Knabenschule “Wackerbarths Ruhe ” (1816 – 1823)

“Im In- und Ausland erlangte Lang’s Erziehungsanstalt einen bedeutenden Ruf. Sie war Mode geworden. Die Söhne der vornehmen Familien brachte man dorthin, es waren Deutsche, Franzosen, Italiener, Engländer, Russen, die dort im reizenden Elbtal friedlich nebeneinander lebten und ihre Jugend genossen.” So schildert Elise Polko (geb. am 31. Januar 1823 in Schloß Wackerbarths Ruhe – gest. am 15. Mai 1899 in München) (1) die berühmte Knabenschule, die ihr Großvater mütterlicherseits, Dr. Carl Lang, 1816 in dem von ihm erworbenen Landhaus eingerichtet hatte. (2) Aber diese Freuden währten nur insgesamt knapp sieben Jahre. 1823, Carl Lang war 1822 gestorben, wurde Wackerbarths Ruhe wieder einmal verkauft und fiel an die Familie Wackerbarth zurück. Die Zöglinge gingen wieder in ihre Heimatländer zu ihren Familien. Die Lehrer trennten sich, die reichen Sammlungen Langs wurden verschleudert. Dr. Carl Vogel, Elises Vater, seit 1821 Mitdirektor der Knabenschule, verliess mit schwersten Sorgen beladen, an denen er sein Leben lang tragen sollte, mit seiner jungen Frau Amalie, der Tochter Carl Langs, und seinem erstgeborenen Kind Elise Wackerbarths Ruhe. Man hatte ihm Hoffnung gemacht auf einen neuen Wirkungskreis in Torgau, aber nicht Wort gehalten. Er erteilte Privatunterricht in alten Sprachen. Erst im Winter 1825 konnte er einem Ruf nach Krefeld als Rektor der dortigen höheren Stadtschule folgen. 1832 wurde Dr. Carl Vogel zur Reorganisation und Leitung der allgemeinen Bürgerschule nach Leipzig berufen. Die Stadt ernannte ihn später zum Ehrenbürger. Hier wurde auch Elises jüngerer Bruder Eduard geboren, der sich als Afrikareisender einen Namen machte, aber 1856 in Wadai ermordet wurde. (3)
Carl Lang, am 27. Oktober 1766 in Heilbronn geboren, war Jurist, Verleger, Schriftsteller und Illustrator und stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater war Rechtsanwalt, seine Mutter die Tochter eines einflussreichen Amtmannes. Der sprach- und redebegabte Sohn besuchte das Heilbronner Gymnasium und studierte dann in Erlangen und Göttingen Rechtswissenschaft, Sprachen und Literatur. 1788 liess er sich als Advokat in Heilbronn nieder, heiratete eine vermögende Apothekerstochter und eröffnete 1796 das Schwäbische Industriekontor, das sich die Reproduktion von Gemälden zur Aufgabe machte. Er verlor sein Vermögen und musste bei Nacht und Nebel fliehen. Unter dem Namen August Lindemann liess er sich 1799 in Hamburg nieder, wo er von verlegerischer Tätigkeit lebte. Ab 1801 arbeitete er unter dem Namen Karl August Hirschmann für den Verleger Oemigke. Die Freundschaft mit dem Leipziger Verleger Karl Tauchnitz, der ihm über die finanzielle Notlage hinweghalf, verschaffte L. neues Ansehen. Er promovierte zum Dr. phil. und gründete in Tharandt bei Dresden eine Erziehungsanstalt. 1816 erwarb er das Anwesen Wackerbarths Ruhe und eröffnete darin eine internationale Knabenschule.
“Es war ein reges Leben damals in Wackerbarths Ruhe”, berichtet Elise Polko, “und das Haus des geistvollen Dr. Lang der Sammelplatz der bedeutendsten Menschen von nah und fern. Da war, auf dem nächsten Weinberg lebend, der bekannte Pädagoge Hundeicker, da war der alte Tiedge mit seiner Freundin (Elise von der Recke), die schöne Schauspielerin Schirmer, der gelehrte Böttcher, der Dichter Nostitz, Carl Maria von Weber, der berühmte Tenor Gerstäcker, der Bassist Meyer, da war Fanny Tarnow, der Dichter O. von Löben, Theodor Hell, Laguna u.a., aber auch Ludwig Tieck erschien einmal als Gast dort, so wie als hellster Stern Jean Paul, mit dem der junge Kandidat Vogel an einem Tisch sass. In dem Arrangement sinnreicher und glänzender Feste war Dr. Lang unübertrefflich. Musikaufführungen, Balletts, wohleinstudierte Gefechte im Freien, Zigeunerlager und Bälle wechselten zur Unterhaltung der geladenen Gäste sowie zur Belustigung der Zöglinge und jüngeren Lehrer. Wer von den zahlreichen Besuchern und Freunden, die immer und immer wieder die grossartige Gastfreundschaft auf Wackerbarths Ruhe in Anspruch nahmen, fragte je nach dem Ende oder sprach ein leises Wort der Warnung, der Mahnung? Wohl schüttelte man die Köpfe zu solcher Verschwendung, wohl redete man von den enormen Kosten solcher Haushaltung und von schlechter Verwaltung der ganzen Wirtschaft, von der Güte und Nachsicht und Uneigennützigkeit des Mannes und der Prunksucht der Frau, aber man fuhr nach wie vor eingeladen und uneingeladen in vollgepackten Wagen hinaus und vergnügte sich allda aufs beste.” (4)
