Albert Patitz – ein Radebeuler Architekt (Teil 1)

Zum 100. Geburtstag am 24. Mai 2006

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Albert Patitz

Wahrscheinlich Anfang 1922, lief ein fünfzehnjähriger Baugewerkeschüler von der Dresdner Neustadt nach Radebeul, die Fotografie eines unbekannten, schwarzbezopften Mädchens, die er einem Freunde entrissen hatte, in der Hand. Er klingelte an der Wohnung des Malermeisters Richard Lämmel, Gabelsberger Str. 1, und begehrte, mit dessen Tochter Erna spazieren gehen zu dürfen.
Da der Zunftmeister der Radebeuler Malerinnung wohl keine Einwände machte, seine Tochter besagtem, sehr ernstem Jüngling, Albert Patitz, dem ältesten Sohn des Baugewerken Hermann Patitz anzuvertrauen, begann so die Beziehung meiner Eltern, der fünf Jahre später (Mündigkeit meines Vaters) die Verlobung und weitere fünf Jahre darauf die Hochzeit folgte.
Am 31. Mai 1906 war Hermann Patitz auf dem Standesamt Dresden III erschienen und hatte dem Beamten mitgeteilt, dass am 6. Mai, nachmittags 9 Uhr, von seiner Ehefrau Anna geb. Löwe in seiner Wohnung in der Böhmischen Straße 13, ein Knabe geboren worden sei und dass sein Kind die Namen Hermann Wilhelm Albert erhalten habe. Großvater, damals ein Witwer mit zwei Töchtern, hatte mit Anna am 29. Juli des Vorjahres die Ehe geschlossen, in die auch sie eine Tochter mitbrachte. Am ersten Hochzeitstag des Paares fand die evangelisch-lutherische Taufe Alberts statt.
Albert, zu dem sich später noch zwei Brüder, Oskar (1907–1990) und Rudolf (1912–1993), gesellten, besuchte von 1912 bis Ostern 1920 eine Dresdner Volksschule und war am 21. März in der Martin-Luther-Kirche konfirmiert worden. Dann begann er im väterlichen Betrieb mit der Maurerlehre, die er ab November bei der Fa. Georg Tauer in Dresden fortsetzte. Die Ausbildung erfolgte zumeist in den Abendstunden, denn gleichzeitig besuchte er für zweieinhalb Jahre die Technische Lehranstalt.
Schon im Wintersemester 1922/23 absolvierte Vater den ersten Halbjahreskurs der Sächsischen Staatsbauschule, im Sommer 1923 wie auch im Sommer darauf besuchte er zusätzlich Abendkurse der Kunstgewerbeschule, dies alles parallel zur Ausbildung als Maurerlehrling, die er am 12. April 1924 mit der Gesellenprüfung abschloss. Er blieb aber noch bis zum 20. November bei der Fa. Tauer. Am 2. Semesterkurs an der Staatsbauschule hatte er im Winter zuvor teilgenommen. Durch die Gesellenentlohnung über mehrere Sommer- und Herbstmonate hatte er vermutlich finanziell soweit vorgesorgt, dass er die letzten drei Semester ab Winter 1924/25 zusammenhängend bis zum Erhalt des Reifezeugnisses der Staatsbauschule am 17. März 1926 absolvieren konnte, wobei er sich im Sommer 1925 als Hörer der TH Dresden zusätzlich für einen Sonderlehrgang Städtebau eingeschrieben hatte, dem ein Jahr darauf ein weiterer für das ländliche Bauen gefolgt war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte er, beginnend vierzehn Tage nach der Staatsbauschulprüfung, schon als Bautechniker im Architekturbüro Dr. Tischer gearbeitet, wechselte aber bereits Mitte November 1926 in das renommierte Architekturbüro Lossow und Kühne. Die nunmehrige materielle Sicherheit erlaubte dann wohl auch, Ende August 1927, die Verlobung mit Erna Lämmel. Allerdings zog Vater erst am 1. September 1930, nach Angabe eines Meldescheins des Stadtrats von Radebeul vom 29.12.1932, in die Lößnitzstadt in das Haus der Schwiegereltern.
Obwohl es ausschließlich dem Bürovorsteher, der auf einer Empore über dem Zeichensaal thronte, vorbehalten war, hatte Vater heimlich Fassadenentwürfe gefertigt, die er dann Prof. Max Hans Kühne bei dessen Rundgang durch sonst nur die Grundrisse „durchmiezelnden“ Reihen der gewöhnlichen Mitarbeiter, zeigte. Dieser erkannte Vaters künstlerisches Talent und förderte ihn, zum Leidwesen des verärgerten Bürovorstehers, von nun an persönlich. Die damit verbundene bessere Dotierung hatte allerdings den Nachteil, dass er hier nur bis zum 30. September 1930 beschäftigt wurde, da wegen der aufziehenden Wirtschaftskrise zuerst die besser bezahlten Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen wurden.
