HAUS BREITIG – Maxim-Gorki-Straße 22 (Teil 1)

Breitig mit Pferden, Radierung von Johannes Thaut, 1979, Foto: Fam. Thaut

Einmal über dieses schöne Winzer- und Herrenhaus in der Vorschau zu schreiben, hatte ich schon lange vor. Es liegt mir nahe, das zu tun, nur, es war wohl immer ein anderes Thema scheinbar gerade wichtiger. Auf das Haus und viele andere interessante Radebeuler Häuser hatte mich schon der Lehrer Horst Olschock in der Oberlößnitzer Schule, bzw. in der AG Heimatpflege um 1954 aufmerksam gemacht. Seitdem hatte ich das Haus mit Unterbrechungen immer mal wieder im Blick gehabt.
Räumliche Einordnung des Haus Breitig:

Beginn des Rückbaus und Materiallager, 1983, Foto: Fam. Jäger

Richtfest am 17. 8. 1984 mit Zimmerleuten und dem Bauherren-Ehepaar Jäger (links), Foto: Fam. Jäger

Es liegt im östlichen Teil Radebeuls, in Oberlößnitz, einem Teil der bis etwa 1600 zur Jungen Heide gehörte und bezogen auf die anderen Radebeuler Gemeinden erst sehr spät besiedelt wurde. Ein Vorgängerbau ist an dieser Stelle eher nicht zu vermuten. Das Jahr der Errichtung 1650 klingt etwas zu glatt, taucht aber in den schriftlichen Quellen auf. Eine Errichtung ein paar Jahre früher, hieße, dass der Bau während des Dreißigjährigen Krieges erfolgt sein müsste, was ich mir nicht vorstellen kann. Dr. Jäger hatte 2001 drei Holzproben vom Haus Breitig über das LAfD zur dendrochronologischen Untersuchung gegeben – die Ergebnisse mit Fälldaten von 1596, 1636 und 1654 lassen sich schwer zuordnen, die ersten beiden Jahre sprächen doch für einen eventuellen Vorgängerbau oder für am Breitig 1650 zweitverwendete Hölzer von einer anderen Adresse. Das Winzerhaus mit zweigeschossigem Fachwerk war der Niederen Berggasse (einem Feldweg), später Untere Bergstraße (einschl. Nizzastraße), dann Russenstraße (bezogen auf die ehem. Gaststätte) und ist heute der Maxim-Gorki-Straße zugeordnet. Früher bildeten die Winzerhäuser „Zum Russen“ (Hauptstraße 47), Haus Breitig (M.-Gorki-Str. 22), Lindenhof (M.-Gorki-Str. 18) und Haus Thieme (Nizzastr. 69) ein lockeres städtebauliches Ensemble inmitten von Weinbergen. Heute ist durch die Verdichtung der Bebauung seit dem letzten Viertel des 19. Jh. dieser Zusammenhang kaum noch erkennbar. Zum Haus Breitig gehörten durch Zu- und Verkauf seit dem 17. Jh. unterschiedlich große Weinberge, auf jeden Fall aber der Flurstreifen nördlich des Hauses im flach geneigten Gelände und auch im Steilhang. Das heutige Grundstück ist mit den Flurstücksnummern 46 und 461 der Gemarkung Oberlößnitz ausgewiesen. Der Name Haus Breitig bezieht sich auf die Familie Breitig, die das Anwesen von 1897 bis 1952 besaß. Es wurde im Volk als der „Russenbreitig“ zum Unterschied zum „Eckenbreitig“ (an der A.- Bebel-Str., Ecke Waldstr., abgerissen Mitte der 80er Jahre), genannt. Russenbreitig als im Volk verbreiteter Name, meint die Nähe von Haus Breitig zur ehem. Gaststätte „Zum Russen“, Hauptstr. 47.

