Auf dem Ego-Trip nach Afrika

Zur Premiere von »Benefiz« am 5./6. März 2011 an den Landesbühnen

Auch Sie gehören also zu denen, die ab und zu für ein humanitäres Projekt in der dritten Welt Geld spenden oder sich zumindest vorstellen können, Bedürftige in Afrika, Asien oder Lateinamerika zu unterstützen? Und Sie tun dies einerseits, weil sie erkennen, dass bei Hunger, Elend, Krankheit und Armut Hilfe dringend geboten ist, andererseits, weil Sie ein ganz kleines bisschen damit auch Ihr Gewissen beruhigen wollen, denn Ihnen geht es objektiv gesehen ja ganz gut? Dann kann ich Ihnen die jüngste und mit viel Beifall bedachte Produktion der Landesbühnen empfehlen: »Benefiz – jeder rettet einen Afrikaner« der Gegenwartsautorin Ingrid Lausund (1965 in Ingolstadt geboren) zielt mitten hinein in unsere Wohlstandgesellschaft, die oft genug nicht zwischen ehrlichem Engagement für die Dritte Welt und Betroffenheitstümelei unterscheidet.

In der von Gastregisseur Michael Funke verantworteten Inszenierung nimmt das Publikum Anteil an einer Probe zu einer Wohltätigkeitsveranstaltung, deren Erlös für eine Schule in Guinea-Bissau (Westafrika) verwendet werden soll. Der Clou: Diese Schule gibt es inzwischen wirklich, nachdem das Stück in den letzten drei Jahren deutschlandweit (Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt u.a.) mit großem Erfolg gespielt wurde und die Zuschauer Spenden für den im Stück verhandelten Zweck gegeben haben. Mit diesem Kniff blendet Lausund Bühnenrealität und Lebenswirklichkeit auf unerhörte Weise ineinander und entlässt das Publikum mit dem zwiespältigen Gefühl, dass das spontane Lachen an vielen Stellen während des (über weite Strecken satirischen) Stückes wohl doch kein Lachen hätte sein dürfen, weil es vielmehr im Halse hätte stecken bleiben müssen. Aber dieses Empfinden stellt sich erst nach und nach ein und umso mehr, je intensiver Eva (Dörte Dreger), Christine (Wiebke Adam-Schwarz), Leo (Michael Mienert), Rainer (Tom Hantschel) und Eckhard (Olaf Hörbe) ihre sehr heutigen Charaktere entfalten. Sie sind überhaupt die größte Stärke des Stückes, denn anders als sonst im Theater entspringen sie in Anmutung und Verhalten der Mitte unserer Gesellschaft, sind Teil von uns allen, kurz: Dem Zuschauer fällt es nicht schwer, sich mit den Figuren zu identifizieren. Jeder kann sich in der einen oder anderen Figur spiegeln und seine ganz persönliche Sicht auf Sinn oder Unsinn von Spendenaufrufen und Sammelbüchsen wieder finden. En passant verwickelt das Stück den Theaterbesucher darüber hinaus auch in einen Dialog über die Tücken und Fallstricke politisch korrekter Sprache, die aus dem angelsächsischen Raum in den letzten 20 Jahren zu uns herübergeschwappt ist und den unbefangenen Gebrauch unserer Muttersprache erschwert. Insbesondere Eva ist einer dieser eifernden Gutmenschen, die es »ganz ganz schlimm« finden, wenn Rainer eine befreundete Afrikanerin als »Schwarze« bezeichnet, weil sie dahinter Abwertung und Rassismus wittert. Dörte Dreger verleiht ihrer Eva den bemitleidenswerten Gestus der ewig an der Welt Verzweifelnden, der durch ein überreflektierendes Helfersyndrom entstehen kann. Kein Wunder, dass sie mit dem hemdsärmlig-leutseligen Pragmatismus von Rainer ebenso wenig etwas anfangen kann wie mit dem lebensfrohen Leo, für den die weiblichen Reize von Christine weitaus interessanter sind als etwa Eckhards ernst gemeinte Erschütterung über das Schicksal afrikanischer Kinder, die finanziell zu unterstützen er sich vorgenommen hat. Mitnichten sind die Fünf also eine Einheit und sich einig, vielmehr fragt jede(r) – ohne es vordergründig zu beabsichtigen – zuerst danach, wie unentbehrlich und wichtig er oder sie für das Gelingen der Veranstaltung ist. Prominentes Beispiel dafür ist Christine, die ein Provinzsternchen ohne näher bezeichnete Qualitäten ist, sich selbst aber als Profi und damit als Garant für den Erfolg der Benefiz-Veranstaltung sieht. Das Stück entlarvt so auf unterhaltsame Weise die Eitelkeiten und den Geltungsdrang aller Charaktere und entwirft damit eine Folie, vor der jeder Zuschauer aufgefordert ist darüber nachzudenken, in welchem Verhältnis für ihn Eigennutz und Selbstlosigkeit bei einer solchen Spendenshow stehen würden. Natürlich ist dieses Stück damit eine Gratwanderung, denn ins Lächerliche gezogen werden soll der Wunsch zu helfen nicht, dazu ist das Thema viel zu wichtig. Dass ein Abdriften ins Alberne oder gar Moralisierende nicht geschieht, ist das Verdienst der Regie, die alle Figuren klar und umrissen auftreten lässt, deren menschliche Schwächen sie mit jeder Faser sympathisch machen.

Starke Bilder und Töne produziert die Inszenierung auch dank der von Andrea Eisensee besorgten Ausstattung und der von Uwe Zimmermann erarbeiteten Musik. Probebühne und Pausenraum etwa sind zwei parallel geschaltete und vertikal gestufte Spielflächen, auf denen mitunter gegenseitig ausschließende Handlungsstränge ablaufen (etwa wenn Leo und Christine oben heftig flirten und gleichzeitig Eva und Eckhard unten über das Mädchen ohne Arme und den Waisenjungen sprechen). Das von den fünf Protagonisten (beachtlich sicher!) intonierte und Anlass zum Selbstlob gebende »Ukululule« hört sich im ersten Moment an wie ein afrikanischer Gospel, um dann doch als Adaption des urdeutschen Stimmungsliedes vom Eiermann enttarnt zu werden. Wenn man möchte, dann ist dieses Lied eine Metapher für das ganze Stück: Wir tun wohl zu oft etwas, um zuallererst damit uns selbst zu gefallen, und scheitern dadurch grandios an unseren hehren Ansprüchen und Moralvorstellungen.

 

Bertram Kazmirowski

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