Das Haus von Fuchs und Hase

und was Karl May damit zu tun hat

Um es gleich vorwegzunehmen: Karl May, an dem in diesem Jahr (170. Geburtstag, 100. Todestag) kein Weg vorbeiführt, hat nichts mit dem Haus zu tun. Er wird aber sicher so manches mal dran vorbeiflaniert sein, liegt es doch an einer der reizvollsten alten Gassen der Lößnitz, wo sich der damals noch nicht allzu bekannte Schriftsteller mit der etwas zwielichtigen Vergangenheit 1888 niedergelassen hatte. Wenn May etwa von seinem dritten hiesigen Domizil in der »Villa Agnes«, Nizzastraße 13, das er in der ersten Hälfte der 1890er Jahre bewohnte, zur beeindruckenden Baustelle der neuen Naturheilanstalt seines erzgebirgischen Landsmanns Friedrich Eduard Bilz am Straken spazieren wollte, lag das in Rede stehende Gebäude praktisch auf dem kürzesten Weg, der ihn damals noch durch die Mittlere Berggasse geführt haben würde. Als die Gasse dann 1897 zur Straße ausgebaut wurde, führte das Haus, um das es hier gehen soll, zunächst noch die alte Katasternummer 65. 1903 wurde aus der Mittleren Berg- die Bennostraße und aus Nr. 65 die Hausnummer 9, die man einige Jahre später auf 11 korrigierte. (Die lange Straßenfront des Nachbargrundstücks Bennostraße 7 würde irgendwann sicher einen Investor auf den Plan rufen, die vermeintliche Baulücke mit Neubauten Bennostraße 9 a/b/c zu füllen, was zum Glück bis heute noch nicht geschehen ist.)

Haus Friedland, Bennostraße 11, um 1940

Haus Friedland, Bennostraße 11, im frühen 20. Jahrhundert auch »Villa Friedland« genannt, ist eines der reizvollsten Baudenkmale von Oberlößnitz. Die von 2003 bis 2005 erfolgte Sanierung hat diesen Reiz in ansprechender Weise konserviert, und die beiden wohl über hundertjährigen, mächtigen Platanen, die die Einmündung der Friedlandstraße vis-à-vis flankieren, unterstreichen selbigen auf denkbar malerische Art. In der Radebeul-Literatur wird Haus Friedland eher stiefmütterlich behandelt – man weiß recht wenig über seine Historie. Die Denkmaltopographie Stadt Radebeul beschreibt die Architektur und fasst die dokumentierte Baugeschichte kurz zusammen. Demnach erhielt das zweigeschossige Wohnhaus mit rückwärtigem Flügelanbau und Mansarddach um 1876 durch Umgestaltung eines wohl 1773 errichteten Winzerhauses seine heutige Gestalt; eine über dem hofseitigen Eingang angebrachte Tafel trägt die Inschrift »28. August 1843 – 1892«. Die ansonsten über beinahe jede auch nur irgendwie erwähnenswerte Radebeuler Immobilie ausführlichst informierende Online-Enzyklopädie Wikipedia hat lediglich hinzuzufügen, dass ein »Oberrittmeister« v. Carlowitz das Anwesen um 1800 besessen habe, was immer sich hinter dieser äußerst ungewöhnlichen Dienstgradangabe verbergen mag. In der vom Denkmalverein 2003 herausgegebenen Publikation »Winzerhäuser in Radebeul« kommt Haus Friedland nicht vor, auch im Stadtlexikon wird es nur unter ferner liefen erwähnt. Will man mehr erfahren, ist man auf die wertvolle Häuserkartei von Curt Reuter im Radebeuler Stadtarchiv angewiesen, die auch hier hilft, die dürren historischen Fakten zu ergänzen und mit etwas Fleisch zu umkleiden.

