Das historische Porträt: Benjamin Gottfried Weinart (1751-1813)

In einer knappen Übersicht von 1840 über die Kötzschenbrodaer Weinbergsflur stieß ich vor einiger Zeit auf den Namen »Weinartsruh, wo vor 30 J. der berühmte Schriftsteller Finanzproc. Weinart privatisirte«. Wackerbarths Ruhe kennt man noch, auch wenn das Staatsweingut diesen schönen Namen leider zu den Akten gelegt hat. Aber »Weinarts Ruhe«? – Nie gehört. Was steckt also dahinter?

Welcher berühmte Schriftsteller da beim alten Reichsgrafen abgekupfert hatte, ließ sich relativ leicht ermitteln: Es handelt sich um Benjamin Gottfried Weinart, Mitglied diverser gelehrter Gesellschaften, der um 1800 als ausgewiesene Kapazität auf dem Gebiet der sächsischen Geschichte galt. Am 4. Mai 1751 in Dohna als Pfarrerssohn geboren, hatte Weinart in Leipzig Jura studiert und sich schon bald nach Erwerb des Magistergrads 1774 »durch seine rasche litterarische Production den Ruf eines vielseitigen Geschichtsforschers und federgewandten Schriftstellers« erworben, wie es 1910 in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) heißt.

Sein erstes größeres Werk war eine »Topographische Geschichte der Stadt Dresden und der um dieselbe liegenden Gegenden«, die zwischen 1777 und 1781 erschien und vor allem wegen der zahlreichen Kupferstiche noch heute eine gesuchte Rarität darstellt. Von Dresden, wo Weinart nach der Approbation als Advokat tätig gewesen war, wechselte er 1779 als Amtmann ins damals noch sächsische Städtchen Ruhland in der Oberlausitz. Dieser Brotberuf ließ ihm Zeit für seine Studien, die sich nun vor allem auf die Rechtsgeschichte der beiden Lausitzen konzentrierten und in mehreren Publikationen ihren Niederschlag fanden.

Daneben betätigte er sich als Sammler und Bibliograph und legte 1790/91 in zwei Bänden seinen »Versuch einer Litteratur der Sächsischen Geschichte und Staatskunde« vor, den er später noch mehrfach ergänzte und der wegen seiner Materialfülle lange ein Standardwerk blieb.

1797 wurde Weinart zum kurfürstlich sächsischen Finanzprokurator in den Ämtern Senftenberg, Finsterwalde und Doberlug ernannt und kehrte nach Dresden zurück, wo er fortan auch anwaltlich und für verschiedene Periodika tätig war. Auch die ADB erwähnt, dass er sich als Wohnsitz »nahe bei der Stadt einen Weinberg mit einem Landhause [kaufte], das er Weinartsruhe nannte«. Doch um welchen Berg handelte es sich?

Aus Gustav Wilhelm Schuberts »Chronik und Topographie der Parochie Kötzschenbroda« (1865) geht hervor, dass Weinartsruh mit dem später v. Minckwitzschen Anwesen, heute Obere Bergstraße 30 in Niederlößnitz, identisch ist. Dessen Geschichte hat Liselotte Schließer akribisch erforscht. Ihre Ausarbeitung belegt auch, warum sich Weinart gerade dieses Weingut aussuchte. Das gehörte nämlich bereits seit 1762 seiner inzwischen verwitweten Mutter Christiane Johanna Weinartin geb. Krause, einer Enkelin von Caspar Christian Kober, der 1713/14 das Herrenhaus und 1729 das weithin sichtbare Belvedere hatte erbauen lassen. Der Kaufkontrakt vom 7. Januar 1797 liefert eine detaillierte Aufstellung des umfangreichen Besitzes, der aus verschiedenen Einzelbergen und Feldparzellen mit den zugehörigen Baulichkeiten, mehreren Brunnen am Rieselgrund sowie dem Koberschen Betstübchen samt Erbbegräbnis in der Kötzschenbrodaer Kirche bestand und – zumindest auf dem Papier – für 4.000 Taler den Eigentümer wechselte. Damals wurde das Anwesen noch »Hausberg« genannt. Am 14. September 1798 verkaufte Weinart drei der zugehörigen Weinberge für 1.700 Taler; dieser Kontrakt trug schon die Ortsbezeichnung »Weinarts Ruhe«.

Dass seine Ruhe hier nur von kurzer Dauer war und der Name bald wieder verschwand, hatte er sich selbst zuzuschreiben. Im Jahre 1800 veröffentlichte Weinart ein Buch »Über die chursächsische Steuer-Verfassung«; das Manuskript stammte aber gar nicht von ihm, sondern von Dr. jur. Friedrich August Eichhoff (1769-1830). Ein Freiherr kann sich bei so was vielleicht gewisse Freiheiten erlauben, aber Weinart fehlte das Von und Zu. Dr. Eichhoff strengte einen Plagiatsprozess an, der für den Beklagten 1804 mit Arrest und erheblichen Schadenersatz- sowie Gerichtskosten endete. Vermutlich zu deren Bestreitung versuchte Weinart 1806 von der Lößnitz aus, Teile seiner umfangreichen Bibliothek zu veräußern – für einen Büchermenschen ein hartes Los. Offenbar reichte das trotzdem nicht, denn am 12. Juni 1810 wurde »Weinarts Ruhe« (seit 1685 quasi im Familienbesitz) samt allen Zubehörungen »schuldenhalber« zwangsversteigert.

Erstaunlicherweise behielt der im Alter schwer kranke Weinart seinen Posten als Fiskal und ist im Dresdner Adresskalender auch weiterhin als Rechtskonsulent verzeichnet. Im Juli 1811 meldete die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung, für die er als Rezensent tätig gewesen war, dann voreilig sein Ableben. Tatsächlich starb Benjamin Gottfried Weinart aber erst 1813, am 1. oder, nach anderen Quellen, am 9. September, in Dresden-Neustadt. Seine »Ruhe« und den Platz im Koberschen Erbbegräbnis hatte er verwirkt. Das einzige, was in Radebeul heute noch an ihn erinnert, ist ein großformatiges Ölgemälde »Der Leichnam Christi« von unbekannter Hand, das Weinart der Kötzschenbrodaer Kirchgemeinde im Jahre 1800 gestiftet hatte und das seinen Platz inzwischen unter der Orgelempore der Friedenskirche gefunden hat.

Frank Andert

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An dieser Stelle möchte ich mich bei Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, als verantwortlicher Redakteur von ›Vorschau & Rückblick‹ verabschieden. Ich habe diese Funktion 2009 gern übernommen und mich – aus Hochachtung vor dem Publikum und der Tradition der ›Vorschau‹ – seitdem bemüht, das inhaltliche und gestalterische Niveau dieser für die Radebeuler Kultur so wichtigen kleinen Zeitschrift hoch zu halten. Der schwer gefühlte Mangel an Verständnis und Unterstützung für dieses Anliegen veranlasste mich, zu Jahresbeginn meinen Rücktritt zu erklären. Ich wünsche meinem Nachfolger Sascha Graedtke von Herzen immer gute Texte und die Hilfe, die er braucht. Mir und Ihnen wünsche ich, dass die ›Vorschau‹ noch viele Jubiläen feiern möge. Eine Kästner-Moral auf den Weg: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

F. A.

[V&R 3/2011, S. 22-25]


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