Sonderausstellung im Käthe Kollwitz Haus Moritzburg
Unter dem Titel “Anschläge” zeigt der seit 1998 in Dresden lebende Schriftsetzer, Grafiker, Plakatkünstler, Buchgestalter, Designer, Typograf und freier Künstler Jochen Stankowski seine politisch engagierten Plakate aus 5 Jahrzehnten. Von ihm existieren über 400 Plakate im Offsetdruck aus Stuttgarter und Kölner Zeit bis in die Gegenwart. 40 werden in dieser Ausstellung gezeigt. Dass dies mit einer Auswahl seiner
bedeutendsten Arbeiten in diesem Haus geschieht, ist kein Zufall: Viele hochwertige politische Plakate sind unter den Händen von Käthe Kollwitz in der Zeit großer Umbrüche und Kriege in Deutschland entstanden und belegen den hohen künstlerischen Wert ihres Werkes. Jochen Stankowski, der sich um bildhafte Kommentare zu Zitaten aus dem Tagebuch von Käthe Kollwitz verdient gemacht hat, ist nicht nur ein Freund des Hauses, der seit vielen Jahren für das Museum arbeitet, sondern auch ein nicht wegzudenkender Interpret und Nachfolger der Künstlerin und teilt mit ihr sein soziales und politisches Engagement, das in dem Wort der Kollwitz gipfelt: “Ich bin einverstanden damit, dass meine Kunst Zwecke hat”.
Anschläge sind hier als politischer Appel in Plakatgestalt zu verstehen, Anschläge auf das Denken des an ihm Vorübergehenden: Es ist ein “optischer Schrei”, der blitzartig seine Anliegen im Augen-Blick der Passage an den Betrachter vermittelt. “Plakate gehören an die frische Luft” sagt Jochen Stankowski, an Häuser, Zäune, Mauern und Wände, überall im öffentlichen Raum.
Jochen Stankowski wurde in Meschede im Sauerland am 25. Mai 1940 geboren, ist also in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Sein Onkel Anton, ein namhafter Grafiker, gab ihm den Rat, Schriftsetzer zu werden. Erste Station war Stuttgart, wo er ab 1958 seine Gesellenzeit als Typograf in der Dr. Cantz`schen Druckerei und Abendkurse an der Stuttgarter Hochschule sowie der Kunstakademie absolvierte. 1963 erlebte er im Wehrersatzdienst die katastrophalen Zustände und die Zerbrechlichkeit des Menschen in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus. Unter dem Titel “Schafft die Irrenhäuser ab”, entstanden daraufhin um 1979 Plakate zur verdeckten Euthanasie und zu medizinischen Experimenten mit geistig und seelisch Behinderten. 1967 wurde er Mitinhaber des grafischen Ateliers Anton und Jochen Stankowski. Umfangreiche Bildungsreisen folgten 1968. Die schwäbische Avantgarde-Landschaft wurde erkundet. 1972 gründeten Jochen Stankowski und sein Bruder Martin (Journalist und Plakatautor) eine selbstverwaltete Druckerei. “Kunden” waren Bürgerinitiativen und Projekte aus Frauen-und Friedensbewegungen sowie soziale Initiativen. Zahlreiche Plakate über Jugendliche im Knast, zur Abrüstung, den Verhältnissen in der Kirche, zum Paragraph 218, zu Bürgerprotesten- und Bürgerinitiativen sowie zum Wehrersatzdienst wurden gestaltet. 1973 erschien eine eigene Zeitung, das “Kölner Volksblatt”. Daraus ging 1980 bis 1985 die Kölner Plakatzeitung, die als Wandzeitung gedacht war und an Wände und Mauern geklebt wurde hervor. Damals begründete er auch die Raute oder das Merve-Layout für den gleichnamigen Verlag, das über viele Jahre hinweg bis heute praktiziert wird. 1998 zog er vom Rhein an die Elbe, nach Dresden und arbeitete wieder als grafischer Künstler und Plakatgestalter. Zahlreiche aktuelle Plakate entstanden, wie zu den Menschenrechten 2019, ein Plakat der Initiative VIELFALT, eine gesamtstädtische Aktion in Stuttgart, bei der die Visualisierung dem jeweiligen Passus ein Gesicht gibt. Seit 1989 gibt es die “AnStifter”, ein Bürgerprojekt mit Sitz in Stuttgart, für das Stankowski seitdem arbeitet, bekannt vor allem durch den Stuttgarter Friedenspreis, der seit 2003 jährlich verliehen wird. In einem Appell von 2020 an die deutsche Regierung und Öffentlichkeit wurde u. a. gefordert, das “Mahnmal Auschwitz auf Dauer als Erbe der Menschheit zu erhalten”.
Die hier gezeigte Ausstellung begleitet ein Katalog von Jochen und Martin Stankowski, der eine Auswahl des Plakatschaffens der Brüder zusammenfasst und illustriert.
Heinz Weißflog
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(Auszug aus der Eröffnungsrede)