Weltklassiker als modernes Kammerspiel

Oberspielleiter Peter Kube verabschiedet sich mit Faust I von den Landesbühnen Sachsen

Punktgenau zum Osterfest wartete das Schauspielensemble der Landesbühnen Sachsen mit einer Neuinszenierung von Goethes Faust I auf. Immerhin wird um die Ostertage herum der eine oder andere den berühmten Osterspaziergang nach besten Kräften und Ermessen bis zur erinnerten Zeile vor sich hin deklamieren.
Mit besonders großer Spannung wurde von Publikum und Presse dem Premierenabend entgegengefiebert, denn einerseits handelt es sich hier um einen der wirkmächtigsten deutschen Klassiker schlechthin und andererseits setzt Oberspielleiter Peter Kube nach zehn Jahren als (fester) Regisseur seinen künstlerischen Schlussakkord an diesem Haus.
Über die Gestalt des suchenden Fausts existieren im kulturellen Gedächtnis überdies derart viele Klischees und vorgefertigte Bilder, dass es wohl unmöglich erscheint, unbefangen in eine Neuinszenierung gehen zu können.
Felix Lydike wird mit seinem Alter um die 30 wohl sicher nicht schlecht geschaut haben, sich als Dr. Faustus besetzt zu sehen. Zudem schlug für Matthias Avemarg an diesem Haus wiederholt eine unerwartet glückliche Stunde. Spielte er bei seinem Erstengagement vor vielen Jahren durch kurzfristige Umbesetzung den Mackie Messer in der Dreigroschenoper, stieg er nun aufgrund der Erkrankung von Tom Hantschel unverhofft in die Rolle des Mephistos.
Es dauert anfangs vielleicht eine Spur zu lang bis das Stück in die Gänge kommt. Gleichwohl, der Text will in seinem Versmaß ja gesprochen und durchdacht sein.

Szene mit Felix Lydike als Dr. Heinrich Faust und Matthias Avemarg als Mephistopheles Foto: H.-L- Böhme

Lydike überzeugt mit seinem jugendlichen Faust überaus und nimmt so schließlich den verjüngenden Pakt mit dem Teufel optisch vorweg. Dem beachtlichen Textkonvolut stellt er sich souverän und ohne großen Pathos. Sein Getriebensein auf der Suche nach des Pudels Kern ist in jeder Faser spürbar.
Avemarg gibt seinem Mephisto als Widerpart von Anbeginn mit größter diabolischer Spielfreude den dankbaren Zucker, welche die Rolle in all seinen Facetten hergibt. Das Bild des „Ver – Führers“ mit Schnürstiefel anstelle der Teufelshufe und angeklatschtem Führerscheitel erscheinen dann aber doch konzeptionell etwas zu schulmeisterlich.
Die Inszenierung in der Ausstattung von Barbara Blaschke (Bühne und Kostüm) beschränkt sich zumeist und kompromisslos wohltuend auf das Wesentlichste. Eine steile Treppe, gedreht in verschiedenen Positionen, bietet Raum für vielgestaltige Bühnenbilder. Es braucht eben keine gotisch gewölbte Studierstube mit zahllosen Büchern und angestaubten Artefakten, die Regie vertraut auf das konzentrierte Zusammenspiel von Worten und Gesten.
Das Volk ist hier in seinem bunten Gewimmel eben nicht nur farbig und korrekt gekleidet, sondern spiegelt mit Jogginghose und Grillwurstoutfit den tatsächlichen Zeitgeist wieder.
In Auerbachs Keller lässt Mephisto die trunkene Personage kopfüber gar in Blecheimern tauchen.
Respekt zudem an Julia Vince, die als Erdgeist mit einem E-board quasi schwerelos und überaus gekonnt über die Bühne rollt. Kleine Mätzchen hier und da, die aber als durchaus vergnüglich anzusehen sind.
Erfrischend ab dem zweiten Teil besonders Tammy Girke als Gretchen, die mit spielerischer Raffinesse den alten Text über dem historischen Kontext hinaus lebendig werden lässt. Während zu Beginn mit Mephisto die intellektuelle Trockenheit des Geists im Vordergrund steht, drängt sich in der Begegnung mit Gretchen die Liebe und das Leben mit all den menschlichen Abgründen auf. Gefangen in den unüberwindlichen Konventionen der Zeit ist das ungleiche Paar zum Scheitern verurteilt. Das erhoffte irdische Glück bleibt unwirkliche Vision und führt schließlich mit dem Tod Gretchens zum tragischen Ende.
Vorzüglich im übrigen die Idee mit der musikalischen Umrahmung. Auf der Vorbühne rechts und links das Bühnenportal flankierend, agieren über weite Strecken zwei Musiker (Hendrik Gläßer und Stefan Köcher) an Marimbaphone, Vibraphone und Percussion. Mal zurückhaltend, mal fordernd malen sie einen stimmungs- wie wirkungsvollen musikalischen Teppich in die Szenerien hinein.

Das Publikum goutierte die kurzweilige Inszenierung am Premierenabend für alle Beteiligten mit langem anhaltenden Applaus und zum Teil stehenden Ovationen.
Großen Dank an Peter Kube der mit langem Atem an diesem Haus das Publikum mit heiteren und ernsten Themen gleichermaßen beglückt hat.

Sascha Graedtke

 

 

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