Aus dem Amt scheiden, den Dank mitnehmen

Zur Verabschiedung von KMD Karlheinz Kaiser am 18. Juni 2017

Das Kantoren- und Organistenamt in einer Gemeinde wie der Kötzschenbrodaer Friedenskirchgemeinde wird einem Kirchenmusiker nicht zufällig übertragen, genauso wenig wie eine solche Stelle nur eine berufliche Durchgangsstation ist. Nein, in einer solchen Position, an einer solchen Wirkungsstätte, schafft man (s)ein Lebenswerk, denn seit 250 Jahren hat keiner der seither nur acht Kantoren weniger als 20 Jahre Musik zur Ehre Gottes erklingen lassen. Der aktuell letzte in der verdienstvollen Reihe, die mit Thomas dem Schreiber 1532 beginnt, ist Karlheinz Kaiser, der seit 1994 amtiert und Ende diesen Monats, nach Vollendung des 65. Lebensjahres, offiziell aus dem Amt als Kantor der Friedenskirchgemeinde scheidet. In den 23 Jahren seines Schaffens hat sich Kantor Kaiser einen Namen als fachlich geschätzter, umtriebiger und innovativer Kirchenmusiker weit über die Grenzen Radebeuls erworben, weshalb Vorschau & Rückblick seinen Abschied vom Amt und seinen Geburtstag zum Anlass nahm, sich mit ihm zu einem Gespräch auf der Orgelbank der großen Jehmlich-Orgel der Friedenskirche zu treffen, um mehr über seinen Werdegang, sein Resümee der Radebeuler Jahre und seine Pläne für die Zukunft zu erfahren.

Karlheinz Kaiser an der Orgel der Radebeuler Friedenskirche


Karlheinz Kaiser ist waschechter Vogtländer. Aufgewachsen bei Oelsnitz in einer musikalischen Familie lernte der Junge durch seine Mutter beizeiten Tasteninstrumente spielen und stellte sich darin so geschickt an, dass er bereits als Jugendlicher die Orgel zum Gottesdienst spielen durfte. Heute dagegen interessieren sich Teenager weniger für die „Königin der Instrumente“, denkt Kaiser laut nach, und ergänzt, dass seiner Beobachtung nach Orgelkonzerte inzwischen auch weniger nachgefragt sind als vor 20, 30 oder 40 Jahren. Damals, Mitte der 70er Jahre, pendelte Kaiser jahrelang zwischen Weimar und Dresden. Denn nachdem er 1972 die Dresdner Kirchenmusikschule mit der B-Prüfung (Kantorenstellen werden je nach Ausbildung als A-, B- oder C-Stelle ausgewiesen) abgeschlossen hatte, setzte er seine Studien in Weimar an der dortigen Musikhochschule für weitere fünf Jahre fort und erwarb einen Abschluss, der ihn zur Übernahme einer A-Stelle berechtigte. Weil aber fähige Nachwuchsmusiker immer schon händeringend gesucht wurden, verdingte sich Kaiser bereits als Student von Freitag bis Montag in Dresden-Weißer Hirsch als nebenamtlicher Kantor und war damit in jenen Kreisen unterwegs, die in Uwe Tellkamps großangelegtem Erfolgsroman Der Turm literarisch gezeichnet sind. Weil es ihm auf dem Weißen Hirsch so gut gefiel, blieb er auch nach seinem erfolgreichen Examen für weitere acht Jahre dort, bevor er sich auf eine A-Stelle in Leisnig bewarb und dort auch bald schon zum Kirchenmusikdirektor (KMD) berufen wurde. Obwohl die prächtige spätgotische Hallenkirche St. Matthäi Karlheinz Kaiser ein repräsentatives Arbeitsumfeld bot, so drängte das Herz des Künstlers doch mehr und mehr zurück in das Zentrum der sächsischen Kirchenmusik, weshalb er mit Freuden 1994 die Wahl zum neuen Kantor der Friedenskirchgemeinde als Nachfolger des langjährigen Amtsinhabers KMD Hans-Bernhard Hoch (Er wirkte von 1954-1993 und singt mit seiner Frau noch immer aktiv in der Kantorei!) annahm. Die Nähe Radebeuls zu Dresden erlaubte Kantor Kaiser eben doch die regelmäßige Aufführung großer Werke der barocken, klassischen und romantischen Chorliteratur. Nicht nur, dass die Friedenskirchkantorei von beachtlicher Größe ist, die schnelle Verfügbarkeit hervorragender Musiker (Instrumentalisten wie Gesangssolisten), z. T. sogar aus den Reihen der Kirchgemeinde selbst, war ein Vorteil, den Kaiser gern nutzte. Wer also in den letzten gut zwei Jahrzehnten wollte, der konnte neben Bachs jährlich aufgeführtem Weihnachtsoratorium auch dessen Matthäus- und Johannispassion, Händels Messias und Haydns Schöpfung, die Requien von Mozart, Brahms und Fauré sowie Mendelssohns große Oratorien Paulus und Elias erleben, um nur die wichtigsten Werke zu nennen. Für nicht wenige Mitglieder der Kantorei dürfte die Amtszeit Kaisers untrennbar mit zwei großen Konzertreisen nach Israel und Griechenland in Erinnerung bleiben, ganz sicherlich auch die Aufnahmen für die CD Musik in der Friedenskirche bereits im Jahr 1994. Kaiser initiierte im gleichen Jahr den seither jährlich stattfindenden „Radebeuler Orgelsommer“ mit dem Ziel, die klanglich schöne, dreimanualige Jehmlich-Orgel stärker ins Bewusstsein der musikinteressierten Bevölkerung zu rücken. Nach mehrjähriger Vorbereitung gelang es im Jahr 2000, die Orgel einer Generalüberholung zu unterziehen, um die breiten klanglichen und technischen Anforderungen an eine Orgel im 21. Jahrhundert abzusichern. Kaisers Vorliebe gilt dabei besonders den französischen Romantikern von Vierne über Boëllmann bis Franck.

