Radebeuler Miniaturen

Nachhall-tig

Wie ich in die Küche trete, zieht Ulrike mißliebig die rechte Augenbraue nach oben. Du kommst spät, sagt sie, ich hab schon angefangen. Damit legt sie, ihre Abendmahlzeit beendend, ihr Messer auf den Teller.

Ich weiß, sag ich, heute war Hajo da, das dauert immer – immerhin … der denkt ja, ich warte auf ihn, wenn ich dort sitze, aber heute hat er was zu erzählen gehabt.

Kommt also rein, der Hajo, läßt eine sauschwere Tasche fallen, hockt sich neben mich an die Theke und sagt erstmal lange nichts.

Wohnst du noch in der alten Bude da oben? fragt er dann. Hab da was für dich. Er klopft auf die Tasche, es klirrt: altes Eisen, Beschläge von Türen, Fenstern, alten Truhen und so weiter. Ist alles, was übrig ist, sagt er dann – kannste haben.

Ich hatte doch auch so‘ne alte Hütte da draußen. Hatte mirs schön zurechtgemacht, war nicht groß, aber für mich genug. Für stille Zeiten, dachte ich mir – dann kam Silvester. Vorsorglich hatte ich ein Schild angebracht: Raketenfreier Garten – ich mag die Dinger nicht, hab mal beim Militär damit rumspielen müssen, wird mir heute noch übel bei dem Gedanken – und dachte, meine Ruhe zu haben. Aber weit gefehlt: Das Schild hat die Knaller geradezu angezogen. Na, und einer hats dann geschafft, als ichs bemerkte, brannte schon das ganze Dach. War natürlich keiner mehr da von den Brüdern …

Jedenfalls schlafe ich jetzt im Spritzenhaus, zwischen nassen Schläuchen ist Platz genug für Tisch und Bett. Und manchmal stöbere ich zwischen den Resten. Alles Brauchbare ist in der Tasche hier …

Ulrike schluckt. Du verstehst, sag ich, nach so‘ner Rede kann ich nicht einfach aufstehn und gehen – die Tasche steht übrigens im Flur …

Und dann kommt auch noch Ebbs. Prost sagt der und pflanzt sich neben uns auf. Komme grade vom Gericht. Zwei Jahre auf Bewährung …

Pflichtbewußt zeigen wir erstaunt fragende Mienen und er fährt fort: Ich stelle doch am Silvestertag immer `ne Schale Wasser in den Briefkasten, damit die Burschen mir den nicht schon wieder zersprengen. Diesmal aber wollte einer noch schlauer sein und wartet mit dem Einwerfen des Knallers. Aber er wartet zu lange: Zwei Finger werden wohl steif bleiben.

Und wieso wirst du da verurteilt?

Fahrlässige Körperverletzung, sagen sie, ich hätte das voraussehen müssen, sagen sie …

Unglaublich, stöhnt Ulrike – hoffentlich bekommt Hajo wenigstens was von der Versicherung.

Wahrscheinlich auch nicht, er hats ja provoziert …

Ulrike schenkt sich selbst einen Whisky ein. Das zeugt von außergewöhnlicher Erregung. Einfach furchtbar, was du hier erzählst, sagt sie dann – und nach einer Weile: Wenn ich nicht wüßte, daß heute erster April ist hätte ich das glatt geglaubt.

Das, sag ich, ist das eigentlich Schlimme …

Thomas Gerlach

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