Gestalt und Konstruktion des Haus Breitig:
Es ist der Grundtyp eines Winzerhauses der Lößnitz, mit 9 x 14m im Grundriss aber etwas größer als die meisten anderen Winzerhäuser. Nach Haus Hoflößnitz ist es das stattlichste Winzerhaus in Radebeul. Die Besonderheit dieses Hauses darf man im zweigeschossigen Fachwerk und im 6,70m hohen Dachstuhl des Walmdaches sehen. Die frühere Gründung der Außenwände bestand nur aus horizontal verlegten Eichenholzbalken, die über die lange Zeit verschlissen waren – seit 1985 besteht nun die Gründung aus zwei Lagen Sandsteinquadern auf allen vier Seiten. Im mittelsächsischen Raum sind Verzierungen im Fachwerk wie z.B. in Harzstädten nicht üblich, so dass es nur durch den Rhythmus des konstruktiven Fachwerks auf den Betrachter wirkt. Die Eckstiele waren und sind auch wieder Eichenhölzer, das übrige Fachwerk besteht aus Nadelhölzern. Die Fachwerkhölzer wurden z.T. erneuert, während der Dachstuhl insgesamt aus neuen Hölzern besteht. Wolfram Jäger hatte hierfür den Meißner Zimmererbetrieb Roik gewinnen können. Die Hölzer wurden dunkelbraun gestrichen und bilden einen starken Kontrast zu den fast weißen Gefachen. Bei der Rekonstruktion durch Dr. Jäger ab 1984 wurden Fenster und Türen innerhalb des Fachwerks z.T. variiert – die Wohnräume bekamen so etwas mehr Helligkeit. Innere Ausschmückungen des Hauses sind nicht bekannt, bzw. in der Zeit des Gebäudeverfalls möglicherweise verlorengegangen. Reste einer älteren Farbfassung sind in einem Raum inselartig zu erkennen. Ein Anbau auf der Westseite (aus dem 18. Jh.), unter Bezug auf die Bergmannssprache scherzhaft als „Arschleder“ bezeichnet, konnte in Abstimmung mit den Behörden abgebaut werden, sodass das Haus wieder die Form von 1650 erhielt. Es hat damit die Idealform eines Winzerhauses zurückbekommen. Auf der Nordseite des Hauses zeichneten sich Spuren einer älteren Außenerschließung des OG durch Treppe und oberen Laubengang ab. Diese Lösung wurde aber bei der Rekonstruktion nicht zum Ziel gestellt, heute besteht eine Innentreppe. Viele Arbeiten konnte der Bauherr Dr. Wolfram Jäger, gelernter Zimmermann, Bauingenieur und Statiker selbst erledigen. Er hatte aber über die Zeit (der Bau war dann 1990 fertig) auch einige Helfer aus der Familie, von Freunden und Kollegen, darunter das damalige Aktiv für Denkmalpflege mit Dr. Meyer-Doberenz als Leiter.
Das mit roten Biberschwanzziegeln gedeckte Dach war ursprünglich (17. Jh.) mit kleinen Schleppgaupen versehen, wovon aber nur zwei auf der Westseite überkommen waren. Auf den übrigen Seiten bestanden seit der Barockzeit z.T. zweireihige Fledermausgaupen. Die hatten auch ihren Reiz, aber der Bauherr wollte sich auch hier auf den Ursprungsbau (Skizze in der Nienborg-Karte) von 1650 beziehen. So bekam Haus Breitig durch Genehmigung jetzt einheitlich Schleppgaupen. Das Winzerhaus besitzt zwei Weinkeller, einer auf der Westseite (von außen ist ein Stück Kellerhals zu erkennen), der zweite unter dem vermuteten Pressraum gelegene Keller ist durch eine Innentreppe erschlossen. Im 19. Jh. gehörten noch zwei Nebengebäude zum Grundstück, wovon das eine mit einem Streifen Land abgetrennt und verkauft worden war – heute M.-Gorki-Str. 24. Das andere alte Nebengebäude wird jetzt als Garage und Werkstatt von Familie Jäger genutzt.
Einen Vergleich mit dem Trobischgut Baumwiese (vergl. V&R 06/22) braucht unser Haus nicht zu scheuen – beide zwei sehr stattliche Winzerhäuser. Wenn man das Haus Breitig mit etwas Fantasie betrachtet, möchte man auch fast an einen Doppelgänger von Goethes Gartenhaus in Weimar denken, es sind ähnliche Proportionen!

Dietrich Lohse

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