Zwischen Tradition und Perspektive
Wieder einmal ein Jubiläum! Nein, kein besonders Rundes, dafür aber ein recht bemerkenswertes. Denn der 45. Radebeuler Grafikmarkt ist der älteste Grafikmarkt in Sachsen in geschlossener Folge. Weder der gesellschaftliche Umbruch noch der Umzug von Ost nach West, selbst die Corona-Pandemie führten zu einer Unterbrechung. Immer wieder wurden organisatorische Lösungen gefunden, um die Fortführung dieser traditionsreichen Veranstaltungsreihe zu ermöglichen.
Die Anregung, in Radebeul einen Grafikmarkt zu etablieren, kam ursprünglich von Fritz Treu (1908-2009), dem damaligen Vorsitzenden der Radebeuler Pirckheimer-Gesellschaft, einer Vereinigung von Graphik- und Exlibris-Sammlern. Der Start erfolgte 1979 im Rathaus unter Beteiligung von 24 Künstlern. Nach Auflösung der Ortsgruppe des Kulturbundes, in welche die „Pirckheimer“ eingebunden waren, übernahm die Stadtverwaltung Radebeul ab 1990 die Trägerschaft. Die Organisation obliegt seitdem der Stadtgalerie. Wo ein Wille ist, findet sich immer wieder ein Weg!
Aber auch der Weitsicht unserer Vorfahren ist es zu danken, dass in Radebeul eine so großräumige Mehrzweckhalle existiert, welche im Jahr 1908 ursprünglich als offene Schützenhalle errichtet, später mehrfach umgebaut, u. a. als Sänger-, Konzert- und Messehalle sowie heute vorwiegend als Sporthalle genutzt wird. Mit einer Ausstellungsfläche von 900 qm und zahlreichen PKW-Stellplätzen auf der angrenzenden Festwiese bieten sich optimale Bedingungen für diese kulturelle Großveranstaltung. Zu den Standortvorteilen gehört vor allem aber auch die gute Erreichbarkeit mit S-Bahn, Bus und bald wieder mit der Straßenbahn.
Der Radebeuler Grafikmarkt ist im doppelten Sinne barrierefrei. Alle Stationen befinden sich auf einer Ebene und der kostenlose Eintritt – Dank städtischem Zuschuss und vieler ehrenamtlicher Helfer – ermöglicht den Zugang für jedermann. Auch das Standgeld für die 107 teilnehmenden Künstler ist erschwinglich. Die Zahl der Bewerbungen übersteigt die Platzkapazität allerdings bei weitem. Dominiert wird der Grafikmarkt in diesem Jahr von 22 Künstlern aus Radebeul und 44 aus Dresden. Gleich 5 Künstler haben sich aus Halle an der Saale angemeldet. Besonders für freischaffende Einzelkünstler, die in kleineren Städten und Gemeinden leben, haben die in Dresden, Meißen und Radebeul stattfindenden Grafikmärkte eine große Bedeutung.
Wer beim Radebeuler Grafikmarkt schon einmal dabei war, der kommt gern immer wieder. Die vielgescholtene „Schlafstadt Radebeul“ zeigt sich hier von ihrer munteren Seite. Sehen und gesehen werden lautet die Devise. Das Publikum ist bunt gemischt, darunter Kunstinteressierte, Neugierige und Sammler. Die einen kommen zielgerichtet, um zu kaufen, die anderen, um erstmal zu „guggn“. Die Fülle der Eindrücke ist überwältigend. Das vielfältige Angebot umfasst neben druckgrafischen Arbeiten auch Aquarelle, Zeichnungen, Scherenschnitte, Collagen und Fotografien. Die Werke stammen von etablierten, akademisch ausgebildeten, aber auch von jungen, noch völlig unbekannten Künstlern sowie von begabten Autodidakten. Künstlerbücher, Kataloge, Plakate, Kalender und Postkarten tragen zur Angebotsvielfalt bei. Wer hier keine Weihnachtsgeschenke findet, ist selber schuld!
Eine kleine Pause sollte man sich im Künstlercafé gönnen und ein Stück vom selbstgebackenen Kuchen des Förderkreises der Stadtgalerie probieren, zumal das süffisante Motto lautet: Jede Kalorie dient einem guten Zweck! Die optische Ausgestaltung des Cafés erfolgt durch die überregional agierende Gruppe „Kunstspuren“ und das diesjährige Grafikmarkplakat schuf der Dresdner Künstler Hartmut Trache. Der Radebeuler Künstler André Uhlig wiederum zeigt, wie eine Grafik an der Presse entsteht. Stationen zum Mitmachen gibt es für Kinder und Erwachsene. Angeboten wird ein Passepartouts- und Rahmungsservice, Verlage informieren über ihre Neuerscheinungen und der Wandertheaterförderverein präsentiert seine Weinsonderedition mit einem originellen Künstleretikett. Auch die Redaktion von „Vorschau & Rückblick“ ist wieder mit einem eigenen Stand vertreten, um mit den Lesern ins Gespräch zu kommen oder neue Interessenten zu gewinnen.
Auf die Frage, was denn nun die Künstler reizt, am Radebeuler Grafikmarkt teilzunehmen, kommt von vielen die erstaunliche Antwort, dass es Ihnen nicht in erster Linie um den Umsatz geht. Angezogen fühlen sie sich von der besonderen Atmosphäre. Es ist die Nähe zum recht bodenständig gemischten, kommunikationsfreudigen und aufgeschlossenen Publikum, der direkte Austausch über Kunst, die seltene Gelegenheit zum Fachsimpeln mit den Kollegen, die Möglichkeit alte Kontakte aufzufrischen und neue zu knüpfen. All das wirkt sich in seiner Komplexität motivierend und nachhaltig auf das künstlerische Schaffen aus. Wer sich darauf einlässt, vor Ort präsent zu sein, ist danach zwar ziemlich erschöpft, aber wohl auch ein wenig glücklich über die vielen anregenden Impulse.
Wenn der Radebeuler Grafikmarkt von allen Beteiligten weiterhin so engagiert mit Leben gefüllt wird und die verantwortlichen Organisatoren die künstlerische Qualität als Auswahlkriterium im Blick behalten, kann man recht zuversichtlich sein, dass diese traditionsreiche Veranstaltungsreihe auch künftig eine gute Perspektive hat.
Karin (Gerhardt) Baum
Info: Der Radebeuler Grafikmarkt findet am 5. November 2023 von 10 bis 18 Uhr in der Elbsporthalle Radebeul-West statt. Organisation, Kontakt und Information: Stadtgalerie Radebeul, Alexander Lange und Magdalena Piper, (0351) 8311-600, -626, galerie@radebeul.de
Der Grafikmarkt-Flyer ist online abrufbar und liegt außerdem im Radebeuler Rathaus, dem Kulturamt, der Stadtgalerie, der Tourist-Information sowie in allen Radebeuler Kultureinrichtungen und Buchhandlungen aus.
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Tipp: Interessante Lesebeiträge zur wechselvollen Geschichte des Radebeuler Grafikmarktes finden sich u.a. in den Print- und Onlineversionen des kulturellen Monatsheftes „Vorschau und Rückblick“ 1990/12, 2014/12, 2015/10, 2018/11.