Hoffnungsvolle Grüße

In den letzten Julitagen konnte Frau Ingeborg Hauptmann ihren 90. Geburtstag feiern.
Als ich die lebensvolle Enkelin von Gerhart und Marie Hauptmann vor vielleicht fünfzehn Jahren kennenlernte, hat sie mich binnen weniger Minuten von dem Irrtum befreit, nur junge Frauen wären interessant. Was uns seither verbindet, was die Bekanntschaft zur Freundschaft reifen ließ, ist ein gemeinsames Anliegen: die Pflege der Erinnerung an ihre Grußmutter Marie. Wir alle kennen jenes Sommermärchen, das im goldenen Herbst 1881 seinen ersten Höhepunkt hatte in ihrer heimlichen Verlobung mit dem damals noch völlig unbekannten Breslauer Kunstschüler Gerhart. Wir alle kennen auch den Ort des Geschehens: Hohenhaus in Radebeul. Ein volleres, unbeschwerteres Liebes- und Jugendglück ist gewiß nie von jemand genossen worden, schwärmt Gerhart Hauptmann noch in seinen Lebenserinnerungen. Ebensowenig, fährt er fort, wird der alte, herrliche Bischofssitz nachher auch nur ähnlich frohe, überschwängliche Tage gesehen haben.
Doch schon Ivo, der älteste Sohn der beiden, beklagt in seinen Memoiren, die Rolle der Mutter für das Wachsen des Vaters zum Nobelpreisträger sei immer unterschätzt worden. Ingeborg, die Enkelin, hat sich vorgenommen, ihrer Großmutter posthum Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. Für dieses Anliegen hat sie Verbündete auch in Radebeul und speziell im Hohenhaus gefunden.
Als die Bemühungen unseres Vereines scheiterten, das Haus in öffentliche Trägerschaft zu überführen – weder die Stadt noch das Land wollten sich mit dem Denkmal belasten – waren es Inge und Torsten Schmidt, die sich des kulturellen Erbes annahmen. Wie die meisten von uns kannten sie das Werk Hauptmanns nur aus der Schullektüre. Im Hohenhaus, und nicht zuletzt durch die Begeisterung Ingeborgs haben sie gelernt, die literarische Tradition und die Erinnerung an Marie zu ihrer eigenen Angelegenheit zu machen. Sie haben sich ergreifen lassen von der Verehrung für den Lebensweg einer tapferen Frau. Gerhart Hauptmann hat in seinem Werk mehrfach anklingen lassen, dass und wie der seinerzeitige Verkauf von Hohenhaus für Marie und ihre Geschwister einem Paradiesesverlust gleichkam. Schmidts haben sich anstecken lassen von der Begeisterung einer interessierten Öffentlichkeit. Doch sie konnten nicht ahnen, welche Kraft das Erbe von ihnen fordern würde.
Seit bald zehn arbeitsreichen Jahren ist Hohenhaus nun ihr Lebensmittelpunkt. Sie haben den alten Glanz des Hauses wieder sichtbar gemacht. Sie haben den Gedenkstein für Marie Hauptmann nach Radebeul überführt, haben einen Gedenkraum geschaffen und im ehemaligen Weinkeller ein Forum für Musik und Literatur geschaffen. Ihr Wirken, an dem auch wir Anteil nehmen konnten, hat dazu geführt, dass Marie Hauptmann in der literarischen Öffentlichkeit heute ganz anders wahrgenommen wird, als noch vor zwanzig Jahren.
Die Möglichkeiten, die das Forum bietet, sind durch unsere monatlichen literarischen Spaziergänge und die sporadischen Veranstaltungen längst nicht ausgeschöpft. Doch die Unterhaltung ist kostspielig. Schon die Heizkosten sind durch Kultur allein nicht zu refinanzieren, vom Dach – das in diesem sonnenarmen Sommer seine ganze Durchlässigkeit zeigt – ganz zu schweigen.
Es ist an der Zeit, den einstigen Wirtschaftsteil, die alte Gärtnerei, wieder wirtschaftlich zu nutzen – ganz wie wir es vorhatten, als wir noch träumten, Hohenhaus könnte allen gehören. Schließlich steht es jetzt allen offen.

Der Plan, Ingeborg Hauptmann zum Jubiläum ein literarisches Fest auf Hohenhaus zu schenken, mußte aus gesundheitlichen Gründen fallen gelassen werden. Am Plan, in ihrem Sinne das literarische Erbe, das auch ihr Erbe ist, mit Leben zu erfüllen, halten wir gemeinsam fest, denn wir wissen, dass die erforderliche Kreativität und die nötige Toleranz in der Stadt vorhanden sind.
In solch froher Hoffnung senden wir herzliche Geburtstagsgrüße aus Radebeul zu ihr nach Wiesbaden.
Thomas Gerlach

 

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