Aus dem Coswiger Stadtarchiv 2008-11

(K)ein Schloss in Coswig

Eine 220-jährige wechselvolle Geschichte

Nein, um es gleich vorwegzunehmen, eine blaublütige Vergangenheit hat unser Schloss im Spitzgrund nicht. Das herrschaftlich anmutende Gebäude wurde lediglich durch den Volksmund geadelt. Seine Wurzeln sind sehr irdisch, denn sie liegen im Kalkvorkommen, das um 1788 dort entdeckt wurde. Die wuchtigen Grundmauern sind die eines ehemaligen Kalkofens, immerhin eines königlichen. Fast 90 Jahre tat er seinen Dienst und die dunklen Rauchwolken, die von seiner Arbeit kündeten, gaben oft Anlass zur Klage bei Anwohnern und Naturfreunden. Dieses Königliche Kalkwerk hauchte 1875 sein Leben aus, will man einer Anzeige im Meißner Tageblatt 1) vom 2. November aus jenem Jahr glauben, in dem letzte Gerätschaften des Kalkofens offeriert wurden. Von da an war es noch ein weiter Weg bis zum „Schloss“. Wieder ist es ein Zeitungsartikel, aus dem wir etwas über das weitere Geschehen im Spitzgrund erfahren. 1877 berichtete die Kötzschenbrodaer Zeitung 2) dass sich am 29. Mai in der chemischen Fabrik im Spitzgrunde eine Explosion, durch welche das Dach des im vorigen Jahr erbauten Fabrikgebäudes zertrümmert wurde ereignete. Der Besitzer Herr Schober und sein Compagnon Herr Lauenstein haben dabei so schwere Brandwunden erhalten, dass insbesondere das Aufkommen des Ersteren sehr in Frage steht. Leider bewahrheitete sich die Prognose der Zeitung. Der Chemiker und Fabrikbesitzer Johann Georg Schobert, wie er richtig hieß, erlag am 9. Juni 1877, mit nur 37 Jahren, seinen schweren Brandverletzungen. Besonders tragisch machte das Geschehene, dass zwei Monate danach auch noch sein knapp einjähriger Sohn starb. Doch bereits im Januar 1878 wurde erneut ein Gewerbe, diesmal für die Fabrikation mit Lack und Firnis, angemeldet. Seit 1890 hieß die Gewerbebezeichnung: Herstellung chemisch-technischer Produkte. Mit wechselnden Besitzern blieb der ehemalige Kalkofen bis ca. 1900 eine Fabrik. Danach wurde laut Gewerbeverzeichnis der Gemeinde Coswig in diesem Grundstück jedoch vorwiegend mit Geflügel und Eiern gehandelt. Das ist zwar weniger explosiv, aber auch nicht ganz sicher, wie sich zeigen wird.

