Ein bewegtes Leben in 1000 Wörtern

Der Versuch einer Gratulation für Wolfgang Zimmermann

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Wolfgang Zimmermann beim Osterbasteln mit Enkelin Felicitas Foto: Zimmermann

Lieber Wolfgang,
hast du eine Vorstellung davon, wie viele Personen du in deiner langen journalistischen Laufbahn für „Vorschau & Rückblick“ porträtiert hast? Ich habe einmal überschlagen und behaupte: es müssen an die 100 sein. Darunter waren vor allem Schauspieler, Musiker, Autoren und bildende Künstler, die meisten davon mit einem unmittelbaren Bezug zu Radebeul. Anlässe deiner Beiträge waren zumeist runde Geburtstage oder Jubiläen, seltener Todes- oder Gedenktage. Man kann also ohne Übertreibung sagen, dass du maßgeblichen Anteil daran hast, dass die Leser unseres Heftes etwas über das Leben von Personen erfahren haben, die ihnen aus Konzerten, Theateraufführungen, Ausstellungen und Lesungen bekannt waren – oder die du ihnen überhaupt erst mit deinen Porträts zugänglich machtest. Als alter Hase im Mediengeschäft wusstest du, dass unsere Leser nichts brennender interessiert als das Leben anderer Menschen, vor allem dann, wenn ihnen die betreffende Person vom Namen oder Angesicht her seit langer Zeit bekannt ist. Etwa so wie dein Name für unsere Leser vertraut ist. Denn die „Vorschau“ ohne „W. Zimmermann“ – das geht ja gar nicht! Was liegt deshalb näher, als deinen 70. Geburtstag zum Anlass zu nehmen und den Spieß einmal umzudrehen? Du als Gegenstand eines Porträts! Denn ich bin mir ziemlich sicher, unsere Leser freuen sich darüber, etwas über dich zu erfahren. Also, lieber Wolfgang, lüften wir den Schleier!
Vor etwa 60, 65 Jahren muss es gewesen sein, als ein kleiner Junge in Ellrich, einem 5000-Seelen-Städtchen im Südharz, beim Bäcker Hoppe Brötchen kaufen ging. Hoppes hatten einen Sohn Rolf, der damals bereits die Schauspiellaufbahn eingeschlagen hatte und von Ellrich aus die Bretter der Welt erobern sollte. Etwa 30 Jahre später, also in den 1980er Jahren, lud der Brötchenkäufer von einst den inzwischen zum Star gereiften Mimen anlässlich einer Filmpremiere in den überfüllten Faunpalast Dresden (für jüngere Leser oder Zugereiste: das war ein Kino im Dresdner Stadtteil Pieschen auf der Leipziger Straße) zu einem Künstlergespräch ein. Lebenswege, die sich kreuzen – Wolfgang Zimmermann trifft Rolf Hoppe. Freilich, bis es dazu kommen konnte, dass du als Leiter der Kinos im Stadtbezirk Dresden-Nord (zu dem bis zum Ende der DDR-Zeit immerhin 6 Kinos gehörten) die dir unterstellten Säle auch außerhalb der Filmvorführungen mit Kultur erfüllen konntest, musstest du manche Umwege gehen. Den ersten Weg, den jeder junge Mensch beschreitet, konntest du leider nicht zu Ende gehen. Die Zonengrenze im Harz in Sichtweite versuchtest du bald nach dem Mauerbau in den Westen zu fliehen. Vergeblich. Du wurdest geschnappt, flogst von der EOS und musstest im Jugendwerkhof Freital büßen. Womöglich waren aber die unmittelbaren Folgen dieses Schicksals prägend für dein weiteres Leben. Denn neben der Schlosserlehre im Edelstahlwerk Freital entdecktest du auch das im „Club der Edelstahlwerker“ angesiedelte Kabarett als spannende Herausforderung für dich. Der unvergessene Kabarettist Hans Glauche – ebenfalls ein Freitaler – war einer der künstlerischen Leiter dieser Gruppe. Auftritte weit über die Region hinaus folgten, Begegnungen mit Künstlern, eine erste Ahnung davon, was es heißt, Kultur „zu machen“. Parallel dazu das Leben als Schlosser in der „Maxhütte“ in Unterwellenborn, in Magdeburg, Schwedt und Freital – Orte in den späten 60ern und frühen 70er Jahren, in denen du den Blaumann immer wieder auch mit dem Kostüm getauscht hat. Die Vereinbarkeit von Kultur und Beruf in der DDR – auf diese Reihenfolge hast du im Alltag Wert gelegt und außerdem ein Fernstudium an der Fachschule für