Plansilvester dreiPunktnull
Sie beginnt immer früher, sagt er zu sich selbst, die Knallerei.
Gleich am Morgen war es losgegangen, was sag ich, am Abend vorher schon, erst nur vereinzelt, dann in schnellerer Folge, seit dem frühen Nachmittag ists wie ein Klangteppich, der über allem liegt, ein Grollen wie in einem fernen Krieg. (Das Wummern und Pfeifen erinnert ihn auf fatale Weise an eine besonders finstere und unerfreuliche Phase seiner Militärzeit, in der er an Übungen mit Attrappen taktischer Raketen zur Simulation von Atomschlägen teilnehmen mußte …)
Gegen elf in der Nacht wird das Gebelfer aber abebben, weiß er, da wird es fast ganz still werden, um dann zu Stundenschlag umso heftiger loszubrechen – na, ohne mich jedenfalls, sagt er sich. Ich nutze die Stunde zum Einschlafen und wenns losgeht schwelge ich längst in meinen eigenen Träumen…
Der Tag war vergangen wie jeder andere auch. Wie an jedem anderen Tag auch, hatte er sich ein Frühstück bereitet, es dann aber nicht gegessen, weils ihm zu spät dafür war. Stattdessen hat er sich ein frühes Mittag aufgewärmt, vorzüglich Makkaroni mit Jagdwurst und Käse, einfach aber primitiv, scherzt er mit sich selbst, jedoch immer wieder schmackhaft. Dann hat er ein Stündchen geschlafen, danach ein Stündchen Holz gehackt: Das macht ihn zufrieden. Danach wollte er, auch wie jeden Tag, sein Grübelstündchen einschieben, die Gedanken laufen lassen und nach Perlen suchen, selbst auf die Gefahr hin, daß die Horazschen Gebilde des Wahns das prächtige Weib in einem Fischschwanz enden lassen – es erfährt ja keiner. Aber selbst dafür wars zu laut draußen. Er konnte bei all dem Getöse grad noch an – na, an wen denn gleich – an Archimedes denken, der sich schützend vor die alten Leute stellte, als er sagte, Störe mir meine Kreise nicht …
Den weisen Mann hat danach nie wieder etwas gestört – mit ein paar Schwertstreichen hat der Soldat den Alten kurzerhand ausgelöscht, er hat damit zugleich das mathematische Problem beseitigt, über dem er gebrütet hatte. Generationen von Schulkindern hat er so vor noch größerem Ungemach bewahrt … letztlich wars das übliche Verfahren: Noch zwei Jahrtausende später mußte Wilhelm Busch feststellen, daß, … wer böse Streiche macht, gibt nicht auf den Lehrer acht …
Inzwischen ist der Moment herangereift, an dem er sich, wie jeden anderen Tag auch, ein Bierchen genehmigt. Manchmal geht er dazu in die Wirtschaft, bestellt sich gelegentlich sogar etwas Brot dazu, schön mit reichlich Knoblauchbutter (sonst muß ich das Bier ja trocken runterwürgen …). An Tagen wie diesen aber geht er nicht aus dem Haus.
Schon aber kündigt sich die erwartete Ruhephase an. Er will nur schnell noch die Kalender erneuern – da muß ich das morgen nicht machen – kann sie aber wiedermal nicht finden, na gut, dann eben doch morgen. –
Er schläft in einen sonnigen Morgen hinein. Ein vorsichtiger Blick aus dem Fenster zeigt eine erstaunlich saubere Straße. Verwundert tritt er vor die Türe. Im Vorbeigehen ruft er der Nachbarin einen frohen Neujahrsgruß zu. Die lacht nur – dazu isses noch bissel früh, ruft sie.
Wieso? noch mehr erstaunt bleibt er stehen – und das Feuerwerk gestern?
Ach, das war doch nurn Kindergeburtstag – Meiers Jüngster ist ausgerechnet drei geworden – und dann war ja auch noch Schuleinführung …
Thomas Gerlach, Jan 2025