Idioten vor dem Herrn

Ich gehöre einer Kirche an, obwohl ich das dazu gehörige Gebäude selten aufsuche. Ich gehöre auch einem Staatswesen an, obwohl ich den Bundestag nur aus dem Fernsehen kenne. Ich bin nicht mit allem einverstanden, was hier wie dort von der Kanzel beziehungsweise vom Rednerpult verlautbart wird. Doch so, ganz im Allgemeinen, bin ich mit der grundsätzlichen Konstruktion einverstanden. Weshalb ich den anteiligen Obolus, hier den Zehnten, dort den Hundertsten, gerne gebe. Wobei das Wort „gerne“, nun ja, lassen wir’s.

Aber wenn ich mich doch mal in eines der Gebäulichkeiten verirre und mir anhöre, was dort von der Kanzel gesprochen wird, dann könnte ich glatt vom Glauben abfallen. An den von der Demokratie, wahlweise auch vom gesunden Menschenverstand. Wir müssen gar keine 2000 Jahre zurück gehen. Man stelle sich irgendeine Gemeinschaft vor, mit ehernen Grundsätzen oder andere Scheuklappenträger. Da steht aus deren Mitte ein bis dato nicht weiter auffälliger junger Mann auf und verkündet, er habe eine neue Satzung verfasst. Ab jetzt hörten gefälligst Alle auf sein Kommando, denn er sei des großen Vorsitzenden, der wegen anderer Verpflichtungen nie anwesend ist, Sohn. Aber er, und nur er, besuche ihn regelmäßig am Wochenende auf dessen Datsche und sitze dann zu dessen Rechten. Das, müsst Ihr wissen, ist bei vielen idiotischen Gremien so: Rechts zu sitzen ist ein besonderes Privileg. Es ist eng verbunden mit einem anderen Privileg: Oben zu liegen! Aber wir greifen vor.

Was, glaubt ihr, passiert? Dem mittelalten Herrn mit einem klopapierrollenartigen Hut, bemalt in den Landesfarben, direkt hinter dem jungen Mann, entrutscht es: „Du hast ja nicht alle Latten am Zaun.“ Murmelnde Zustimmung im Umkreis. Weiter hinten, wo naturgemäß nur die Hälfte verstanden wird, weshalb sich die Leute ihre Weltordnung aus halb Gehörtem, einem gesunden Halbwissen und Youtube zusammenreimen, kommen Rufe wie: „Rübe ab, Schwanz ab!“ Aus der Ecke ganz rechts hinten knurrt ein alter Haudegen mit Beinprothese und Schmissen auf beiden Wagen: „Dem Knaben fehlt es an Konzentration. Wir hatten früher mal Lager, wo man das lernen konnte.“

Doch der schmächtige junge Mann mit Dreitagebart, typisch Millennial, – die haben wir ja gefressen: Noch kein Haar am Sack, aber `nen Kamm in der Hosentasche – hat ein längeres Retreatment in einem Kohlerestloch der Oberlausitz hinter sich. Dort hat er gelernt, wie gedruckt zu labern ohne zuzuhören. Oder umgekehrt. Unbeirrt hebt er den linken (ja, den Linken!, das hat seine Bewandtnis) Zeigefinger und verkündet mit hoher Fistelstimme in einem altertümlichen Deutsch a la Martin Luther: „Wahrlich, ich sage Euch…“ Der Rest geht im allgemeinen Gebrüll unter.

Also, mich wundert da nix. Der Knabe hat entweder ein Extasy zu viel eingeworfen oder er ist einer jener Verwirrten, die mittels eines Sprengstoffgürtels einen Abgang mit möglichst großem Kollerateralschaden planen, weil das 1.000 Likes auf Insta gibt. Oder, das soll es auch geben, weil er davon ausgeht, dass, wenn er nach Drüben rüber gemacht hat, dort 72 Jungfrauen auf ihn warten.

Was mir auffällt: Im Glauben an irgendwelche Schriften oder Youtube-Videos sind diese Leute unschlagbar. Jedes Argument gegen ihre Behauptung, die Erde sei eine Scheibe, nehmen sie als Bestätigung ihres unbedingten Wissens: Alle anderen sind doof! Aber vor lauter Glaubens-Studium haben sie das Rechnen vergessen. Wenn ich, wer weiß es denn schon genau (?), drei Milliarden Jahre bis zur Auferstehung warten muss, dann hat sich doch die 72-fache Jungfräulichkeit, nach, na!, bei sparsamem Gebrauch, spätestens einer Million Jahren erledigt. Was machen wir dann am Nachmittag? Sudoku?

Und jetzt stell ich mir einen fiesen Gott vor, in Personalunion Allah, Shiva, Gaia und was sich die Pastoralassistenten hinieden noch ausgedacht haben: Der ruft den massenhaften Erd-Flüchtlingen zu: Herhören Leute! Ich habe einige Idioten, die da unten in meinem Namen sprachen, machen lassen, weil ich keine Lust hatte, mich einzumischen, ob sie sich nun Moses, Mahdi, Stalin, Hitler oder Höcke nannten. Ich sage Euch nur eins: Ich habe den Adam nicht als erstes geschaffen, weil er immer der Erste sein und oben liegen sollte, sondern weil ich mir das Beste bis zum Schluss aufheben wollte.

Dem Vernehmen nach spricht ja jenes höhere Wesen, das wir verehren, durch einen Dornbusch. Wie sich jetzt im Himmel herausstellt, handelt es sich um den geilsten Scheiß an Subwoofer, den der himmlische Elektrofachmarkt auf Lager hat. Jedes einzelne Wort von des Höchsten Rede ist auch in den hintersten Reihen zu hören und zu verstehen. Dorthin verbannen nämlich die Hutträger und andere selbsternannten „starken Männer“ die Jungfrauen.

Ihr Idioten vor dem Herrn habt ja keine Ahnung, was Euch da drüben wirklich blüht.

Als PS noch etwas Blasphemisches:

Maria und der kleine Jesus sitzen im Tempel. Der Rabbi spricht heute aber arg lang. Nach einer Weile rutscht der kleine Jesus auf seiner Bank herum. Es entspinnt sich ein geflüsterter Dialog:

Halt doch mal stille.
Ich muss mal.
Pscht!
Aber ich muss mal.
Pscht!
Mami…
Pscht!

Da setzt sich der kleine Jesus kerzengerade auf, hebt den linken (!!!) Zeigefinger und verkündet in einem hellen Knabensopran:

Wahrlich, ich sage Dir: Mami, ich muss mal.

Burkhard Zscheischler

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