Lieselotte Finke-Poser Kunstpreis 2022

Lieselotte Finke-Poser zum Radebeuler Grafikmarkt 2014. Foto: Burkhard Schade

Es ist heute schon viel Gutes über Lieselotte Finke-Poser, die diesjährige Kunstpreisträgerin gesagt worden. Sie werden also das eine oder andere schon gehört haben, aber natürlich noch nicht von mir.

Ich beginne mit einem Zitat:

Mein vordringlichstes Anliegen ist zur Zeit: Radebeul schnell noch als Gartenstadt festhalten, bevor der letzte Garten zugebaut, der letzte Baum gefällt worden ist.

Diese Worte Lieselottes fand ich in dem kleinen schwarzen Begleitheft, das die Stadtgalerie im Jahr 2000 anlässlich der Ausstellung zum 75. Geburtstag der Künstlerin aufgelegt hatte.

Lieselotte setzt da eine Sorge in knappe Worte, die tiefe Sorge vieler Radebeuler um das Erscheinungsbild, den besonderen Charakter ihrer Stadt, und es dürfte auch hier im Raum kaum jemanden geben, der diesen Satz nicht unterschreiben würde. Zugleich wird deutlich, dass die Künstlerin mit wachen Augen und klarem Verstand auf die Welt – auf unsere Welt – blickte und immer noch blickt. Sie ist fähig, nicht nur die richtigen Farben, sondern auch die passenden Worte zu finden. Sie hat nicht gelernt, mit ihrer Meinung hinterm Berg zu halten – wie auch, dort, wo sie herkommt, gibt’s kaum Berge. Freilich hat ihr das in ihrem langen Leben nicht nur Wohlwollen eingebracht.

Sie kann da Einiges erzählen.

1945, zum Ende des letzten Krieges – nicht nur Lieselotte, sondern mehr oder weniger wir alle glaubten und hofften 77 Jahre lang, dass es tatsächlich der letzte gewesen wäre – zu Kriegsende also, war sie noch keine zwanzig Jahre alt. Wie die meisten unserer Städte, war auch Leipzig, die Stadt, die sie aufwachsen sah, von Trümmern gezeichnet. Die junge Frau aber, die schon in den Jahren zuvor privaten Mal- und Zeichenunterricht genommen hatte, wünschte nichts sehnlicher, als dass endlich die Akademie beräumt wäre und sie Malerei studieren könnte. Das müssen wir uns vorstellen: Malerei! 1945!! Inmitten von Trümmern!

Ich habe sie nicht gefragt, ob es in jenen wirklichen Hungerjahren nicht ganz andere Probleme gab. Die Antwort liegt auf der Hand:

Kunst ist ein menschliches Grundbedürfnis. So weit wir auch in der Anthropogenese zurückgehen, stets werden wir es sehen: Wo auch immer ein Mensch als Mensch auftritt, hat er Kunst im Gepäck. Die Kunst ist, wenn wir so wollen, ein konstitutives Moment der Menschwerdung. Und gerade in Zeiten äußerer Not ist die Sehnsucht nach Kunst, die Hoffnung auf Schönheit besonders groß. (Das ist auch eine Botschaft an alle Technokraten und MINT-Prediger, die Kunst und Kultur als nicht systemrelevant abtun zu können glauben).

Noch im November 45 konnte sich Lieselotte jedenfalls an der Akademie für Grafik und Buchkunst in Leipzig einschreiben.

Es war kein gutes Studium, sagt sie heute. Die neuen Lehrkräfte mögen gute Maler gewesen sein, ihnen fehlten die Fähigkeiten zum Umgang mit Studenten. Die Gelegenheit, Meisterschülerin bei Max Schwimmer zu werden, hat sie ausgeschlagen – sie hat sich damit um die Möglichkeit gebracht, in späten Jahren der me-too-Bewegung beitreten zu können …

Lieselotte hielt sich mehr in den Druckwerkstätten auf. Dort saßen Männer, die ihr Handwerk verstanden und der jungen Frau, die etwas lernen wollte, solide Grundlagen vermittelten. Sie weiß also noch, wie Lithographenschiefer aufgearbeitet wird. Ohne Handwerk keine Kunst, sagt die Malerin noch heute.