Die Arbeitslosigkeit dauerte fast drei Jahre, kurzzeitig unterbrochen durch Honorararbeiten für die Architekten Wichmann, Hans Richter, Schilling und Gräbner, Dr. Tischer sowie Prof. Rauda sen. 1932 gewann er zwei gutsagende Bürgen und wurde in den Bund Deutscher Architekten aufgenommen. Ab und an arbeitete er auch als einfacher Maurer bei der Fa. Günther und Söhne in Klotzsche. Am 26. Dezember 1932 heirateten die Eltern trotz aller Ungewissheiten der Zeit. Pfarrer Straube nahm die anschließende Trauung in der Radebeuler Lutherkirche vor. Der Auszug aus dem Gotteshaus erfolgte durch ein Spalier von Mitgliedern des Jungdeutschen Ordens mit gehissten Ordensfahnen. Vater und Mutter gehörten seit Mitte der zwanziger Jahre (bis zur Auflösung durch die Nazis) diesem Orden an, der sie als politische Heimat sehr geprägt hatte und aus dem sich auch ihr damaliger Freundeskreis ergab. Vater war mehrere Jahre „Meister“ von Dresden-Neustadt.
Vom 27. August 1933 stammt der letzte Vermerk seiner Arbeitslosen-Stempelkarte, der ausweist, dass sich Vater nun zur Selbständigkeit entschlossen hatte. Und es gelang ihm noch im gleichen Jahr, die ersten Projekte für Wohnhäuser in Gittersee, Langebrück, Liegau und Klotzsche zu realisieren. 1934 fasste er dann auch in Radebeul Fuß. Ein Wohnhausumbau (für Dr. Bayer), das Fünffamilienhaus für Bildhauer Schuster in der Wasastraße (mit dieser Firma war er lange Jahre, eigentlich bis zu seinem Tode, besonders auch durch die Anfertigung von Grabstein-Entwürfen und –Beschriftungen eng verbunden) sowie der Neubau der privaten Frauenklinik für Dr. med. R. Taubert sind die ersten Zeugnisse seiner selbständigen Tätigkeit in der Lößnitz, wenn man den Entwurf für den Anbau an die alte Oberlößnitzer Schule im Augustusweg 42 von 1926, den er, wohl noch als Angestellter bei Dr. Tischer, gefertigt hatte, nicht mitrechnet.Da es Vater, nach eigenem Bekunden, an einer „praktischen Geschäftstüchtigkeit“ mangelte, hatte er sich, infolge der sich jetzt, Mitte der dreißiger Jahre, ständig verbessernden Auftragslage, recht bald einen Kompagnon fürs Geschäftliche gesucht – Karl Lötzsch, der sich aber am 19. September 1936, aus Sorge vor Einbußen nach einer längeren Erkrankung Vaters, wieder von ihm trennte. Dennoch bleibt Vaters Büro noch bis in die ersten Kriegsjahre hinein, im Aufschwung. Mutter hatte diese Zeit immer als die glücklichste ihres Lebens empfunden, so dass auch der Kinderwunsch durch die am 21. Januar 1935 erfolgte Geburt meines Bruders Ulrich (der 1993 verstarb) erfüllt werden konnte, weil es in nun leidlicher materieller Sicherheit geschah. Bis 1942 ist eine Liste geführt mit rund 130 Planungen aller Art, insbesondere Wohnhäuser, Siedlungen, Fabrikbauten, Innenausgestaltungen. Allerdings nimmt die Anzahl der Vermerke „Projekt“ Ende der dreißiger Jahre und während der ersten Kriegsjahre zu. Dies könnte darauf hindeuten, dass die tatsächliche Bauausführung nicht sogleich oder gar nicht mehr erfolgte.
Eine schwere Operation im Jahre 1939 hatte die günstige Folge, dass Vater nicht aktiv in den Krieg ziehen musste. Aber im Jahre 1942, irgendwo verwahre ich noch den angestrichenen Zeitungsausschnitt, gab es einen Aufruf von Minister Speer an die deutschen Architekten und Ingenieure, sich einem Auslandseinsatz zu stellen. Da hatte sich auch Vater für die Ukraine beworben und, wohl bis kurz nach Stalingrad, die gesamte Planung für den Wiederaufbau der der Dnepr-Holz GmbH in der Südukraine zugewiesenen Werke in Kiew und Saporoshje, vorwiegend aber in Dnepropetrowsk selbst, geleitet. Ich bewahre noch einige Aquarelle mit Dnjepr-Landschaften.
Als nach der durch Stalingrad herbeigeführten Kriegswende der Rückzug auch der Zivilisten angeordnet wurde, kam Vater nach Deutschland zurück, wurde aber Mitte 1944 bis Anfang 1945 nach Leipzig beordert, um Fliegerschäden beseitigen zu helfen. In den Fliegerangriffen auf Dresden verloren Vaters Eltern ihre Wohnung Rothenburger/Ecke Bautzener Straße, überlebten glücklicherweise und hatten fürs Erste in Großvaters Niederlage in der Holzhofgasse eine Bleibe, in der Großvater 1952 auch verstarb.
(Fortsetzung folgt)
Lutz Patitz

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