Radebeul – eine Stadt?

Eine Stadt – was ist das? Ist Radebeul eine Stadt? Natürlich, werden die Radebeuler sagen. Ist sie aber so, wie andere Städte auch? Natürlich nicht, werden wieder die Radebeuler sagen.
Unsere Stadt ist eben etwas Besonderes, mit anderen Städten nicht zu vergleichen. Aber was ist dieses Besondere? Was macht eine Stadt überhaupt zur Stadt? „Es ist unklar, warum ein Ort als Stadt bezeichnet wird und ein anderer nicht“, kommt hierzu ein Eintrag bei Wikipedia zum Schluss. Der Autor fügt aber bedenkend dazu an, dass eine von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung abgetrennte Sicht auf Städte problematisch ist.
Stadt, Stadtentwicklung an sich, abgekoppelt von der gesellschaftlichen Situation, funktioniert demnach nicht, „da nicht die Philosophen und Soziologen und auch nicht die Städtebauer die Entwicklung der Städte wesentlich beeinflussen, sondern die Menschen, die in einer Region siedeln, die ihnen Arbeit, Lohn, Essen und Unterkunft ermöglicht“. Ob sie eine Stimme im alltäglichen Getriebe haben, sei dahingestellt. Sie geben der Stadt ihr Gepräge, einfach in dem sie da sind und in ihr leben.

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Lückenbebauung an der Burgstraße                                         Foto: KUB