Die früheste überlieferte Akte beginnt im Jahr 1903. Daraus ist zu ersehen, dass inzwischen auf den Kalkofengrundmauern ein eingeschossiges Wohnhaus erbaut wurde. Besitzer war zu dieser Zeit eine GmbH „Vereinigte Spareinleger“ aus Dresden. Zwei Jahre später gehörte es einem Friedrich Wilhelm Quick. So rechtes Glück war dem Anwesen jedoch nicht beschieden. Erneut musste die „Kötzschenbrodaer Zeitung” 3) über einen Brand im Spitzgrund berichten. Am 18. Dezember 1906 war zu lesen: In dem in der Nähe der Spitzgrundmühle bei Coswig gelegenen Schmeckschen Wohngebäude brach am Freitag nachts 7/2 2 Uhr Feuer aus, durch welches der Dachstuhl und der erste Stock zerstört wurden. Das Gebäude, das früher ein Kalkofen War, aber zu einem Wohnhaus ausgebaut worden ist, wurde von mehreren Familien bewohnt, die den größten Teil ihrer Habe retteten. Einige Mobilien und Gerätschaften, darunter eine Brutmaschine, sind jedoch verbrannt. …Noch einmal ging man an den Wiederaufbau des Dachgeschosses. Im Februar 1907 erhielt Quick dazu die Genehmigung des Gemeinderates Coswig. Auch der Geflügelhandel wurde weiter betrieben.
Bis 1912 mit einem neuen Besitzer die Metamorphose des bisher arg gebeutelten Grundstückes begann. Hermann Boehringer, Zahnarzt mit Praxis in Kötzschenbroda, erkannte wohl als erster den Reiz dieses Fleckchen Erde zu Füßen des Spitzberges, mit einem weiten Blick ins Elbtal, unweit der beliebten Ausflugsziele Spitzgrundmühle und Spitzgrundteich. Er hatte offenbar neben einem ausreichenden Vermögen genügend Phantasie, um sich auf den historischen Kalkofenmauern ein schlossartiges Anwesen am Rande des Friedewaldes vorzustellen. Diese Vorstellungen ließ er noch im gleichen Jahr vom Coswiger Baumeister Rudolf Pötzsch umsetzen. Es entstand ein prächtiges Herrenhaus mit Wintergarten, Musiksaal, Esszimmer, Herren- und Damenzimmer, Balkonen und Terrasse. Seine äußere Gestalt ist bis auf wenige Abweichungen noch heute so erhalten. Gleichzeitig wurde von Boehringer das auf demselben Flurstück stehende Gebäude, bezeichnet als Vorwerk, zu einem Wohnhaus um- und ausgebaut. Nach Abriss eines Hintergebäudes ließ Boehringer seinen Prachtbau mit einem großzügigen Park komplettieren. Ein Architekt und ein Konzertsänger-Ehepaar mieteten sich ein und ein Gärtner bewohnte das ehemalige Vorwerk. Viel mehr erfahren wir leider nicht über Herrn Boehringer und sein Schloss aus dieser Akte.

um 2013

Erst der Verkauf des Anwesens im Spitzgrund 1921 war dem „Coswiger Tageblatt“ 4) wieder eine Meldung wert. So berichtete es am 7. Oktober: Das anmutig auf der Höhe des Spitzgrundes gelegene Schloß Coswig hat seinen Besitzer gewechselt, indem es durch Kauf vom Zahnarzt Böhringer auf den Kaufmann Hans Berge in Coswig überging… Großkaufmann Berge gehörten noch andere Grundstücke in Coswig. Er wählte das Schloss zu seinem Wohnsitz. Anscheinend war es ihm noch nicht repräsentativ genug, denn er veranlasste einen aufwändigen Umbau der Rückfront. Ein Treppenhausanbau über alle Etagen mit großen Fenstern und großzügiger Freitreppe entstand 1922. Damit hatte das Gebäude nun endgültig einen schlossartigen Charakter bekommen. Doch lange erfreute sich auch Herr Berge nicht an seinem Besitz.
-Fortsetzung folgt-
Petra Hamann, Stadtarchiv

Rückfront nach dem Umbau 1922

Quellen:
1) ‘Stadtarchiv Meißen: Meißner Tageblatt (1875) Nr. 255 vom 2. November, S. 1 (Film-Nr. 45)
2) Stadtarchiv Radebeul: Kötzschenbrodaer Zeitung und Anzeiger Amtsblatt für Kötzschenbroda und Niederlößnltz (1877) Nr. 43 vom 2. Juni, S. 268 (lFilm-Nr 5)
3) Stadtarchiv Radebeul: Kötzschenbrodaer Zeitung (1906) NL 145 vom 18. Dezember, S. 2 (Film-Nr 25)
4) Coswiger Tageblatt (1921) Nr. 235 vom 7. Oktober, S. 4 Akten des Bauarchivs Coswig, Am Spitzberg 18/20 Akten und Unterlagen des Stadtarchivs Coswig
Abbildungen: Postkarten Karrasburg Museum Coswig
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