Als Schriftsteller hatte Lang unter dem Namen Hirschmann Gedichte und Erzählungen in den damals sehr beliebten “Taschenbüchern für Liebe und Freundschaft” veröffentlicht. Er übersetzte 1786 die Fabeln Äsops und brachte mehrbändige Werke heraus, an denen er als Autor, Illustrator, Herausgeber oder Bearbeiter beteiligt war, z.B. das 15bändige Werk “Neue Bildergalerie für junge Söhne und Töchter”. 1802 gab er das dreibändige Werk “Tempel der Natur und Kunst” heraus. Die Kupfer radierte er selbst, zeichnete auch die meisten Illustrationen. Seine jüngste Tochter Amalie, die Mutter Elise Polkos, hatte das Talent des Vaters geerbt und half ihm vielfach beim Radieren der Blätter.
Carl Lang starb am 16. Mai 1822 in Wackerbarths Ruhe und wurde auf dem Kötzschenbrodaer Friedhof begraben.
Carl Vogel, geb. am 19. Juli 1795 in Stadt Ilm, gest. am 15. November 1862 in Leipzig
Er war der Vater der Schriftstellerin Elise Polko. Die Mutter, Amalie Vogel geb. Lang, starb auch 1862. Sein Vater, Ludwig Vogel, war praktischer Arzt in Stadt Ilm (Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt), dann in Arnstadt, später in Gotha, trat in russische Dienste und war Professor und Staatsrat in Kasan. Er starb 1840. Carl Vogel besuchte das Lyzeum in Arnstadt und lebte dort im Hause des Grossvaters, des Superintendenten Franke. 1812 bis 1815 studierte er an der Universität Jena Theologie und Philologie. Er trat in die Langsche Erziehungsanstalt Tharandt als Lehrer ein. 1820 unternahm er eine wissenschaftliche Studienreise nach England, Schottland, Frankreich, Belgien und Holland. 1821 wurde er Mitdirektor der Langschen Knabenschule in Wackerbarths Ruhe und heiratete Langs Tochter Amalie. 1823 wurde die Schule aufgelöst, Carl Vogel ging mit seiner Familie nach Torgau. Die Verhandlungen um seine Anstellung dort verzögerten sich. So folgte er einem Ruf nach Krefeld, wo er von 1824 bis 1832 als Direktor der höheren Schule wirkte.
Am 7. Oktober 1832 übernahm er das Amt des Direktors der Leipziger Bürgerschule, die er gründlich reorganisierte und als vereinigte Elementar-, Bürger- und Realschule führte. Er reformierte die Lese-Lernmethoden, indem er der kindlichen Entwicklung angemessene Lesebücher in den Elementarunterricht einführte, die er selbst entwickelte. Auf dem Gebiet der Naturwissenschaften und der Geographie gab er methodische Anleitungen heraus. Seine geographischen Natur-, Geschichts- und Landschaftsbilder erschienen unter dem Titel “Handbuch der Belebung der geographischen Wissenschaft”. Er gab einen neuen Schulatlas heraus und führte das Kartenzeichnen in den Unterricht ein. Aber er gab auch Jugendbücher heraus, die direkt für die Lektüre seiner Schüler bestimmt waren, so z.B. “Fabellese für die deutsche Jugend” (1836), “Ausführliche Beschreibung merkwürdiger Bauwerke, Brücken, Denkmale, Kunstwerke” (1838), “Lebensbeschreibung und Denkwürdigkeiten aus der allgemeinen Weltgeschichte” (1839), “Anfangsgründe der Naturlehre” (1839), “Schneeflocken, Erzählungen für Jung und Alt” (1844).
Dr. sc. phil. Manfred Altner

(1) Das sind die urkundlich beglaubigten Daten zu Elise Polko. Anders lautende Angaben sind falsch.
(2) Vgl. Elise Polko: Notizen und Briefe über und von Dr. Carl Vogel. Leipzig 1863
(3) Vgl. Elise Polko “Erinnerungen an einen Verschollenen”. Aufzeichnungen und Briefe von und über Eduard Vogel. Leipzig 1863
(4) Ebenda, S. 27 – 33
(Vorabdruck aus: Manfred Altner: Herr Hofbuchdrucker Meinhold lassen bitten. Literarische Lebensbilder aus Sachsen. Erscheint Frühjahr 2000 in der Edition Reintzsch.
Darin: Wilhelmine Heimburg, Elise Polko, Oscar Pletsch, Karl May, Wilhelm Heine, Alwin Freudenberg, Jeanne Bertha Semmig, Gertrud Busch, Lisa Tetzner, Willi Meinck, Kurt David und viele andere)

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Ein Kommentar

  1. Hermann Reischle
    Veröffentlicht am Mo, 15. Apr. 2019 um 00:39 | Permanenter Link

    Hervorragender Artikel, präzise recherchiert und bündig geschrieben.

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