Klubhausleiter in Meißen absolviert. Denn du wolltest mehr als nur Kabarett spielen. Dich trieb der Wunsch um, die Kultur zu den Menschen zu bringen, die selbst nicht zur Kultur kommen konnten oder wollten. Und dann kam eben ein Angebot, dass du nicht abschlagen konntest: Die Leitung des Kulturhauses in Golzow. Gerade mal 800 Einwohner, aber 1200 Sitze im Saal. Wie sollte das gehen? Für die Akteure des Langzeitfilmexperiments „Die Kinder von Golzow“ – aber nicht nur für die – holtest du die Puhdys, dann auch City in die Provinz, um das Kulturleben lebenswert zu machen. Aber du musstest einsehen, auf Dauer war der Saal nicht zu bespielen, waren die Menschen nicht zu entflammen. Also zogst du weiter, über Buckow (Brecht!) schließlich nach Radebeul. Ankunft 1978. Zweite Heirat. Neuer Job. Obwohl, damals hätte man bei Verwendung dieses Wortes sicherlich Ärger bekommen. Der kam dann allerdings reichlich, und hatte Konsequenzen für dich. Nach sieben Jahren Leitung des Klubhauses „Börse“ in Coswig war Schluss, der Staat hatte die Nase voll von deiner Unangepasstheit. Wie konntest du es nur wagen, avantgardistische Veranstaltungsformate unter dem unauffälligen Motto Jazz in Coswig zu etablieren? Intermedia 1 und Intermedia 2 – war das nicht der Klassenfeind im Mantel der Kunst? Und draußen vor der Tür und drinnen im Saal standen in graue Mäntel gekleidet die staatlich geprüften Mitschreiber und Mithorcher. Du wurdest fristlos entlassen. Arbeitslos sein in der DDR? Nein, soweit kam es nicht. Deine Kompetenz setzte sich durch – und du dich 1985 in ein Büro in der Schauburg, denn dort war das Büro des Leiters für die Dresdner Kinos nördlich der Elbe. Vier Jahre führtest du ein Leben für das Kino (inklusive von Kombinationsveranstaltungen wie Jazz und Film oder Rock und Film), bevor der Staat DDR in den Abspann seiner eigenen Geschichte geriet. Endlich konntest du selbst dein eigener Herr sein und dein Traum vom eigenen Kulturcafé verwirklich. Wer von den Lesern kennt noch das Café Color auf der Gartenstraße? Es bestand nicht lange. Wie vieles, was damals in der wilden Aufbruchzeit zart aufblühte und dem rauen Wind der Marktwirtschaft nicht standhielt. Also machtest du aus der Not eine Tugend und wurdest freier Journalist, gründetest eine Künstleragentur und hattest in den nächsten Jahren reichlich zu tun. Schreiben von Artikeln für die SZ und die DNN, Organisation von Konzerten, Lesungen, Theateraufführungen, Moderation von Veranstaltungen, Betreuung von Kulturgruppen, Eröffnung von Ausstellungen usw. usf. Und seither auch: aktives politisches Engagement. Gibt es noch anderes Stadträte in Radebeul, die auf 23 Jahre ununterbrochene Zugehörigkeit zum Stadtparlament (erst für die SPD; dann für die Freien Wähler) zurückblicken können? Du wolltest dich einbringen und aus den gewonnenen Freiheiten das Beste für die Stadt erreichen. Du sagst, dass 2018 damit Schluss sein soll. Und auch das journalistische Tagesgeschäft willst du nach und nach ad acta legen. Recht so. Denn würdest du weiter so machen wie bisher hättest du kaum Chancen dir deine Wünsche zu erfüllen: Reisen (Finnland, Island und auch mal wieder Brasilien – warum nicht?), Zeit für die Familie (eine Enkelin aufwachsen zu sehen ist ja auch wunderbar!) und Zeit zum Schreiben für ein Buch (Stoff gibt es ja reichlich!). Vielleicht fängst du dieses ja so an: „Es muss vor 65 Jahren gewesen sein, als ich in meiner Heimatstadt Ellrich im Harz öfter zum Bäcker Hoppe Brötchen kaufen ging…“
Lieber Wolfgang, deine Mitstreiter der Redaktion gratulieren dir sehr herzlich zum Geburtstag und wünschen dir Gesundheit und ausreichend Gelegenheiten, deine Wünsche auch tatsächlich wahr werden zu lassen! Bleibe uns noch lange als Freund und Kollege erhalten!
Stellvertretend für die Redaktion:

Bertram Kazmirowski

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