Aus den Aufzeichnungen des Altbauern Max Klotzsche
Max Klotzsche (1873–1965) ist den Lokalgeschichtsinteressierten durch seine in den 30er Jahren entstandene und 2009 von Christian Grün im Radebeuler Notschriften Verlag herausgegebene »Chronik von Serkowitz« bekannt. Ab 1900 bewirtschaftete Klotzsche das von seinem Vater übernommene Gut Altserkowitz Nr. 3, das er 1936 an Sohn Rudolf übergab. Im Ruhestand, nun in Radebeul-Niederlößnitz wohnhaft, widmete er sich weiter seiner Familienchronik und heimatkundlichen Forschungen. Den 1939 von Deutschland begonnenen (II. Welt-)Krieg betrachtete Klotzsche »von Beginn an als ein Verbrechen der Nationalsozialisten und ein namenloses Unglück für das deutsche Volk« (C. Grün). Über sein Ende und die Maitage 1945 in Radebeul hinterließ er einen detaillierten Bericht, der die bisher bekannten Darstellungen von Zeitzeugen anschaulich ergänzt. Zur 80. Wiederkehr der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft veröffentlicht ›Vorschau & Rückblick‹ in Fortsetzung Auszüge daraus, ausgewählt und mit Anmerkungen von Frank Andert.
Nachdem Hitler am 1. Mai in Berlin angeblich gefallen [war], fiel die Reichshauptstadt am Mittwoch, dem 2. Mai in russische Hände. […] Nunmehr drangen die bis Riesa zurückgegangenen Russen auf beiden Seiten der Elbe mit starken Kräften erneut auf Meißen vor. Am Sonntag, den 6. Mai fanden im Raum Radeburg – Meißen – Lommatzsch – Tharandt schwere Kämpfe statt, die sich am Sonntagabend zu einem kurzen Trommelfeuer steigerten und uns die Gewissheit brachten, dass unsere Lößnitzheimat in den nächsten Tagen Kriegsschauplatz sein würde.
Bereits seit Anfang März 1945 wurden bei Lindenau unter vielem anderen Stollen und Feldbefestigungen gebaut. Eine Hauptverteidigungslinie aber wurde bei Serkowitz, von der Elbe bis zur Hoflößnitz angelegt. Hier wurden vom offenen Abwasserkanal an, bis zum Denkstein an der Kötzschenbrodaer Straße der Gang terrassenförmig befestigt und Unterstände für Maschinengewehre eingebaut. Von der Kötzschenbrodaer Straße bis zum »Weißen Roß« wurde ein 6,5 m breiter und 3 m tiefer Panzergraben durch hunderte von polnischen und russischen Zivilarbeitern in wochenlanger Arbeit ausgeworfen. Vom »Weißen Roß« bis zur Hoflößnitz wurden in den Villengärten, Weinbergen etc. Schützengräben und andere Befestigungen angelegt. […] An diesen festungsartigen Verteidigungsbauten erkannte die Bevölkerung, dass hier bei Serkowitz der Russe verhindert werden sollte in die Stadt Dresden einzudringen.
