Verkalkuliert?

Fast eine Glosse

Schon mal was von Ambrosio gehört? Im Mai-Heft hatte ich über die Zeit sinniert, die wir nicht haben. Da frage ich mich natürlich automatisch, wo ist sie denn hin, die liebe Zeit? Einfach weg!? Aber warum rennen wird dann wie die Wilden hinter ihr her, brauchen wir sie denn wirklich? Ambrosio jedenfalls braucht sie offensichtlich nicht. Das Leben ist für ihn ohne die Zeit viel angenehmer – behauptet er jedenfalls. Deshalb kam er auch auf die verrückte Idee, die Zeit einfach zu stehlen. Kunststück, Ambrosio soll ja sowas wie unsterblich sein, zumindest suggeriert das der Name. Diese Geschichte trug sich aber schon vor vielen, vielen Tagen zu.

So einfach ist das heute mit der Zeit nicht mehr. Die wird einem zu jeder Sekunde um die Ohren geschlagen, wo man steht und geht, und drückt gewissermaßen dem Alltag ihren Stempel auf. Aber leider ist sie ungleich verteilt. Die einen haben welche und die andere eben nicht. Zeit ist halt, wie man sieht, relativ.

Schon die alten Griechen haben sich mit dem Phänomen der Zeit herumgeschlagen und behaupteten, sie sei immer im Fluss. Ob diese Erkenntnis bei dem gegenwärtigen Wassermangel noch gelten kann, sei dahingestellt. Bis heute aber streiten sich die Philosophen, ob es die Zeit, rein objektiv gesehen, überhaupt gibt. Das käme natürlich Ambrosio sehr entgegen. Das Zeitgefühl entsteht ja eigentlich nur durch unser Denken und damit habe vermutlich nicht nur ich so meine Probleme. Wie oft habe ich mich damit schon verkalkuliert. Mittlerweile weiß ich überhaupt nicht mehr, wie viel Zeit vergangen ist, seit ich erstmals in Radebeul den Namen INSEK gehört habe. Das muss schon eine gefühlte Ewigkeit her sein.

Da ich aber ein neugieriger Mensch bin, habe ich mir das über 300 DINA-4-Seiten umfassende Pamphlet gleich nochmal reingezogen und war reichlich verblüfft. Das mit zahlreichen Tabellen, Karten und Statistiken gefüllte Werk stammte von 2015! Ich hätte schwören können, dass es mindestens zehn Jahre her ist, wenn nicht länger, als ich es letztmals in der Hand hatte! – Was das ist, das INSEK? Richtig, das wird vermutlich kaum einer mehr wissen. Man nennt es „Integriertes Stadtentwicklungskonzept“ und soll so etwas wie eine „Handlungs- und Entscheidungsgrundlage“ für eine langzeitliche Entwicklung der Gemeinde darstellen. Leipzig sieht darin gar die „Zukunftsstrategie zur Entwicklung“ der Messestadt und für Pirna stellt das INSEK „einen mittel- bis langfristigen Orientierungsrahmen“ für die Stadtentwicklung dar. Nun mag man sich darüber streiten, ob das INSEK ein „informelles Instrument der Stadtplanung“ sein soll, wie es im Radebeuler Papier steht. Auf jeden Fall legt es auf allen Gebieten einer Gemeinde Maßnahmen zu deren Entwicklung fest.

Mein etwas gemischter Eindruck vom Radebeuler INSEK mag vielleicht auch daher stammen, dass einige der darin aufgeführten Passagen nicht mehr ganz taufrisch wirken. So stellte diese überarbeitete Ausgabe aus dem Jahr 2015 zwar fest, dass die fernab von allem tosenden Verkehr gemessenen Immissionswerte durch die Station Wahnsdorf im Normbereich liegen, dass aber im „Stadtgebiet von Radebeul keine Messungen vorgenommen“ wurden. Veräppeln kann ich mich selber. Da eignet sich auch meinem Fliederbusch als Standort für die Messung. Auch künftig soll es keine Feststellung der Stickstoffdioxid- und Feinstaubbelastung im Stadtgebiet geben. Zumindest sieht das INSEK von 2015 so etwas nicht vor. Warum eigentlich nicht?

Die Zeiten aber ändern sich mitunter schneller als gedacht. Was in der Überarbeitungsphase noch trübe aussah, hellte sich später auf. Und so hat sich die Attraktivität von Radebeul gesteigert und die Experten gehen für die Lößnitzstadt gar, gegen den allgemeinen Trend in Sachsen, von einem verstärkten Wachstum der Bevölkerung aus. Damals sah das INSEK „bezahlbarer Wohnraum für alle Nutzergruppen, […] für unterschiedliche Haushaltsgrößen, Sozial- und Einkommenssituationen und Eigentumsformen“, aber „vorrangig kleinere Wohnungen“, vor. Schau ich mir aber die gegenwärtige Entwicklung an, so zeichnet sich ein anderes Bild ab. Etwa 78 Prozent der aktuell entstandenen bzw. geplanten Wohneinheiten sind 3-4-Raumwohnungen, mit einer Fläche von 75 bis 166 Quadratmetern. Als gerade KLEIN würde ich das nicht bezeichnen und sozialverträglich auch nicht, wenn die meisten davon als Eigentumswohnungen angeboten werden. Dennoch stellt der Vorsitzende der Wohnungsgenossenschaft „Lößnitz“ Thomas Vetter schon 2019 in der Sanierungszeitung Radebeul macht Dampf fest, dass „mehr 4-Raum-Wohnungen für junge Familien“ benötigt werden. Da haben sich die Autoren von INSEK 2015 offensichtlich etwas verkalkuliert. Die Planung sollte bis 2025 Gültigkeit haben.

„Kommt Zeit, kommt Rat“ meint ein altes Sprichwort. Aber mal ehrlich, wie wir aus dieser Klemme herauskommen wollen ist mir schleierhaft. Das riecht mir mehr nach der Quadratur des Kreises. Vielleicht hat man deshalb so lange nichts vom INSEK gehört, meint

Euer Motzi

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