Theater leben mit und hinter den Masken

Über ein Gespräch mit dem Intendanten der Landesbühnen Sachsen


Intendant Manuel Schöbel empfängt mich spätnachmittags in seinem großen Büro, er hat eine Stunde Zeit, anschließend möchte er zu einer Ballettprobe. Ein wenig muss ich warten, er beendet gerade noch ein Gespräch. Später wird er einen Anruf erhalten und mal eben schnell etwas zur gastronomischen Versorgung für die Schauspieler in der Zeltspielstätte Rathen klären. Auf dem Weg zu seinem Büro war mir Stefan Wiel, Ausstattungsleiter an den Landesbühnen, begegnet; ein Mitarbeiter der Beleuchtung hatte gerade seine Pause beendet und mir einen Gruß zugeworfen, bevor er wieder hinter einer Tür verschwand; von irgendwoher höre ich auch Musik, jemand singt. Das Haus verströmt also Geschäftigkeit und Lebendigkeit durch die Masken hindurch, die natürlich auch hier jeder trägt. So ganz ungewöhnlich ist es ja – Pandemie hin oder her – nicht, dass man in einem Theater Masken trägt. „Ein Maskenball“ lautet eine Verdi-Oper. Romeo sieht Julia erstmals anlässlich eines Maskenballs. Und nicht zuletzt nennt sich ja eine ganze Abteilung im Theater „Maske“. Man könnte also sagen: Theaterleute wissen mit Masken, mit Maskerade, auch mit Demaskierungen umzugehen – und wissen sie zu nutzen, aber eben auch auszuhalten. Wer schon einmal „in der Maske“ war, weiß, dass das nicht immer angenehm ist. Vielleicht, so wird mir nach dem Gespräch mit Manuel Schöbel bewusst, ist die Maske tatsächlich eine passende Metapher für das Leben, das sich in der letzten Zeit im Inneren der Landesbühnen Sachsen stetig geregt hat. Denn ebenso wie unser aller Minenspiel trotz Maske auf ganz natürliche Weise weiterfunktioniert hat – auch wenn das Lächeln hinter der Maske verborgen bleibt – so ist auch der Theaterbetrieb weitergegangen und hat sich unablässig entfaltet – wartend auf den Moment, da man wieder Gesicht zeigen kann.

„Wir sind Spieler“, sagt Manuel Schöbel auf meine Frage, wie es ihm und seinem Ensemble in dieser für alle mehr oder weniger belastenden Zeit geht. Was er damit sagen will: Alle Akteure können ihrer Arbeit nachgehen, ihre Stimmen geschmeidig halten, ihre Körper trainieren, Inszenierungen einstudieren, Abläufe proben. „Wir sind uns dessen bewusst, dass es ein ungeheures Glück ist, trotz allem hier sein zu können. Das wirkliche Drama unserer Zeit spielt sich woanders ab, nicht in unserem Haus. Die Pandemie ist eine globale Gefährdung.“ Aber fehlen nicht die Zuschauer, die Arbeit auf der Bühne im Rampenlicht, der unmittelbare Austausch mit dem Publikum? Natürlich fehle all das, bestätigt der Intendant, aber an die Stelle des regulären Spielbetriebes ist nicht nur die Entwicklung alternativer Formate getreten wie bspw. setup.school (ein interaktives Klassenzimmerstück), Streaming-Angebote oder auch die Hörbühne, eine Mischung aus Hörspiel und Theater. Sondern auch die Pflege der Partnerschaft zu Spielstätten in der Provinz: „Wir haben in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, wie herzlich wir mancherorts aufgenommen wurden. In Kirchen, Schlössern, Parks. Manches Mal wurden wir mit Blumen begrüßt oder in einer Probenpause mit frisch gebackenem Kuchen überrascht. Das schuf eine Beziehung zwischen uns und den Menschen dort. Deshalb haben in den letzten Wochen 12 Schauspielerinnen und Schauspieler unter dem Titel FANPOST RETOUR Briefe an diese Orte geschrieben und einmal darüber nachgedacht, warum diese Orte wichtig für sie geworden sind, welche Erlebnisse sie damit verbinden. Dazu wären wir im Normalbetrieb sicherlich nicht gekommen.“ Interessant ist für mich in diesem Zusammenhang, wie Schöbel die unterschiedlichen Zuschauergruppen beschreibt. In Radebeul gäbe es ein dem Haus sehr verbundenes, kritisches Stammpublikum, das mitunter eine jahrzehntelange Beziehung zum Haus pflegt und ganz bewusst zu bestimmten Inszenierungen kommt. So sei es nach der Premiere von Mahagonny (November 2019) vorgekommen, dass einige Besucher mit dem Intendanten über bestimmte Szenen gefachsimpelt und ihre Erinnerung an frühere Aufführungen am Haus als Vergleich herangezogen hätten. Zu unterscheiden sei dieses, man möchte fast sagen: Fachpublikum von den Theaterfreunden, die sich in idyllisch gelegenen Spielstätten auf dem Land einfänden. Denen gehe es zwar auch um das Stück, nicht minder aber auch um das Erleben von Kunst an einem ganz bestimmten, als persönlich berührend empfunden Ort. Radebeul sei dabei beides: Sitz des Stammhauses als Musentempel, aber eben auch Stadt in besonders schöner, teilweise sogar dramatisch aufgeladener Kulturlandschaft. So erklärt sich auch die Entscheidung, den Lößnitzgrund als Spielstätte für die Neuinszenierung von Winnetou I vorzusehen, solange die Felsenbühne wegen Umbauarbeiten gesperrt ist. Wenn alles geklappt hat und die Genehmigungen rechtzeitig genug erteilt worden sind, so findet jetzt, am letzten Maiwochenende, die Premiere statt: „Aus den Büchern, die einst Karl May hier in Radebeul geschrieben hat, steigen die Figuren auf die Bühne im Lößnitzgrund und wir freuen uns auf den Moment, wenn unser Winnetou sozusagen nach Hause kommt.“ Wissenswert ist, dass Winnetou nur ein Baustein des Großprojektes Der Lößnitzgrund ruft (mit Gojko Miti? als Schirmherr) ist, das neben einer Eröffnungsveranstaltung am 28. Mai u.a. auch noch eine Sternwanderung am 5. Juni und weitere Veranstaltungen enthält. Es ist dem Ensemble aufrichtig zu wünschen, dass die geplanten 10 Aufführungen und das vielfältige Beiprogramm auch tatsächlich stattfinden können (Hinweis s.u.).