Ihre Zugehörigkeit zur Studentengemeinde wurde ihr von den Oberen der Hochschule freilich ebenso übelgenommen, wie ihr demonstratives Desinteresse an einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung. So verzichtete sie 1950 von sich aus auf die Diplomprüfung. Immerhin hatte sie die Anerkennung als freischaffende Künstlerin schon nach dem ersten Semester erhalten. Darauf ließ sich aufbauen.

Und so sehen wir die junge Künstlerin nach durchtrotztem Studium mit der Mappe unterm Arm einen weiteren Beweis für Lebenskraft und Tapferkeit antreten: Auf der Buchmesse zog sie von Tür zu Tür, von Verlag zu Verlag, legte ihre Arbeiten vor und fragte nach Aufträgen. Ernst Wunderlich war mit seinem Jugendbuchverlag der erste, der sie unter Vertrag nahm. Später kamen andere hinzu. Über Jahrzehnte hat sie nachher nicht nur für Meyers Lexikon und den Berliner Akademie Verlag wissenschaftliche Zeichnungen angefertigt. Das war vielleicht keine große Kunst, aber es hielt die Hand in Bewegung. Immerhin durften bei ihr die Vögel fliegen und die Hasen hoppeln, wie sie es gerne wollten. Und wenn es auch nicht viel eingebracht hat, so hat es doch zum Unterhalt beigetragen.

Schon während der Studienzeit hatte Lieselotte den Musikstudenten Willi Finke kennengelernt. Das ist in jungen Jahren zum Glück immer noch unvermeidlich. 1950 haben sich die beiden gegenseitig geheiratet. Als Willi schließlich drei Jahre später in Radebeul an den Landesbühnen eine Stelle als Flötist erhielt, konnte sich Lieselotte als mitreisende Ehefrau erweisen. Sie konnte schließlich ihre Bilder überall malen, er musste dort flöten, wo sein Orchester war. Unvergessen bleibt neben vielem anderen sein Flaschenquartett. Da machten gestandene Männer mit mehr oder weniger gefüllten Flaschen so anspruchsvolle Musik, dass sie sogar ins Fernsehen kamen. Ich stelle mir vor, dass auch das Eheleben voll munterer Musik und eine durchaus heitere Angelegenheit war. Und Sohn Max hatte das Glück, vom ersten Tage an in Radebeul aufwachsen zu können.

Hatte Lieselotte für ihre Illustrationen konkrete Aufträge, schöpft sie ihre freien Arbeiten ganz aus sich heraus. Ihr zentrales Thema ist das Leben selbst. Das klingt banaler als es ist. Die Malerin hatte sich ergreifen lassen von Geist und Werk Albert Schweitzers: Ehrfurcht vor dem Leben: Alles, was die Zeit ihrer Kindheit und Jugend hatte vermissen lassen, alles, worauf sich in den Jahren persönlichen und gesellschaftlichen Aufbruchs hoffen ließ, alles, was ein würdevolles Dasein ausmacht, findet sich in diesem Wort zusammengefasst. Ihr Grafikzyklus Weg des Lebens – Weg des Todes macht allerdings anschaulich, dass sie sich der Fragilität des Glücks durchaus bewusst war. Dennoch oder gerade deswegen wollte sie ihre eigene kleine Stimme einbringen in den Chor der Mahner. Ich sehe ihre Grafik Kinder sind keine Zielscheibe in großer geistiger Nähe zu dem Kollwitz’schen Druck Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden. Und ich erinnere an Lieselottes Zyklus zum Vietnamkrieg. Das ist doch heute alles wieder aktuell, sagt sie dazu.

Ja, leider ist das alles wieder aktuell! Und die sich für zivilisiert haltende Menschheit sollte sich dafür schämen!

Natürlich stehen christliche Themen in ihrem Oevre ganz oben. Die Bedingtheit von Leben und Tod findet sich nirgends besser gespiegelt, als in der Spannung zwischen Karfreitag und Ostern. Besonders eindrucksvoll ist für sie Pendereckis Lucas-Passion, die sie auf ihre Weise grafisch umgesetzt hat. Damit ist zugleich wieder der Bogen zur Musik gespannt. Wie hätte sie als Malerin dreiundfünfzig Jahre lang mit einem Musiker verheiratet ein können, ohne mit Farben auf Klänge zu reagieren!

