Mai 1945.

Aus den Aufzeichnungen des Altbauern Max Klotzsche, Teil 3

80 Jahre nach Kriegsende druckt die ›Vorschau‹ Auszüge aus zeitgenössischen privaten Aufzeichnungen des Serkowitzer Ortschronisten Max Klotzsche über seine Eindrücke aus jenen Maitagen in Radebeul. In der zweiten Folge hatten wir den Autor verlassen, als er am frühen Morgen des 8. Mai 1945 von seiner Wohnung aus den Einzug der sowjetischen Armee in Radebeul West beobachtete …

Gegen 8 Uhr drängte es mich zu erfahren, was dem Gute Altserkowitz 3 widerfahren war. Ich legte eine weiße Binde um den linken Arm und machte mich auf den Weg. Als ich an die Kreuzung Meißner Straße – Gradsteg die Straßenbahngleise überschreiten wollte, kamen zwei Russen, sprangen von ihren Fahrrädern, machten ihre Revolver schussbereit, schlugen die Ladentür zum Lebensmittelgeschäft von Grollmann – Ecke Gradsteg – ein und drangen in die Geschäftsräume ein. Dieser Vorgang machte mich stutzig und so kehrte ich um, zurück in meine Wohnung. Dort waren sämtliche Hausbewohner im Begriff, mit Einkaufstaschen etc. das Haus zu verlassen, weil angeblich die Russen sämtliche Waren aus dem Laden des „Görlitzer Waren-Einkaufsvereins“ an die Bevölkerung kostenlos verteilten. Auch ich begab mich dorthin. Unterwegs begegnete ich Bekannten, vollbepackt mit Tüten, Paketen etc., sogar mit Mehl, Zucker usw. beladenen kleinen Handwagen. Die Verkaufs- und Lagerräume waren voll von Menschen, die in allen Kästen, Regalen, Säcken etc. herumwühlten und für sich einheimsten, was ihnen gut und brauchbar dünkte. Zu meiner Verwunderung sah ich bei dieser Plünderei auch bekannte Leute aus wohlhabenden und gebildeten Kreisen meiner Nachbarschaft. Mich ekelte dieses Treiben an. Auch viele andere Läden wurden von den Russen erbrochen und von der deutschen Bevölkerung ausgeraubt. […].

Wie war es nun gekommen, dass Kötzschenbroda und Serkowitz über Nacht fast geräuschlos besetzt wurden? Durch Fliegeraufklärung und wohl auch durch Nachrichten von deutschen Kommunisten war den Russen die starke Hauptkampflinie bei Serkowitz bekannt geworden. Der Russe blieb deshalb bei Coswig stehen und drang im Laufe des Montags, des 7. 5. auf den Straßen von Großdobritz-Auer und Radeburg-Moritzburg vor, um die Lößnitz und Dresden vom Norden her zu umfassen. Die durch den Kreyernwald vorgehenden Russen erreichten in den Vormittagsstunden Lindenau, und von Reichenberg-Boxdorf her suchten dieselben in den Rücken der deutschen Hauptstellung bei Serkowitz zu kommen. In den späten Abendstunden sah sich der Kampfkommandant bei Serkowitz genötigt, die Stellung kampflos zu räumen und sich über die Autobahnbrücke in Sicherheit zu bringen. Die Serkowitzer Bauern mussten für den Rückzug mit Pferden bespannte Wagen nebst Kutscher zur Verfügung stellen, und so musste auch mein Sohn seine drei Pferde mit zwei Tafelwagen und dem Polen Anton als Kutscher, alles entschädigungslos auf Nimmerwiedersehen, zur Verfügung stellen. Als abends gegen 11 Uhr, nach einleitendem Artilleriefeuer der Russe auch von Coswig-Zitzschewig aus angriffsweise auf Kötzschenbroda und die Niederwarthaer Elbbrücke vorging, wurde letztere von der Besatzung der Brückenverteidigung, zu der auch die gesamte Polizei der Stadt Radebeul gehörte, durch Sprengung sinnlos zerstört. Kötzschenbroda, Serkowitz etc. wurden alsdann kampflos besetzt.