In der ersten Aprilhälfte wurde bekannt, dass Hitler die Stadt Dresden als Festung erklärt und den General von und zu Gilsa als Kampfkommandant für Dresden ernannt habe. [Werner Freiherr von und zu Gilsa (1889–1945), General der Infanterie, seit 15.03.1945 Kampfkommandant von Dresden, nahm sich am 9. Mai bei Teplitz das Leben. F.A.] In den Schrebergärten an der Kötzschenbrodaer Straße und zwischen Serkowitz und Kaditz wurden schon Geschützstellungen errichtet und armiert. Zur Aufnahme der zurückgesandten deutschen Kampftruppen wurden die Feldbefestigungen bei Serkowitz mit einem Bataillon Polizei-SS-Truppen unter Befehl eines Majors besetzt. Dieser fanatische Stabsoffizier legte seinen Gefechtsstand in Huhle’s Gasthof zu Serkowitz und ließ noch in letzter Stunde Serkowitzer Einwohner – Männer und Frauen – eine Steinbarrikade auf der Lößnitzbachbrücke am Mühlgraben errichten. […]
Die Nacht von Sonntag zum Montag, den 7. Mai verlief verhältnismäßig ruhig, nur einzelne Kanonenschüsse dröhnten in gewissen Zeitabständen. Mit Tagesgrauen verstärkte sich das Artilleriefeuer zu beiden Seiten der Elbe und veranlasste uns, Wertsachen in feuersichere Verstecke zu bringen. Lebensmittel und Flaschen mit Wein etc. hatten wir schon vor Wochen im Garten sicher vergraben. Kleidung, Wäsche, Porzellan und anderes Wertvolles schafften wir zur Sicherung in den Keller, auch das Chaiselongue wurde in der sicheren Voraussicht, dass wir die nächsten Tage und Nächte in dem Keller verbringen müssten, in den Keller gebracht, so dass dieser gestopft voll war. Vormittags gegen halb 10 Uhr fasste ich den Entschluss nochmals nach Serkowitz zu gehen. Auf dem Wege dahin besichtigte ich nochmals die Verteidigungsanlagen zwischen »Weißem Roß« und der Staatsbahn. […]
Am Gasthof versammelten sich die Fuhrwerke der Bauern, um auf Befehl des Majors Munition, Handgranaten und Panzerfäuste aufzuladen und nach dem Lößnitzgrund zu bringen. Zu gleicher Zeit kam ein Bote vom Oberbürgermeister Heinrich Severit [(1888–1977), seit 1922 in der NSDAP, seit 1933 Bürger- und seit 1935 Oberbürgermeister von Radebeul] mit der Aufforderung, die Bauern sollten ihre Fuhrwerke sofort nach der Pestalozzischule schicken, um die durch den Räumungsbefehl binnen zwei Stunden abzutransportierenden alten Leute und Kinder nach dem Erzgebirge (Marienberg) zu fahren. Dieser Aufforderung konnte jedoch wegen der Munitionstransporte nicht entsprochen werden. Gleichzeitig kehrte mein Sohn vom Rathaus und Postamt zurück und teilte mit, dass der Oberbürgermeister und die sechs Ortsgruppenleiter [der NSDAP] beschlossen haben, den Kampfkommandanten zu bitten, der Einwohnerschaft zu gestatten weiße Fahnen herauszustecken, weil ein Widerstand gegen den zu erwartenden Angriff unter den obwaltenden Umständen sinnlos sei, und dass der Ortsgruppenleiter Oswald Forner unterwegs sei, mit dem Major in Huhle’s Gasthof hierüber zu verhandeln. [(…) Stadtrat Oswald Forner war hauptamtlicher Beigeordneter des Oberbürgermeisters und Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Radebeul-Niederlößnitz.]
Als ich den Rückweg auf die Weintraube zu antrat, begegnete ich unterwegs Trupps deutscher Infanteristen, die in ermüdetem Zustande auf mein Befragen erklärten, am gestrigen Sonntag bei Priestewitz gekämpft und Befehl erhalten zu haben, bei Serkowitz sich zu sammeln. Kurze Zeit später hörte ich hinter mir, bei Serkowitz einige Schüsse fallen. Wie ich später erfahren habe, ist durch diese Schüsse der Ortsgruppenleiter Forner, der auftragsgemäß mit dem SS-Major wegen kampfloser Übergabe der Stadt Radebeul erfolglos verhandelt hatte, auf dessen Befehl wegen Feigheit und zur Abschreckung, im Garten von Max Hertzschuch [Eigentümer des Grundstücks Altserkowitz 10] am Mittelsteg – hinter der Scheune von Max Hennig [Eigentümer des Grundstücks Criegernstr. 10, heute Str. des Friedens] – standrechtlich erschossen worden. (Fortsetzung folgt.)