Die Tatsache, dass für den Zeitraum bis 2025 zwei sich extrem widersprechende Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung der Stadt Radebeul vorliegen, zeigt die Schwierigkeit einer genauen Vorhersage für dieses Gebiet. Es wird sowohl eine Bevölkerungszunahme von 2 Prozent als auch ein Rückgang von 1,5 Prozent angenommen. Dies kann nur die Schlussfolgerung zulassen, möglichst alles zu tun, um junge Menschen in Radebeul anzusiedeln. Gleichwohl ergibt sich daraus eine komplizierte Lage, wenn man auf der Grundlage der ersten Version Kapazitäten entwickelt und vorhält, die möglicherweise später nicht benötigt werden. Sicher ist die Entwicklung der Bevölkerung, speziell in ihren einzelnen Altersgruppen, eine maßgebliche Größe für die künftige Stadtplanung. Gerade die Gruppe der Erwerbstätigen (15 bis 65 Jahre) wird sehr entscheidend für die zu erwartenden Steuereinnahmen sein. Auch ergeben sich daraus für die Entwicklung der Versorgungseinrichtungen und der Wirtschaftsförderung maßgebliche Planungsziele. Letztendlich aber reichen die aus der Bevölkerungsprognose erlangten Parameter nicht aus, um daraus ein schlüssiges Stadtentwicklungskonzept zu erstellen.
Eine Stadt ist eben mehr als eine Ansammlung von Gebäuden. Die Stadt ist vor allem ein sozialer Raum, der wesentlich von den in ihm lebenden Menschen geprägt wird. Sie aber muss auch die Funktion eines sozialen Raumes ausfüllen. Deshalb ist die Haltung „erstmal bauen, der Inhalt kommt später“ – wie gelegentlich zu hören ist – ein Tanz auf dünnem Eis.
Stadtentwicklung muss als erstes von den Menschen her gedacht werden. Und wenn INSEK 2014, das integrierte Stadtentwicklungskonzept, etwas vermissen lässt, dann ist es gerade eine Betrachtung zur sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung und der sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für künftige Entwicklungen. Dies gehört schon deshalb in die Konzeption, weil diese eine komplexe Betrachtung der Entwicklung Radebeul für die nächsten 20 Jahre anstellt.
Sicher sind es gerade die 25- bis 40-jährigen, die bisher die größte Gruppe der Zugezogenen stellten. Bis 2025 aber wird diese Altersgruppe in der Stadt eher abnehmen. Man kann davon ausgehen, dass die Zuzügler in der Regel zu den sozial besser abgesicherten Bevölkerungsschichten gehören, da sie entweder Wohneigentum erwerben oder die relativ hohen Mieten auch zahlen können. Dieses Klientel greift auf Wohnungen mit 3 bis 5 Räumen zurück, welche nahezu 70 Prozent des Bestandes ausmachen. Über 80 Prozent der Gebäude befinden sich in Radebeul aber in Privatbesitz. Und gebaut wird weiter, wenn sicher auch nicht mehr in dem Umfang vergangener Jahre. Verdichtung und Lückenbebauung weist das Stadtentwicklungskonzept als künftigen Ansatz aus. Braucht es da nicht auch eine Bausatzung, wenn, wie im Abschnitt „Städtebau und Denkmalschutz“ formuliert, die „Erhaltung der Identität der Stadt“ als ein Ziel ausgegeben wird? Gerade die Lückenbebauung der letzten Jahre hat hier nicht nur Begeisterung ausgelöst.
Was also macht Radebeul aus? Die Denkmale, der Weinterrassen, die Elbe, der Gartenstadtcharakter oder die vielen über die Jahrhunderte hier ansässigen kreativen, schöpferischen wie künstlerischen Menschen, die diese Gegend erst zu einer unvergleichlichen Kulturlandschaft erschaffen haben? Das Eine ist ohne das Andere nicht denkbar. Ohne das fruchtbare, milde Klima kein Weinanbau. Ohne Weinanbau eben auch keine „Hoflößnitz“ mit ihren kultur- und kunstvollen Bauten. Und ohne all dies eben auch keine klugen und kreativen Köpfe, die sich in der anregenden Atmosphäre niederließen. Selbst wenn das Merkantile sicher eine große Rolle gespielt haben mag, wurde das Schöne immer mitgedacht und je nach Geldbeutel pompös oder eben zurückhaltend gestaltet. Heute kann man lange suchen nach der sprichwörtlichen „Kunst am Bau“. Das Profane dominiert. Besonders erfreulich ist allerdings, dass das „Denkmalschutzgebiet historischer Weinbau“ festgeschrieben wurde.
Auch die Dorfkerne und die Gebiete mit hoher Denkmaldichte bedürfen einer sensiblen Betreuung, wenn deren Charakter erhalten bleiben soll. Die Bevölkerung darf hier nicht außen vor bleiben. Nicht immer haben die favorisierten und geförderten Sanierungsgebiete zu Ideallösungen geführt, wie man am Beispiel Altkötzschenbroda sehen kann. Die gegenwärtige Verkehrssituation sowie der beständig wachsende Schilderwald auf dem ehemaligen Dorfanger mindert dessen Attraktivität erheblich. Es leiden die Bewohner wie die Touristen darunter. Abhilfe tut not!
Die Stadt möchte besonders für junge Menschen anziehend sein. In Schulen und Kindereinrichtungen wird auch künftig viel investiert. Das ist zweifelsohne richtig. Arbeitsplätze aber braucht es auch und Wohnraum. Das INSEK stellt besonders einen Mangel an bezahlbaren Wohnungen in der Stadt fest. Wie vertragen sich da angekündigte Mietpreise von über 8 Euro pro Quadratmeter für Neubauwohnungen, wenn die mittelfristig nutzbare Fläche für den Wohnungsbau maximal 390 Wohneinheiten zulassen? Eine Besserung ist da schwer vorstellbar. Da drängt sich auch die Frage auf, wann der Leerstand bei der städtischen Besitzgesellschaft saniert wird?
Ja und da sind noch die beiden Stadtzentren. Welche Funktionen sollen sie künftig erfüllen? Und wo hat darin der Mensch seinen Platz, also, wo kann er sich aufhalten, kommunizieren oder auch nur die zum Leben nötigen Versorgungen und Informationen finden?
Es bleibt also sehr zu hoffen, dass die Bautätigkeit in Radebeul nicht zu sozialen Spannungen in der Stadt führt. Und warum soll eigentlich laut INSEK der „Ausbau von bezahlbaren Atelier- und Werkstatträumen für junge Künstler [nur] im Weißen Haus“ erfolgen? Mal beiseite gelassen, ob das „Weiße Haus“ überhaupt der geeignete Standort dafür ist.
Nachzuschieben wäre auch, warum nur für „junge Künstler“? Denn, so wie es gegenwärtig aussieht, scheint die jahrhundertelange Künstlertradition in der Lößnitz in Bälde ein jähes Ende zu finden, da es an bezahlbaren Wohn- und Atelierräumen für diese fehlt. Aber gerade die Künstler und die kreativen Baumeister waren es ja, die die Lößnitzstadt mitgeprägt haben und heute noch so begehrenswert machen, die Zillerhäuser gebaut, bewohnt und auch belebt haben.
„Radebeul, mit deinen Lößnitzbergen bleibst meine Heimat, Heimat alle Zeit!“ lauten die letzten Zeilen des vor Jahren verfassten Lößnitzliedes. Es ist gewissermaßen die inoffizielle Hymne der Stadt. Sie drückt aus, was viele Radebeuler empfinden. Sie wollen eine Stadt, in der sie sich zu Hause fühlen, in der sich die Veränderungen in Grenzen halten, auch deshalb, weil man das historisch Wertvolle erhalten möchte. Die vielen liebevollen und mit Sachverstand instandgesetzten Gebäude und gepflegten Gartenanlagen belegen dies nachdrücklich. Nachlässigkeiten und Bausünden ärgern sie ungemein und sie greifen hier auch gelegentlich ein. Nicht nur der Bauherrenpreis mag für dieses öffentliche Interesse ein Beispiel sein. Radebeul gestalten und entwickeln geht deshalb nur mit seinen Bewohnern. Die aber müssen sich dieses Recht auch immer wieder aktiv einfordern. „Vorschau und Rückblick“ könnte dafür ein gutes Podium bieten.
KUB

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