„Ladenschluss in Kötzschenbroda?“, Teil 1

Neue Sonderausstellung

Der legendäre »Ochsenkopp«, Fleischerei Schempp, Meißner Straße 279, Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Selbst in einstmals belebten Einkaufsstraßen – leere Schaufenster, wohin das Auge schaut! Das rasante Ladensterben bewegt die Gemüter. Mitunter fühlt es sich an, als würde den Dörfern und Städten die Seele geraubt.

Die neue Sonderausstellung in der Heimatstube Kötzschenbroda wird sich mit dieser Problematik auseinandersetzen. Gezeigt werden Fotografien, Dokumente und Objekte aus über einem Jahrhundert, darunter Aufnahmen von ländlich und städtisch geprägten Straßenzügen, von Läden, die es nicht mehr gibt, von Läden im Zustand des Verfalls und von Läden, die im inhabergeführten Einzelhandel noch immer eine Perspektive sehen. Der Focus ist auf die Geschäftszentren von Altkötzschenbroda und Radebeul-West gerichtet. Erinnert wird dabei an Menschen, Ereignisse, Aktionen und Begriffe, die mit dem Handel in einer unmittelbaren Beziehung stehen. Der Reiz liegt im Innehalten zwischen Nostalgie und Zuversicht.

Preistafel der ehemaligen Eisdiele Neumann,Bahnhofstraße 11, Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Die Anregung für diese Ausstellung ist dem kulturellen Monatsheft „Vorschau & Rückblick“ zu verdanken. Ein Beitrag in der September-Ausgabe 2023 weckte großes Interesse. Überschrieben war er mit „Als die Läden noch Namen von Leuten trugen“. Dessen Autor, Tobias Märksch, ahnte damals wohl selbst noch nicht, welche Emotionen und Reaktionen er damit bei der Leserschaft auslösen sollte. Kaum war seine, mit launigen Episoden gewürzte Gedankenreise in die Vergangenheit unserer Stadt erschienen, gab es Kommentare wie „Es ist so unglaublich und schön und allzu berührend, dass schon nach den ersten Sätzen Bilder, Gefühle, ja sogar Töne und Gerüche aufkommen…“.

Werbe-Ausleger, Konditorei Dolze, Meißner Straße 271, Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Der Aufforderung, weitere Leserbeiträge folgen zu lassen, wurde in reichem Maße entsprochen. Die Erinnerungen an Radebeuler Ladengeschäfte reichen bis in die 1950er Jahre zurück. Der gesellschaftliche Umbruch 1989/1990 bildete schließlich eine zeitliche Zäsur. Bis dahin hatten sich die kleinteiligen Strukturen, sieht man einmal von Kaufhallen, Kauf- oder Warenhäusern ab, weitestgehend erhalten. Doch bevor man im „Osten“ einen klaren Gedanken fassen konnte, hatten die westlichen Handelsketten das Terrain längst abgesteckt. Das ehemalige DDR-Gebiet wurde mit Westwaren überschwemmt.

Den ersten Großraumzelten auf der „Grünen Wiese“ folgten überdimensionierte Supermärkte mit den Stellplätzen unmittelbar vor der Haustür. Seitdem haben sich die Lebensgewohnheiten und das Konsumverhalten auch im Osten Deutschlands merklich verändert. Der Dederonbeutel und das Einkaufsnetz wurden zum Retro-Relikt.

Radebeul-West, Bahnhofstraße, u.a. mit Papier- und Spielwarenladen Pittius und Lichtspieltheater Capitol, Postkarte Brück & Sohn, 1957, unter Verwendung einer älteren Aufnahme

 

Selbstbedienung Tempo, Stalinstraße 268(heute Meißner Straße), Foto Dieter Malschewski, 1960, Stadtarchiv Radebeul

Nichts, bleibt wie es ist. Transformationsprozesse wie Industrialisierung, Globalisierung und Digitalisierung haben sich grundlegend auf den Handel ausgewirkt. Die Chance für den inhabergeführten Einzelhandel besteht in flexiblen Alternativlösungen. Die junge Händlergeneration, welche oftmals in einer familiären Tradition steht, agiert sehr zukunftsorientiert und flexibel. Höchst problematisch sind jedoch die vielen leerstehenden Läden. Damit sie sich wieder mit Leben füllen können, bedarf es attraktiver Einstiegskonditionen, die einen Neustart überhaupt ermöglichen. Vermieter und städtische Wirtschaftsförderung sind hier und jetzt gefragt.

ROSSMANN Drogerie-Markt, Meißner Straße 283, Foto: Karin (Gerhardt) Baum, 2025

So spannend wie die Thematik auch ist, muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass die Heimatstube Kötzschenbroda kein Ersatz für das fehlende Radebeuler Stadtmuseum ist. Während das Obergeschoss der Dauerausstellung vorbehalten bleibt, wird ein Raum im Untergeschoss für die jährlich wechselnden Sonderausstellungen genutzt. Allerdings stellt dessen Präsentationsfläche von knapp 9 qm die Ausstellungsgestalter immer wieder vor logistische Herausforderungen. Auch gibt es keine reguläre Öffnungszeit. Auf Anfrage werden Führungen für Gruppen angeboten.
Die AG Kötzschenbroda „Heimatabend mit Frühstück“ (aktuell 12 Mitglieder) ist für die Konzeption, Gestaltung und Betreuung des Ausstellungsprojektes zuständig. Mitwirkende Partner sind die Stadtgalerie Radebeul, das Stadtarchiv Radebeul, das Kunsthaus Kötzschenbroda, die Heimatstube Naundorf, das Monatsheft „Vorschau & Rückblick“ sowie zahlreiche Radebeuler Gewerbetreibende und ortsansässige Privatpersonen. Ihnen allen sei aufs Herzlichste gedankt.

Zur Vernissage am 7. September 2025 startet um 15 Uhr das zwölfmonatige Langzeitprojekt, welches dialogisch angelegt ist und die Möglichkeit bietet, Ergänzungen und Hinweise fortlaufend bis Ende August 2026 einzuarbeiten. Die Ausstellungsgestalter würden sich freuen, wenn die Leser weitere Informationen und Geschichten sowie Materialien zum Thema Handel in Kötzschenbroda beisteuern könnten. Über den aktuellen Verlauf des Projektes wird in „Vorschau & Rückblick“ berichtet.

Karin (Gerhardt) Baum,
Sprecherin der AG Kötzschenbroda

Info, Kontakt, Führungen: 0160-1038663

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