Schöbel spricht langsam, fast bedächtig. Er wägt die Worte, lässt sich Zeit für eine Antwort. Etwa auch auf die Frage, wie seine Bilanz nach 10 Jahren Intendanz ausfällt, denn er kam mit Beginn der Spielzeit 2011/12 und hat gerade für weitere fünf Jahre bis 2027 verlängert. Sind denn alle Ziele erreicht worden, konnte er seine Visionen von einem leistungsfähigen Mehrspartentheater verwirklichen? „Wissen Sie, es geht im Letzten nicht darum, zwanghaft auf ein Ziel fixiert zu sein. Wichtiger ist, dass man sich Offenheit und Neugier für die Welt um sich herum bewahrt. Überall liegen Geschichten verborgen, die erzählt werden wollen. Ob das nun Stoffe aus der unmittelbaren Umgebung sind wie der Friedensschluss von 1645 in Kötzschenbroda, den wir 2013 für die Bühne aufbereiteten oder Ideen, die auf Umwegen sich zu ganz erstaunlichen Produktionen entwickelten, wie etwa In Gottes eigenem Land 2017“. Dieses großartige Stück über einen aus Mitteldeutschland in die USA ausgewanderten Pastor, dessen Premiere ich selbst erlebt und in V&R 6/2017 rezensiert hatte, ist tatsächlich ein gutes Beispiel dafür, wie Schöbel Theater als künstlerisch gestaltende, innovative und gesellschaftlich verbindende Instanz versteht: Die Kräfte im Haus bündeln, externe Expertise einbinden und damit über den eigentlichen regionalen Wirkungskreis hinaus ausstrahlen. Mit großem Erfolg gastierte dieses Stück denn auch in den USA und wurde die bereits bestehende Kooperation nach York (England) befestigt. „Kreativität speist sich aus konkreten Quellen“, ergänzt Schöbel und fügt hinzu: „Wir werden inzwischen durchaus überregional wahrgenommen. Dafür spricht auch, dass uns die Bundeskulturstiftung für zwei aktuelle Produktionen Fördergelder bereitstellt, mit denen wir vor allem jugendliche Zielgruppen erreichen wollen.“

Es ist schon 18 Uhr vorbei, eigentlich müsste Manuel Schöbel jetzt im Zuschauerraum bei einer Probe des Tanzensembles für den Abend „HeimatBILDER“ sitzen. „Keine Sorge, ich komme noch zurecht“, meint er und gibt mir zum Schluss eine Erklärung dafür mit auf den Weg, wie er es schafft, sich immer wieder neu zu motivieren und nach vorn zu schauen: „Der Mensch verliert seine Kraft nicht durch die Arbeit, sondern findet sie darin – wenn’s gut geht.“ Schöbel richtet seine Maske, ich glaube, er lächelt, und wir verabschieden uns.

Bertram Kazmirowski

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Bitte entnehmen Sie dem aktuellen Veranstaltungskalender bzw. der Website der Landesbühnen, ob die für den 29.5. – 13.6. (jeweils 19.30 Uhr) geplanten Aufführungen von „Winnetou 1“ im Lößnitzgrund stattfinden.

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