Familientaugliches Adventsvergnügen

Für den Rezensenten, der seit fast 20 Jahren regelmäßig in der „Vorschau“ über Aufführungen des Schauspiels an den Landesbühnen berichten darf, war der Besuch der Radebeuler Premiere von „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ am Reformationstag aus zwei Gründen ungewöhnlich. Erstmalig fühlte ich, dass es nicht vorteilhaft sei, die anstehende Besprechung nur aus meinen Eindrücken zu speisen – weshalb ich mir zur Verstärkung meine 8-jährige Tochter mitgenommen hatte. Denn was als Familienstück durchgehen soll, muss schließlich vor allem den Kindern gefallen. Und ebenso zum ersten Mal ging ich nicht unvoreingenommen zu einer Premiere, denn das Stück wurde schon während der letzten Sommersaison auf der Felsenbühne gegeben und dort u.a. auch schon von erwähnter Tochter gesehen, die mir natürlich darüber berichtet hatte. Außerdem kenne ich die filmische Vorlage und habe die dazugehörige Ausstellung in Schloss Moritzburg gesehen – die Macht der Bilder im Kopf erweist sich dann im Verlauf des Stückes auch als recht stark und verleitet zu Vergleichen.
Die Radebeuler Hausfassung (Regie: Manuel Schöbel) hält sich fast ausnahmslos an die erfolgreich in Rathen gezeigte Produktion und geht in Doppelbesetzung (alle Hauptrollen werden sowohl von Mitgliedern des Schauspiel- als auch des Musiktheaterensembles gespielt, weil das Stück als Musical konzipiert ist) im Dezember auf Tour durch Sachsen (Radebeul, Torgau, Bad Elster, Großenhain, Neustadt, Meißen). Die Anzahl der allein in diesem Monat bis Weihnachten geplanten Aufführungen (16!) verrät den Anspruch, mit dem diese Produktion in den Spielplan aufgenommen wurde: Man rechnet mit Zulauf, auch von ansonsten theaterferneren Kreisen. „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ soll eben ein Stück für die ganze Familie sein, weshalb weder in die bekannte Handlung, noch nachhaltig in die vertraute Personenkonstellationen eingegriffen wurde, und selbst das beliebte Thema der Filmmusik durfte in der Bühnenmusik (Thomas Zaufke) verarbeitet werden. Lediglich die Rollen des Prinzipals und der Prinzipalin (Tom Hantschel und Anke Teickner, beide ebenso auch als König und Königin) sind ein Zugeständnis an eventuell mit der Handlung nicht vertraute Besucher, denn durch diese beiden wird an Gelenkstellen der Inszenierung der Fortgang der Ereignisse erläutert und z.B. auch in die Pause gebeten. Alles in allem bedient also das Stück die Erwartungshaltung des von Kindern dominierten Publikums und hat es deshalb nicht schwer, die Herzen der Zuschauer zu gewinnen. Die Sympathien fliegen vor allem Aschenbrödel (Sandra Maria Huimann verkörpert eine selbstbewusste, fast schon modern zu nennende junge Frau) und der Eule/dem Küchenjungen zu (Julia Ranis Augenspiel als in Aschenbrödel unglücklich verliebter Küchenjunge ist faszinierend!). Stiefmutter (Julia Vincze) und Dorchen (Cordula Hanns) werden absichtsvoll überzeichnet und ziehen als lebende Karikaturen ganz automatisch den Spott auf sich. Johannes Krobbach und Grian Duesberg vervollständigen die Reihe der in mehreren Rollen eingesetzten Akteure und machen insbesondere als Diener am Hofe und Gefährten des Prinzen eine prima Figur. Für die erwachsenen Zuschauer hält die Textfassung (Katrin Lange) dennoch einige Überraschungen parat, denn der Prinz (Michael Berndt) wird als Figur durch dezent gesetzte Signale in die Nähe der Protagonisten des Sturm und Drang – Karl Moor und Werther – gerückt: Im Aufbegehren gegen die dröge, in Konventionen denkende Welt seiner Eltern (er verteilt Flugblätter im Saal mit der Aufschrift „Kratzfüße und Knickse regieren am Königshof“), im Wunsch, sein Freiheitsstreben als Räuberhauptmann zu leben, im Selbstverständnis, dass die eigenen Bedürfnisse zuoberst stehen, im Hang zu Übertreibung und Stimmungsschwankung. Dieser Ansatz hat Charme und würzt das Theatererlebnis für den Literaturkenner auf unverhoffte Weise. Freilich hätte es davon gern auch mehr sein dürfen, aber womöglich wäre dann die Identifikation der jüngeren Besucher mit dem Prinz nicht so leicht gefallen. Die Ausstattung (Barbara und Klaus Noack) trägt dem märchenhaften Sujet Rechnung und bietet in Pferd, Tauben, Waldtieren, überdimensionierten Pilzen und Pflanzen sowie Schloss, Ballkleider etc. alles auf, was Film und einschlägige Bilderbücher an optischen Eindrücken zum Märchen von „Aschenputtel/Aschenbrödel“ seit Generationen nahe legen. In diese Reihe bewährter Zutaten gehört Klein Röschens (Thomas Strangfeld) Oberarmtätowierung jedoch sicherlich nicht. Bestimmt könnte ohne Einbuße an darstellerischer Kraft hier eine andere Lösung für das Kostüm gefunden werden.
Eine andere Lösung als die oben erwähnte Doppelbesetzung der Rollen scheint aufgrund organisatorischer und personeller Sachzwänge offenbar nicht auf der Hand zu liegen. Denn ohne Zweifel stellt ein Musical mit seinen Anforderungen an Stimmkraft, Gestaltungsvermögen und Intonationssicherheit für Schauspieler eine besondere Herausforderung dar. Insofern kann vermutet werden, dass das musikalische Vergnügen in der Besetzung mit ausgebildeten Sängern größer wäre. Dennoch sparte das Publikum nicht mit Beifall für alle Akteure.
Bertram Kazmirowski

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