Zeichen und Gestalt

DIE KRAFT DER LINIE
Hermann Glöckner & Helmut Schmidt-Kirstein

Sowohl der Glasperlenspielmeister Hermann Glöckner (1889 – 1987), als auch der sinnliche Helmut Schmidt-Kirstein (1909 –?1985) setzen in ihrem Werk in besonderem Maße auf die Sensation der Linie, die Raum und Welt aus dem Nichts der leeren Fläche ins Leben ruft.

Glöckner, »Formen in der Landschaft«, um 1958 Foto: G. Klitzsch

Glöckner, »Formen in der Landschaft«, um 1958
Foto: G. Klitzsch


Die Zeichnung als die klassische Grundlage aller Darstellung ist zugleich Ausdruck und Ausweis der künstlerischen Meisterschaft beider Künstler. Kohlezeichnungen stehen am Beginn der künstlerischen Entwicklung Hermann Glöckners und nicht zufällig klingt in den »Schwüngen« – vollendet fließenden, farbigen Kurvenlinien – sein Lebenswerk aus. Im Tafelwerk der 30er Jahre erlangt die Linie systemhafte und gestaltschaffende Bedeutung.
Schmidt-Kirstein, »Liegender Herbststrauß«, 1980 Foto: g. Klitzsch

Schmidt-Kirstein, »Liegender Herbststrauß«, 1980
Foto: g. Klitzsch


Helmut Schmidt-Kirstein begleitet nicht nur seine späten, flächigen Gestaltungen mit einem Liniennetz sprechender und raumschaffender Konstruktivität, sondern gibt in den Porträtzeichnungen seinen Frauengestalten mit wenigen Linien körperliche Präsenz. Die Linie gibt bei Schmidt-Kirstein auch in seinen frühen Nachkriegs-Lithographien, den italienischen Mädchen und Frauen und ihren lebensfrohen Arbeiten stets eine unmittelbare Authentizität. In den in der Ausstellung nur mit einem Werk vertretenen »Vergitterten Gärten« aus dem Jahre 1959/1960 bestimmt neben glühenden Farben ein dichtes Liniengeflecht den Bildcharakter.

Glöckner und Kirstein kommen sich Mitte der 50er Jahre in ihrem gegenstandsfreien Arbeiten nahe, auch in Hinblick auf internationale Tendenzen (Hartung) der Kunstentwicklung nach dem Krieg. Die Ausstellung versucht hierfür den Beweis anzutreten.

Es ist eine der stupenden Stärken der Dresdner Kunst, auch in der Abstraktion oder im Informellen stets einen Rückbezug auf die realistische Wahrnehmung der Welt fortzuführen, diese aufzuheben und damit die Gründung der Abstraktion im Gegenstand der Welt zu bewirken. Dies erscheint als eine spürbare, vielleicht aus der Flusslandschaft der Kontinuität des Kunstraumes von Dresden sich nährende Besonderheit.

Lineare Strukturen findet Glöckner in den 20er und 30er Jahren in Schornsteinen und Strommasten, in Flächenteilungen der Felder, an Hausdächern und Giebeln seiner näheren Umgebung. Die Entstehung seines »Konstruktivismus«, auf den er zu Unrecht oft schlagwortartig reduziert wird, schildert er wie folgt:

»Um 1930 sind Bilder wieder hervorgeholt worden, die bis 1927 entstanden sind. Wesentlich war mir vor allem der »Kleine Dampfer«. Es fiel mir auf, dass in dem Bild bestimmte Maßverhältnisse herrschten, die sich gewisser Maßen unbewusst formiert hatten. Ich untersuchte dann auch andere Bilder daraufhin und es stellte sich heraus, dass es auch dort der Fall war. Die Bilder wurden fotografiert und die Fotos von mir mit Maßlinien überzeichnet, so dass entsprechende Teilungen und Unterteilung aufzufinden waren. Es stellte sich heraus, dass immer eine Mittelachse vorhanden war und außerdem sowohl in horizontaler wie in vertikaler Richtung die Halbe-, die Viertel-, die Achtelunterteilungen und so weiter sich deutlich durch Bildelemente akzentuieren, und zwar so scharf, dass ich mir bewusst wurde, dass das nicht zufällig sein konnte. Ich besann mich meiner jugendlichen Erfahrungen und Leidenschaften für die Geometrie. Es war zweifellos so, dass meine damaligen Erfahrungen in meine Arbeiten eingegangen sind, ohne dass ich das bemerkte.«

Helmut Schmidt-Kirstein kehrt nach 1970 zu einer gegenständlichen Darstellung zurück (»Herbststräuße«). Allerdings bleiben die Erfahrungen der vorangegangenen beiden Jahrzehnte lebendig in Gestalt einer flirrenden explosiven Lineatur, die die Früchtestillleben und die Mädchen, die Bischofswerdaer Gartenlandschaften und die italienischen Erinnerungen in einer nervösen Kalligraphie begleiten. Eine kraftvolle Farbigkeit zeichnet die nach den Monotypien allmählich in verstärktem Maße entstehenden Aquarelle aus.

Hermann Glöckner zog 1945 in den ersten Stock des Loschwitzer Künstlerhauses, Helmut Schmidt-Kirstein folgte im Erdgeschoss 1955 und beide behielten diese Ateliers, die zugleich bescheidene Wohnungen waren, bis zu ihrem Tode.

Der Pietzsch-Bau beherbergte mit Glöckner und Schmidt-Kirstein nicht nur sehr unterschiedliche Künstler, die gleichwohl von der Unbedingtheit ihres Schaffens geleitet, zum Freiheitlichsten gehören, was die Dresdner Kunst auch nach dem Krieg als neuen Beitrag zur Moderne dieser hinzugefügt hatte.
Beide Künstler bewegten sich im Spannungsfeld zwischen »Zeichen und Gestalt« und vermögen unserer Wirklichkeitserfahrung andere Weltsichten hinzuzufügen. Sie sind herausragende Beispiele einer Lebenskunst, die nicht den Vorgaben einer normierenden Gesellschaft, sondern den inneren Sternen ihrer eigenen Existenz mit all ihren Zufälligkeiten und Unvorhersehbarkeiten gefolgt sind. Gerade in unseren Tagen von erneut vorgeprägter Gedanken- und Sprachwelten, gewinnt das Lebens-Zeugnis der beiden »Künstlerhäusler« Glöckner und Schmidt-Kirstein eine besondere, heiter stimmende Bedeutung.

Lassen Sie sich von diesem freien Spiel zu einem Augenblick zwischen Lebenslust und Kontemplation herzlich einladen!

Gottfried Klitzsch

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