Bacchus TONangebend

Zur Ausstellungseröffnung am 21. Juni in der Hoflößnitz

Er ist jung und schön.

Er trägt Weinlaub um die Schultern und Efeu im Haar.

Er ist trunken von der Liebe schöner Frauen und vom Wein.

Er liebt den Gesang und er liebt das Leben.

Er läßt längst abgestorbene Äste ergrünen.

Er treibt die Blätter auf die Bäume und die Trauben in die Kelter.

Er füllt den Becher Tag um Tag:

Bacchus, der lärmende, efeubekränzte leuchtende Sohn des Zeus und der Semele,

Bacchus, der Gott, der trotz Glyphosat, trotz Flächenversiegelung, trotz Flammenwerfereinsatzes gegen Grashalme und ungezählter anderer menschlicher Unsinnigkeiten dem Leben die Kraft gibt, Jahr um Jahr neu zu erblühen,

Bacchus, der Gott, der den Ton angibt;

Nimmer wird man seiner vergessen, wenn süße Gesänge erklingen.

Es liegt Begeisterung in der Luft, Überschwang, wo auch immer von ihm die Rede ist. Auch Ines Hoferick, die Keramikerin, fand ihn tonangebend, als sie begann, sich auf ihre Ausstellung hier im Berg- und Lusthaus Hoflößnitz vorzubereiten.

Das war ein Wagnis.

Ines Hoferick mit »Bacchantin«
Foto: I. Meffert (Rechte Stiftung Hoflößnitz)


Wer sie kennt – und wer kennt sie nicht –, kennt sie selbst als tonangebend. Seit fünfundzwanzig Jahren ist ihr Studio mehrmals in der Woche angefüllt mit lachenden, heiteren Menschen – überwiegend Frauen – die unter den wachen Blicken ihrer großen dunklen Augen mit Begeisterung und beiden Händen in den Ton greifen wie ins Leben und immer wieder neue Möglichkeiten finden, sich selbst im wahrsten Sinne des Wortes auszudrücken.

Und so also, wie Ines in den vielen Jahren gelernt hat, auf die Menschen zu und mit ihnen umzugehen, so ist sie auch auf der herrlichen Semele Sohn zugegangen, den Augenherrlichen, wie der unsterbliche Homer ihn nannte, und sie hat ihn sich zum Kollegen gemacht:

Dein ist das Leben, hat sie zu ihm gesagt, dein ist der Frühling, das Blühen, alles, was ich liebe, ist dein, aber mein ist die dunkle Erde, aus der alles gemacht ist.

Hier sitz ich, hat sie zu ihm gesagt, forme Figuren nach meinem Bilde, bilde nach, was der Ton mir vorgibt; denn die Form schläft seit langem im Ton, die Keramikerin muß sie nur finden. Es ist begeisternd, mit welcher Sicherheit, Ines dem Ton seine Form ablauscht und mit welchem Feingefühl ihre Hände sie bildend freilegen.

Willst du also, Traubenumrankter, hat sie zu ihm gesagt, tatsächlich tonangebend sein, dann bitte, setz dich zu mir und greife gleich mir hinein in die bildbare Erde.

Und siehe, der Gott nahm die Einladung an.

Und siehe, er hatte seinen Spaß daran, denn er ist überall zu Hause, wo Freude ist.
[…]
So sehe ich den ewig Unfaßbaren bei Ines im Studio sitzen, schön umfliegen die Locken dunkel sein Haupt, inmitten hellklingenden Stimmengewirrs lachender Frauen, und an seinem Bilde formen, denn jede Kunst ist Ausdruck des eigenen Wesens. […]

Mit der Kunst, die sie wählte, gibt nun Ines ihrerseits einen beredten Einblick in ihr Wesen. Es ist eine Kunst, die des Feuers bedarf, eines Feuers freilich, das Bestehendes nicht zerstört, sondern Vergänglichem Dauer verspricht.

»Kühlender Weinkönig«
Foto: I. Meffert (Rechte Stiftung Hoflößnitz)


Bei Temperaturen, die 1000° Celsius weit überschreiten, verändert sich alles. Die Kristalle an den Korngrenzen des Tons öffnen sich und verbinden sich untereinander. Zusätzlich werden sie durch mögliche glasige Anteile verkittet. Der Vorgang ist unumkehrbar: Aus Ton kann jederzeit Keramik werden, aus Keramik wird nie wieder Ton. Dafür besitzt die Keramik nun einen eigenen Ton: Eine Tasse klingt, wenn ein Löffel dagegen schlägt.

So gehören also drei zu einem guten Klang: Ines und Bacchus geben den Ton an, Keramik gibt den Ton ab.

In den fünfundzwanzig Jahren ihres tonangebenden Wirkens im Zusammensein mit kleinen und großen Kursteilnehmern ist Ines von der Anfängerin über die Handwerkerin zur Künstlerin gereift. Lange Zeit hat sie sich gegen die Bezeichnung Künstlerin verwahrt – in erster Linie wollte sie ihr Handwerk gut ausführen und ihr Wissen und Können an andere weitergeben. Der Handwerker unterwirft sich das Werkstück, er zwingt dem Ton, dem Holz oder dem Metall seinen Willen auf. Der Künstler hört auf das Material und lauscht ihm seinen Willen ab. Die Kunst besteht darin, mit dem Material eine Gemeinschaft zu bilden.

Handwerk aber ist die Grundlage jeder Kunst.

Zudem ist Hand-Werk – hier liegt die Betonung auf Hand! – ein ursprünglicher Ausdruck menschlichen Seins. Ines spürt es in ihren Kursen immer deutlicher: je weniger im digitalisierten Alltag die Hände gebraucht werden, um so dankbarer nehmen die Menschen die Gelegenheiten wahr, sie anderweitig zu benutzen. Wenn Hände in Bewegung geraten, wenn sie in Ton greifen können, die Vielfalt ihrer Sinnfälligkeit nutzen, lösen sich Spannungen im Kopf. Diese zwei Stunden in der Woche, in denen Bürofrauen vom zweidimensionalen Bildschirmdasein mit eigenen Händen dreidimensionale Dinge schaffen können, wirken Wunder. Ärzte sollte Handarbeit verschreiben, bevor es zu spät ist. Erzieher sollten Kindern den Wischomaten aus der Hand nehmen und ihnen stattdessen Holz oder eben Ton zum Bearbeiten geben. Pfleger sollten Senioren Aufgaben stellen, die mit den Händen zu bewältigen sind. Denn die Fingerfertigkeit, die Verbindung von Kopf und Hand hat nicht nur eine wichtige Rolle in der Anthropogenese gespielt, sie bildet heute noch ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen und Tieren.
[…]
Homer, der blinde Sänger aus dem felsigen Chios, hatte Freude an den Musen, weil sie ihn schon in der Mitte des achten vorchristlichen Jahrhunderts das Lob singen ließen des traubenumrankten Bacchus und seines Gefolges. So tonangebend dieser auch war und vielleicht immer noch ist, wir alle hier möchten, glaube ich, auf die Keramikerin nicht verzichten, die seit fünfundzwanzig Jahren einen ganz eigenen Umgang mit den Musen pflegt. Was entsteht, wenn klar ist, wer den Ton angibt, zeigt diese Ausstellung.

Thomas Gerlach

Die Ausstellung »Bacchus TONangebend – Keramiken von Ines Hoferick« ist noch bis 25. August 2019 im Sächsischen Weinbaumuseum Hoflößnitz in Radebeul, Knohllweg 37, zu sehen, geöffnet Di-So 10 bis 18 Uhr.

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