Viel Freude – und um Freude geht es ja heute zu allererst – hat sie sich und ungezählten anderen mit ihren Portraits bereitet, speziell mit Kinderportraits. Kinder haben es ihr angetan. Die sind immer sie selbst, sagt Lieselotte. Auch alte Menschen, die niemandem mehr etwas beweisen müssen, geben sich natürlich. Lieselotte versteht es, dem Alter im Portrait die ihm gebührende Würde zu verleihen. Problematisch sind für die Malerin die Jahrgänge dazwischen. Da wollen die Menschen etwas darstellen, und danach setzen sie sich in Positur. Doch Frau Finke-Poser hat gelernt, zwischen Haltung und Pose zu unterscheiden. Es ist jedenfalls nicht so ganz einfach, wirklich an einen Menschen heranzukommen. Am besten geht das dort, wo sie beschäftigt sind. Dirigenten, sagt sie, haben beim Dirigieren gar keine Zeit, auf Äußerlichkeiten zu achten. Aber – gleichgültig ob alt oder jung, Dirigent oder Hausfrau – für ein Portrait musst du richtig arbeiten, wenn es gut werden soll, ist die Künstlerin überzeugt. Und richtig gearbeitet hatte sie natürlich auch an ihrem Alber-Schweitzer-Portrait. Sie hat ihm zwei Drucke nach Lambarene in den Urwald geschickt und eins davon mit seiner Unterschrift zurückerhalten. Ein Erfolg, auf den sie noch heute, sechzig Jahre später, stolz ist.

Alle machen Landschaft. So war ihr erster Eindruck, als sie vor neunundsechzig Jahren begann, sich der hiesigen Kunstszene zu nähern. Da wollte sie nicht auch noch einstimmen. Sie hatte, wir hörten es, genügend eigene Themen, mit denen sie sich einen festen Platz in Radebeul sicherte. Einen festen Platz hat sie auch auf dem Radebeuler Grafikmarkt, den sie mit aus der Taufe hob, und wo sie demnächst zum vierundvierzigsten Mal auf ihrem Stuhl neben ihren Arbeiten sitzen wird.

Nach 1990 dann aber kam sie auf die Landschaft zurück. Radebeul ist einfach unergründlich, sagt sie. Immer wieder findet sie neue Ecken, neue Blicke, auf die sie aufmerksam machen möchte. Sie will Anregungen geben, selbst hinaus zu gehen und die Schönheit – solange es sie noch gibt – im Original zu genießen. Seit nunmehr sechsundzwanzig Jahren gestaltet sie ihre Radebeul-Kalender aus genau diesem Grund. Der neue ist schon fertig.

Sie sucht dabei bewusst die schönen Seiten auf: Die Menschen, sagt sie brauchen Schönheit, gerade wieder in unseren Tagen.

Lassen wir sie zum Schluss noch einmal selbst zu Wort kommen:

Kunst, so meine ich, soll den Menschen herausheben aus dem Alltag, ihn erfreuen und nachdenklich machen, ihm eine Botschaft bringen. Wie die Musik, die mich bereichert, gehört auch die Malerei zu den „Schönen Künsten“.

Dem ist von hier aus nur noch eines hinzuzufügen:

Herzlichen Glückwunsch, liebe Lieselotte, zum Radebeuler Kunstpreis 2022!

Thomas Gerlach, Sept./ Okt. 2022

 

Die Redaktion von „Vorschau und Rückblick“ gratuliert der Malerin und Grafikerin Lieselotte Finke-Poser zur Verleihung des Radebeuler Kunstpreises. Wer sich für die humorvolle Seite der Künstlerin interessiert, dem sei die Titelbildserie mit den hintersinnigen Tierkarikaturen und den das Geschehen kommentierenden Begleittexten aus dem Jahr 2014 empfohlen, welche jederzeit im Internet unter www.vorschau-rueckblick.de, Archiv 2014 abrufbar ist.

Redaktion

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