Die Besitzergeschichte des zugehörigen Weinbergs lässt sich bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Auf der großen Nienborg-Karte von 1715 ist als erster namentlich bekannter Besitzer ein Herr Fuchs eingetragen, auch ein Haus mit Nebengelass ist damals schon verzeichnet. In den folgenden Jahrzehnten ging der Berg durch mehrere Hände und gehörte offenbar lange als Teilstück zu verstreut liegenden größeren Weinbergsbesitzungen. 1773 wird als Eigentümer der Dresdner Kaufmann Johann Martin Kühn erwähnt, der zu dieser Zeit eine ganze Reihe von Oberlößnitzer Weinbergen zusammenkaufte, bevor er krachend Pleite ging. 1799 gelangte der Berg dann in den Besitz von »Frau Rittmeister v. Carlowitz«, bei der es sich ganz ohne jeden Zweifel um Maria Josepha v. Carlowitz (1775-1834) handelt, die jung angetraute Gattin des späteren russischen und preußischen Generals, berühmten Freigeistes und Freimaurers Carl Adolph v. Carlowitz auf Liebstadt (1771-1837). Er und seine Frau kauften bis 1801 insgesamt drei Weinberge in der Hoflößnitz, um die Keller von Schloss Kuckuckstein mit einheimischen Tropfen zu füllen. Mehrere Kinder des Paares wurden in der Lößnitz geboren, wo sich vor allem Frau v. Carlowitz gern aufhielt. Und als russische und preußische Soldaten im Mai 1813 marodierend durch die Lößnitz zogen, die Weinvorräte aussoffen und Möbel der sächsischen Franzosenfreunde kurz und klein schlugen, blieben die Berge des erklärten Napoleongegners v. Carlowitz unberührt. Haus Friedland muss der Familie einiges bedeutet haben, denn während die anderen Weinberge noch zu Lebzeiten des Generals wieder verkauft wurden, blieb dieses Anwesen bis 1838 in Familienbesitz, und auch der Name »Friedland« scheint aus der Carlowitz-Ära herzurühren.
Nach einem kurzen Interregnum gelangten Haus und Weinberg Anfang der 1840er Jahre in den Besitz von Carl Friedrich Haase. Reuter gibt als Jahr des Kaufs 1844 an, doch die sicher nicht von ungefähr angebrachte Inschrift »28. August 1843« könnte sich durchaus bereits auf diesen Eigentümerwechsel beziehen, der für lange Zeit der letzte war; für mehr als 90 Jahre blieb das Haus in der Familie. Julius Hofmann beschreibt das Weingut 1853 folgendermaßen: »Der schöne Bergbesitz Friedland des früher v. Carlowitz’schen Berges gehört jetzt dem Prof. Dr. med. Haase und beträgt insgesammt 8 Ack[er]. 100 Q[uadrat].-R[uten].; das neue Haase’sche, durch Ankauf von Feld und Weinberg vergrößerte Grundstück, dessen Hauptgebäude durch Anbauten sehr verschönert ist, hat im Garten einen kleinen Park nebst schönem Salon.« Erst unter Professor Haase wurde das Haus also zum Zentrum eines mit umgerechnet 4,5 Hektar relativ großen zusammenhängenden Weingutes, das sich wohl von der heutigen Nizza- bis hoch zur Weinbergstraße erstreckt haben dürfte (die südliche Hälfte fiel später den Gebrüdern Ziller in die Hände und wurde in elf Villengrundstücke samt Friedlandstraße parzelliert).

Über Herrn Haase kommen wir auch zurück zu Karl May. Der berichtet in seiner Autobiographie »Mein Leben und Streben«, dass er »kurz nach der Geburt sehr schwer erkrankte, das Augenlicht verlor und volle vier Jahre siechte«. Über die Ursache dieser Erblindung haben sich Generationen von May-Forschern den Kopf zerbrochen. Vermutlich war der Grund ein kritischer Vitamin-A-Mangel, der daher rührte, dass der kleine Karl als Säugling nicht oder nicht ausreichend gestillt werden konnte, und der durch eine frühe Masernerkrankung noch verschlimmert wurde. (Mütter, stillt eure Kinder und lasst sie impfen!) Wie Karl May sein Augenlicht zurück erhielt, beschreibt er selbst. Von August 1845 bis Februar 1846 absolvierte seine Mutter eine Hebammenausbildung an der Entbindungsschule der medizinisch-chirurgischen Akademie in Dresden. »Mir«, schreibt May, »brachte ihr Aufenthalt in Dresden großes Glück. Sie hatte sich durch ihren Fleiß und ihr stilles, tiefernstes Wesen das Wohlwollen der beiden Professoren Grenzer und Haase erworben und ihnen von mir, ihrem elenden, erblindeten und seelisch doch so regsamen Knaben erzählt. Sie war aufgefordert worden, mich nach Dresden zu bringen, um von den beiden Herren behandelt zu werden. Das geschah nun jetzt, und zwar mit ganz überraschendem Erfolge. Ich lernte sehen und kehrte, auch im übrigen gesund, heim.«
Prof. Haase war eben jener Carl Friedrich Haase, der, am 13. Februar 1788 in Leipzig geboren, nach Medizinstudium, Habilitation und Praxis an der Pleiße von 1828 bis 1845 als Nachfolger von Carl Gustav Carus das Dresdner Entbindungsinstitut leitete und sich nach der Pensionierung auf seinen Oberlößnitzer Bergbesitz »Friedland« zurückzog, wo er am 10. November 1865 auch starb. Ob Karl May wusste, dass die schmucke Villa seinem einstigen Arzt gehört hatte, dessen Nachkommen auch zu seiner Zeit noch dort wohnten, ist nicht überliefert. Und was aus dem Weberssohn aus Ernstthal geworden wäre, hätte er nicht zeitig wieder sehen gelernt, will man sich als Radebeuler gar nicht ausmalen.

Frank Andert

[V&R 2012/01, S. 6-8]

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