Die Erbsünde

Die Welt ist schon eigenartig. Je länger sie existiert, umso komischer und verzwickter wird sie. Es entsteht der Eindruck, als wüsste sie nicht ein noch aus und schlägt nun wild um sich. Ob daher die ewig gültige Auffassung herrührt, dass zu Großmutters Zeiten immer alles besser war? Oder liegt das etwa daran, dass einfach das Gedächtnis nicht mehr so will, wie man selber? An die schönen Dinge des Lebens erinnert sich jeder natürlich auch viel lieber. Da kann man schon mal all die Backpfeifen vergessen, die es gesetzt hat, wenn wieder Bockmist gebaut wurde. Und Bockmist gibt es auf dieser schönen Welt mehr als die Menschheit verkraften kann.
Schaut man also in die Geschichtsbücher – mal beiseitegelassen, dass man da auch nur lesen kann, was gerade noch so durchgeht – fallen einem die Schuppen von den Haaren. Da kann man feststellen, dass es nur so vor Katastrophen, Hungersnöten, Gewaltverbrechen, Revolten und Kriegen wimmelte. Allein beim Letzteren führt das vergangene Jahrhundert die Schreckenliste unangefochten an, was sicher auch daran liegen mag, dass man besser zählen gelernt hatte. Will sagen, dass das mit der Kommunikation besser zu klappen schien. Man wusste also mehr von einander aber wiederrum auch nicht. Sonst hätte man sich sicher noch an den weisen Satz des Dichters Aristophanes erinnert, der schon 423 vor unserer Zeitrechnung feststellte, dass „Ein wahres Elend, der verdammte Krieg!“ sei.

Der Mensch aber ist so ungeheuerlich vergesslich. Und Athen spielte in jenen Jahren den „starken Max“ in der Ägäis und dem östlichen Mittelmeer und war gewillt seine Hegemonie auszuweiten. Die Demokratie stand da nur noch auf der Papyrusrolle. Keine zehn Jahre nach Aristophanes Erkenntnis griff eine mächtige Athener Kriegsflotten Syrakus an. Der Größenwahn endete 413 v. u. Z. für die Athener in einer Katastrophe und für viele ihrer Kämpfer in der Sklaverei. Nichtsdestotrotz griff man zwei Jahre später erneut zu den Waffen. Gegner gab es ja in dieser Stadtstaatenregion genügend. Und so schlug man die Seeschlacht von Kynossema, bei der die Athener Flotte die von Sparta besiegt haben soll. Die wiederum hatte im vorangegangenen Krieg Syrakus gegen Athen geholfen. Der Sieg der Athener aber war eher ein Papyrussieg, denn die Spartaner und ihre Verbündeten konnten sich nach Verlusten erfolgreich zurückziehen. Der positive Aspekt bestand allerdings darin, dass in Folge dieses „Sieges“ die zuvor in Athen installierten Oligarchen gestürzt wurden und die Demokratie wieder errichtet werden konnte. Ob die Führer der Russen und der Amerikaner daher einen Faible für derartige Spielchen haben, konnte bisher nicht geklärt werden. Bedauerlich aber war bei diesem Gemetzel im nassen Element der Saga nach, dass auch der attische Komödiendichter Eupolis sein Leben lassen musste. In Gegensatz zu Aristophanes soll dieser allerdings dem Krieg mehr zugeneigt gewesen sein.

Fakt aber ist, dass seit diesen Zeiten Kriege auf Kriege folgten, die Natur und die Menschen keine Ruhe und kein friedliches Leben mehr finden sollten. Die Seeschlachten aber sind mittlerweile regelrecht aus der Mode gekommen, was eigentlich zu bedauern ist, hielten sich doch dabei die Verluste an Menschenmaterial in Grenzen. Besser wäre auch, wenn alle Armeen sich in einer kilometerlangen Schlachtordnung gegenüber aufstellten – wie das noch im Siebenjährigen Krieg üblich war – und auf Kommando aufeinander losstürmen würden. Noch besser wäre allerding, das Spiel den Feldherren selbst zu überlassen und die Mannschaft könnte sich die Sache genüsslich ansehen. Das würde Ausrüstung und Menschen schonen, die für das nächste Spiel wieder zur Verfügung stünden, sobald neue Feldherrn gefunden wurden. Kriegsspiele sind leider seit der Antike nicht aus der Mode gekommen. Soll man doch den Herren ihr martialisches, mörderisches „Spiel“ lassen, dann aber eng eingezäunt in einem Reservat mit Ein- und Ausgangskontrolle. Denn wie merkte einst Heinrich Mann in seinem berühmten Essay Freundschaft. Gustav Flaubert und George Sand an: „Der Krieg ist eine Schande, unter der ein Kulturmensch erbebt…“. Aber dieses Bürgertum, von dem Mann schrieb, für die die Ästhetik, der zwar eine gewisse Lebensfremdheit anhaftete, eine unverzichtbare Maxime gewesen sein soll, ist spätestens mit dem Ersten Weltkrieg untergegangen.

Wie verkommen muss man eigentlich sein, wenn man mit wehenden Fahnen und Liedern auf den Lippen in die Barbarei zieht? Wie abgebrüht ist der Mensch, der immer perfektere Waffen entwickelt? Schon der Schauspieler Kurt Böwe stellte ernüchternd fest: „Die Menschheit ist zu allem fähig; die Erbsünde kriegen wir nicht wieder los.“

kuba

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