Was macht ein Kantor eigentlich, wenn er nicht Chorkonzerte dirigiert, Orgelkonzerte gibt und die Kantorei zu Proben anleitet? Kaiser lacht und zählt auf: Für die musikalische Absicherung von Gottesdiensten in insgesamt drei Predigtstätten sorgen (neben der Kötzschenbroader Hauptkirche gehört auch noch die Johanneskappelle in Naundorf und die Wichernkapelle in Lindenau dazu), auf Hochzeiten und Beerdigungen spielen, verschiedene Nachwuchschöre anleiten, mit dem Gospelchor und dem Kammerchor spezielle Repertoires pflegen und aufführen, im engen Kontakt mit dem Kirchenvorstand das kirchenmusikalische Programm bauen, Sänger und Solisten engagieren und nicht zuletzt auch noch selbst üben! Dafür hat er sich in seinem Niederlößnitzer Haus eine elektronische Orgel angeschafft, auf der er sich neue Literatur erarbeitet.

Der Abschied vom Amt fällt Karlheinz Kaiser nicht leicht, wie er mir gesteht. Er fühlt sich gesund und neugierig genug, um weiter arbeiten zu wollen, und tatsächlich steht er dankenswerter Weise auch noch so lange der Gemeinde zur Verfügung, bis der Nachfolger oder die Nachfolgerin ihren Dienst angetreten hat. Aus vier Bewerbern ist Ende Mai der geeignete Kandidat gewählt worden, der an das von Kaiser gestaltete Jahresprogramm 2017 anknüpfen kann. Und worauf freut sich Kaiser, dessen Verabschiedung am 18. Juni im Rahmen eines Gottesdienstes erfolgt, für die Zeit danach? Mit seiner Frau ins Wohnmobil steigen und einfach losfahren – nach England vielleicht, noch einmal an den Gardasee wie zu Ostern, oder auch nur nach Tschechien. Für seine Kinder und Enkelkinder da sein. Den Garten in Schuss halten. Und ja – irgendwo in der Nähe eine nebenamtliche Stelle antreten, damit er mit Lust und Leidenschaft das noch länger tun kann, was seit mehr als 40 Jahren sein Leben bestimmt: Geistliche Musik zur Aufführung bringen und damit dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen Teil an diesem unermesslich reichen kulturellen Schatz haben. Die Radebeuler sagen „Danke“ und hoffen auf ein Gastspiel zu den Kirchenmusiktagen 2018 oder zum Orgelsommer im gleichen Jahr!

Vorschau und Rückblick gratuliert herzlich zum Geburtstag und wünscht weitere Jahre segensreichen Schaffens!

Bertram Kazmirowski

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