Mai 1945

Aus den Aufzeichnungen des Altbauern Max Klotzsche, Schluss
80 Jahre nach Kriegsende druckt die ›Vorschau‹ Auszüge aus zeitgenössischen privaten Aufzeichnungen des Serkowitzer Ortschronisten Max Klotzsche über seine Eindrücke aus jenen Maitagen in Radebeul. Anders als die zu DDR-Zeiten gedruckten Zeitzeugenberichten, musste Klotzsche die dunklen Schattenseiten der ersten Nachkriegswochen nicht beschweigen:
In den Nachmittagsstunden des 8. Mai setzte eine wüste Jagd auf Frauen und Mädchen aller Altersstufen durch die teilweise betrunkenen Russen ein, die sich in den Abend- und Nachtstunden bedeutend steigerte. Die Roheit der Wüstlinge kannte keine Grenzen. Zwölfjährige Mädchen und Frauen bis zu 68 Jahren wurden vergewaltigt, und wenn Ehemänner oder Mütter den Opfern beistehen wollten, so wurden dieselben misshandelt und mit dem Revolver bedroht und in einzelnen Fällen auch niedergeschossen. Auch der Straßenraub war am Dienstag, den 8. Mai und den folgenden Tagen und Wochen zur Tagesordnung geworden. Einzelne Personen wurden von der russischen Soldateska auf der Straße angehalten, auf Uhren und Wertsachen untersucht und dieselben fortgenommen, Radfahrer angehalten und, wenn das Rad noch gut war, einfach weggenommen.
Um Schutz und eventuell Abhilfe von diesem widerwärtigen Treiben zu erreichen, begab ich mich am anderen Tag in das Rathaus zu dem als vorläufigen Oberbürgermeister von Radebeul eingesetzten kommunistischen Schriftsetzer Phillip. Im Rathaus herrschte ein turbulentes Durcheinander; ich traf den Oberbürgermeister im Gespräch mit Arbeitern, die sich beschwerten, dass auch ihre Wohnungen und Frauen von den russischen Räubereien und Gewalt nicht verschont blieben. Ich hörte, wie Oberbürgermeister Phillip den Arbeitern den Rat gab, den russischen Soldaten verständlich zu machen, dass hier Proletarier wohnen, und zu zeigen, in welchen Häusern Kapitalisten und Nazis wohnten; nur durch solche Selbsthilfe könnten vorläufig erträgliche Zustände für die Arbeiter herbeigeführt werden. Mir selbst gab er den Rat, die Mädchen und Frauen abends in die Pestalozzi- oder Roseggerschule zu schicken, wo Platz und Schlafgelegenheit auf den Fußböden zu finden sei. Mehr könne er z.Z. nicht tun.
Diese chaotischen Zustände änderten sich in den folgenden Tagen in keiner Weise. Im Gegenteil, die bisher in deutschen Betrieben arbeitenden Polen und Ukrainer sammelten sich zum Abtransport in ihre Heimat und stahlen mit Hilfe russischer Soldaten alle möglichen brauchbaren Sachen und Einrichtungsgegenstände, die sie auf ebenfalls gestohlenen Wagen verstauten und nach den Verladebahnhöfen schafften. Die deutschen Einwohner waren mutlos und mussten sich dies alles ruhig gefallen lassen. Die kommunistischen Behörden zuckten hierzu die Achseln und sagten auf Beschwerden hin, die deutschen Soldaten hätten es im Kriege mit der polnischen und russischen Bevölkerung auch nicht anders gemacht.
Von Freitag, den 11. Mai ab mussten in Radebeul die Villen ganzer Straßenzüge geräumt werden, um die russischen Stäbe und ihre Verwaltungen unterzubringen. Besonders wurden hiervon die Straßen in Oberlößnitz, in der Gegend des „Weißen Roß“ und der Zillerstraße betroffen. Die Eigentümer mussten meist in kürzester Frist – 1 bis 2 Stunden – die beschlagnahmten Räume freistellen und alle Einrichtungsgegenstände zurücklassen. Die Möbel, Betten, Teppiche, Radiogeräte u. a. wurden von den russischen Offizieren samt ihren »Damen« und auch von den deutschen Kommunisten ausgetauscht, verschleppt und auf Lastkraftwagen oder mit der Eisenbahn nach Russland abtransportiert.
Am 12. Mai traf auf den Serkowitzer Elbwiesen eine von den Gütern der Großenhainer und Meißner Gegend stammende Viehherde von etwa 400 bis 500 Rindern, 300 Schafen und einer Anzahl Pferden ein und weidete daselbst etwa 14 Tage lang. Nach Abtrieb blieben noch etwa 30 bis 40 Rinder und Schafe zurück und wurde diese Herde nach Bedarf zur Schlachtung gebracht und durch neuen Zutrieb aufgefüllt. Erst Ende November wurde das Vieh abgetrieben und im Stadtgut Altserkowitz 4 eingestellt.
Die in der Lößnitz untergebrachten Truppenstäbe benötigten einen Flugplatz und wurde ein solcher vom 14. Mai ab mit zwei Rollbahnen auf den Serkowitzer Elbwiesen eröffnet. Zu diesem Zweck wurden alle Bäume auf diesem Gelände abgesägt, u. a. auch die von mir im Jahre 1937 angepflanzten und jetzt ertragsfähig gewordenen 14 Pflaumenbäume. Von Mitte Mai bis Anfang Juni herrschte ein reger Flugbetrieb, durchschnittlich waren 30 Flugzeuge immer auf dem Flugplatz anwesend. Durch den auf zwei Rollbahnen durchgeführten Flugbetrieb und die Hinfahrten wurde den Serkowitzer Bauern sowohl die Heu- als auch die Grummeternte vollständig vernichtet.
Mitte Mai begann der Russe die viergleisige Eisenbahnstrecke von Dresden-Hauptbahnhof bis Coswig abzubauen, indem die Schienen und Schwellen von drei Gleisen herausgerissen, auf Waggons geladen und nach Russland abtransportiert wurden. Zu diesem Zweck mussten auf Befehl der Ortskommandantur täglich über 1.000 Männer und Frauen zur Fronarbeit gestellt werden. Tagtäglich wurden durch russische Soldaten Männer und Frauen von der Straße, von den Feldern, Gärten und sonstigen Arbeitsplätzen zwangsweise zusammengeschleppt. Im September war dieses Zerstörungswerk vollendet, seitdem wird der Eisenbahnbetrieb eingleisig notdürftig durchgeführt. Auch fast alle Fabriken in der Stadt Radebeul wurden, wie überall in der russischen Besatzungszone, von der russischen Administration beschlagnahmt und abgebaut, indem die Maschinen, Anlagen, Betriebseinrichtungen usw. herausgerissen, verpackt und mit der Eisenbahn nach Russland überführt wurden.

Frank Andert

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