Ein Weihnachtswunsch


Es wird Zeit, dass Schnee kommt.

Es wird Zeit, dass der Schnee den weißen Mantel des Schweigens über vergessene Denkmäler legt, auf dass wenigstens die Augen Ruhe haben eine Zeit. Freilich sind sie nach dem nächsten Tauwetter unschöner denn je alle wieder da, die Villa Kolbe etwa auf der Zinzendorfstraße oder der schöne alte Bahnhof in West.

Es hat also gar keinen Zweck, etwa das Bahnhofgebäude einschneien zu lassen. Vermutlich ist es sogar schädlich, jedenfalls für Dachstuhl und Mauerwerk, wenn zur Nässe auch noch der Frost reinkommt. Der treibt alles so schön auseinander, der Frost, wie Hefeteig. Dabei hoffen wir doch alle, dass im nächsten Sommer wenigstens die Wanderfalken wieder über den Gleisen einziehen…

Es wird wiederholt beklagt, dass es „die Stadt“ – wer auch immer das ist – versäumt habe, den Bahnhof für sich zu reklamieren. Aber die Besitzverhältnisse sind zweitrangig. Entscheidend ist doch, wie die jeweiligen Eigentümer mit dem Besitz umgehen. Auch die öffentliche Hand bietet keine Gewähr für sachgemäßen Umgang. „Bei uns früher“ galt alles als „Volkseigentum“. Aber das Volk war ganz offensichtlich mit dem vielen Eigentum überfordert. In der Folge ist jedoch auch mancher Frevel aus Unvermögen und Un-Vermögen unterblieben.

Altkötzschenbroda blieb aus diesem Grunde – etwas bröckelig zwar, aber sehr charmant – erhalten und konnte wiederbelebt werden. Zwar war „die Stadt“ mit gutem Beispiel vorangegangen, doch das Ganze konnte nur durch den Einsatz vieler gelingen, vieler Vermögen durchaus auch. Es braucht sie also, die privaten Vermögen.

Wo freilich der ungebremste Verfall auch dort fortschreitet, wo ausreichend Vermögen vermutet werden kann, wird, wie im Falle des Großen Unbekannten vom Bahnhof, leicht Absicht unterstellt. Das kann im Einzelfalle ungerecht sein, ist aber folgerichtig: Bald fehlt nicht mehr viel und die Zeit hat ihr Werk getan: Die Erinnerung an das Denkmal kann dann mit dem Besen beiseite gefegt werden. Wem das zu einfach ist, oder zu leise, der nehme einen Staubsauger, denn Arbeit muss ja immer auch ein bißchen laut sein. Danach ist es nämlich möglich, ungebunden „schön neu“ zu bauen, mit Betonung auf preiswert und neu, und ohne lästige Auflagen der ewig gestrigen „Bewahrer“. Vermögen allein machts eben auch nicht. es gehört deutlich mehr dazu.

Wer also zum demnächst anstehenden Weihnachtsfest bei einer guten Fee einen Wunsch offen hat, könnte sich im Sinne der Bürger dieser Stadt wünschen, dass Ver-mögen, Ver-stand und Ver-antwortung an wichtigen Stellen Hand in Hand gehen mögen.

Oder ist das zu viel gewünscht?

Thomas Gerlach

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