Nicht mehr über den Löffel balbiert

Feuriger Rossini an den Landesbühnen und die schönsten Aussichten

Dem Dahinsiechen des Honecker-Staates in den achtziger Jahren entsprach eine künstlerische Stagnation an den Landesbühnen Sachsen. Anspruchswahrungsdenken der Einrichtung in der neuen kulturpolitischen Situation hat auch nach 1989 einer ästhetischen Erneuerung zunächst im Wege gestanden. Nun wo die Landesbühnen einiges verloren haben und unversehens zum Stadttheater von Radebeul wurden, haben sie an Gehalt gewonnen und vielleicht beginnt damit eine neue Epoche.

Die Gesundheit einer Bühne lässt sich an den komplexen Anforderungen des Musiktheaters am besten ablesen. Es umfasst Herausforderungen an denen sich grandios scheitern lässt. Das Repertoire hat einiges zu bieten, womit auch kleine und mittlere Bühnen sich profilieren können und sowohl Kenner als auch Durchschnittspublikum zu beglücken vermögen. Die sensationellste Inszenierungsleistung zu Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ der letzten Jahrzehnte gab es nicht in Bayreuth oder an der Met, sondern Ende der neunziger Jahre in Chemnitz. Die Landesbühnen hatten wohl einige Achtungserfolge zu verzeichnen, aber insgesamt wurden die organisatorischen und künstlerischen Potenzen von Haus und Ensemble nicht ausgeschöpft. Die unbarmherzige Konkurrenz der 1985 wiedereröffneten Semperoper und des Dresdner Schauspielhauses mit den Inszenierungen von Wolfgang Engel wirkte sich vernichtend auf die Wahrnehmung einer Leistung aus, die in kultureller Einöde, verdienstlich wäre, an einer besser bestückten Tafel jedoch als amüsante Schmiere empfunden werden musste. Noch vor Jahren blieb nach dem ersten Aufzug des „Don Giovanni“ nur die Flucht. Man musste kein Geschmäckler sein um sich da nach frischer Luft zu sehnen. Dabei ist nichts so erfrischend wie einen musik-theatralischen Edelstein aus der Schlacke der Provinz hervorleuchten zu sehen. Intendant und Regisseur müssen freilich listig vorgehen, wenn sie Kunst und Publikum zusammenbringen wollen, ohne das Eine dem Anderen zum Opfer zu bringen. Aber das ist ihre angestammte Aufgabe. Großartiges habe ich an den Opernhäusern von London, Zürich, Sankt Petersburg und Berlin gesehen, aber nicht minder ergriffen war ich von Inszenierungen in Meiningen, Saarbrücken, Mainz, Freiberg und neuerdings nun auch wieder in Radebeul. Anlass war hier in der vergangenen Saison die rundum gelungene Inszenierung von Tschaikowskis „Eugen Onegin“ durch Therese Schmidt, der durch überzeugende Personenführung eine ergreifende aber unsentimentale Darstellung der Gefühlsverwirrungen von Eugen, Tatjana, Olga und Lenski glückte. Selbst auf den Achilles-Fersen des Ensembles stürmte der Radebeuler Thespis-Karren souverän über die Ziellinie des ästhetischen Anspruchs. Alle Kräfte des Hauses gingen an ihre Grenzen und siehe da: Die waren dann weit großzügiger bemessen, als man glaubte vermuten zu dürfen. Der Intendantenwechsel bringt nun neue Sängerkräfte ins Haus. Und es wird immer spannender. Anette Jahns, die vor Jahren an Manuel Schöbels alter Wirkungsstätte, dem Mitteldeutschen Theater Freiberg-Döbeln, eine wunderbare Inszenierung von Glucks „Orfeus und Eurydike“ vorstellte, setzt nun Rossinis Hauptwerk in Radebeul um. Patrizia Häusermann als Rosina und Kazuhisa Kurumada als Figaro überzeugten mit stimmlicher Kraft, sanglicher Gestaltung und charismatischer Bühnenpräsenz. Die Einfälle von Regie und Bühnenbild sind frisch und passend. Es wird weder über die Stränge geschlagen, noch in Konventionen gefesselt. Auch ein Dauerbrenner wie „Der Barbier von Sevilla“ muss immer wieder neu entzündet werden, damit sein Feuer nicht schwelt, sondern funkelt. Das ist hier vortrefflich gelungen. Was die ganz großen Häuser an technischer Brillanz mehr aufzubieten haben, kraft Geld und Einfluss, das wird dort meist von der Regie versaubeutelt. Die Musik muss sich oftmals durch eine postmoderne Ideen-Bricolage mühsam zum Sinn des Werkes durchkämpfen. Nur die Macht der Musik gibt solchen Aufführungen noch ein Rückgrat. Der Musikliebhaber schlösse am liebsten die Augen, wofür man aber nicht in die Oper geht. In diese Breschen können sich die kleinen Häuser schlagen. Darin besteht ihre große Chance. Die Oper, oft genug in snobistische Sackgassen verrannt, kann mit minderen Mitteln und soliden Kräften zum magischen Ereignis werden. Gerade das geschieht neuerdings wieder in Radebeul und man darf gespannt sein auf den sinnlichen Genuss und ästhetischen Erkenntniswert den die nächste Opern-Premiere im Dezember ganz gewiss bereiten wird. Um diesen Preis muss die Demimonde-Eleganz des regionalen Publikums und der Wiener-Würstchen-Brodem im Pausen-Foyer ertragen werden. Wie immer es auch riecht: Hier verwest nicht totsubventionierte Hochkultur, sondern lebendiges Theater atmet endlich wieder! Zunächst darf man erwartungsvoll sein auf die nächste Premiere, mit der das Wagner-Jahr 2013 eingeläutet wird. Als 22-jähriger brachte der Magdeburger Musikdirektor Richard Wagner 1836 seine zweite Oper zum Abschluss. „Liebesverbot“ nach William Shakespeares Komödie „Maß für Maß“ spielt in Palermo und der Titel ist bereits vielsagend für den emotionalen Druck, der sich hier aufbaut. Es ist das einzige gewaltige Thema, von dem Wagners Hauptwerke vom „Holländer“ bis zum „Parsifal“ umgetrieben sind, dass hier bereits aufflackert. Wagner tritt uns hier noch als der nachfolgende Gefährte Carl Maria von Webers und Heinrich Marschners entgegen. Apropos Heinrich Marschner: Dessen „Vampyr“ oder den „Hans Heiling“ auf der Radebeuler Bühne zu sehen und klingen zu hören… wie herrlich wäre das? Und es würde unzweifelhaft besser funktionieren, spannender sein, als die etwas willkürliche Wiederbelebung von Ludwig Spohrs „Faust“ vor einigen Jahren.
 
Sebastian Hennig

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