxemburg-Platz hinschauen und sich dann mit mir über die fertig sanierten Denkmale freuen werden.

Dietrich Lohse

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Ein Kommentar

  1. Rainer Rippich
    Veröffentlicht am Mo, 26. Dez. 2016 um 18:49 | Permanenter Link

    Anfrage:
    Sehr geehrte Damen und Herren,
    der Beitrag über die Gebrüder Kießling war überaus lehrreich. Dazu möchte ich eine Anfrage stellen. Gibt es bei Ihnen etwa einen Schriftverkehr zum Architekt und Baumeister Fürchtegott Kemnitzer aus Pirna. Beide schufen in Pirna drei markante Bauten.
    Mit freundlichen Grüßen
    Rainer Rippich

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