Die Dorflage und die Befestigungen von Serkowitz waren am Montagnachmittag das Ziel der russischen Artillerie, doch war die Wirkung der Abschüsse nicht verheerend. Die zahlreichen Granattrichter waren in der Feldflur weithin verstreut, nur abends gegen halb 7 Uhr schlugen in kurzen Zwischenräumen vier Granaten in Altserkowitz ein. Die erste traf das Gut meines Sohnes und zerstörte die Außenmauer des Wohnzimmers und die ganze Zimmereinrichtung. Das im Wohnzimmer befindliche Dienstmädchen und drei Enkelkinder blieben wunderbarerweise am Leben und kamen mit nur leichten Verletzungen davon. Die zweite Granate traf das Seitengebäude des benachbarten Stadtgutes, den Dachstuhl zerstörend, die dritte Granate schlug durch ein Fenster im gegenüberliegenden Gute und zerstörte die gesamten Innenräume, und die vierte Granate krepierte auf der Straße. Granatsplitter hiervon beschädigten die umliegenden Häuser und durchschlugen auch das eiserne Hoftor vom Gute meines Sohnes. Ein solcher Granatsplitter traf die meine Altenteilwohnung bewohnende und sich aus dem Keller begebende Frau K. im Rücken. Die Verwundung war so schwer, dass sie in der chirurgischen Klinik von Dr. Kohlmann in Radebeul am anderen Tage verstarb.

Am Dienstag machte ich mich zum zweiten Mal auf den Weg nach Serkowitz, um mich zu überzeugen, ob meinen Sohn, seine Familie und sein Gut irgendein Unheil betroffen habe. […] Im Gute angekommen, sah ich das zerschossene Wohnhaus, die von Granatsplittern durchlöcherten Dächer etc. Der Hof war voll von russischen Soldaten und Kraftwagen. Soldaten schleppten große Stücke Fleisch fort, denn man hatte eben die Schlachtung eines jungen Rindes aus dem Stalle meines Sohnes beendet. […] Zu meiner Freude waren mein Sohn, seine Familie und Dienstpersonal allesamt gesund und heil geblieben. Der Viehbestand es Gutes jedoch war stark mitgenommen worden. Außer den drei Pferden, die von den abziehenden deutschen Truppen requiriert worden waren, hatten nunmehr die Russen die beiden kleinen Polenpferde mitgenommen, zwei Kühe geschlachtet, von den vorhandenen 13 Schweinen 12 Stück mitgenommen sowie die drei Schafe und den Hofhund. Der kam nach einigen Tagen von selbst zurück, ein Zeugnis von der Treue und Anhänglichkeit dieser Gattung der Haustiere.

[…] Am frühen Morgen des Dienstag mussten die Bauern und männlichen Einwohner von Serkowitz antreten und wurden zur Mithilfe beim Bau einer Schiffbrücke über die Elbe bei der Gohliser Windmühle gezwungen. Nachdem russische Truppenteile nach beiden Richtungen Uferwechsel durchgeführt hatten, mussten die Bauern die Schiffbrücke wieder abbrechen. Am Nachmittag verbreitete sich das Gerücht, dass auch mit Russland Waffenruhe eingetreten sei. Dies bestätigte sich. Die Verfolgung der von Dresden nach dem Sudetenland zurückflutenden deutschen Truppen aber wurde bis zum 10. Mai fortgesetzt. Am 11. oder 12. Mai kam der Pole Anton auf einem Fahrrad aus der Gegend Teplitz-Aussig zurück. Pferde und Wagen waren in russische Hände gefallen. Die Pferde hatten vier Nächte und drei Tage unaufhaltsam im Rückzug zugebracht und waren so erschöpft gewesen, dass dieselben nicht mehr fortzubringen waren. In Serkowitz waren von den deutschen SS-Truppen und den Russen über 20 Pferde fortgenommen worden, alle bis auf ein einziges, dessen abseits gelegenen Stall die Russen nicht gefunden hatten. (Schluss folgt.)

Frank Andert

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