Abschied, Trauer und Dankbarkeit

Zum Tod von Matthias Henkel

Pressefoto Landesbühnen Sachsen

Seit 1994 schreibe ich in „Vorschau & Rückblick“ über Schauspielpremieren an den Landesbühnen Sachsen. Nicht alle konnte ich seither wahrnehmen – dazu waren es viel zu viele; nicht jede hat mich interessiert – dafür war die thematische Breite zu groß, aber ich übertreibe nicht wenn ich sage, dass ich in den mehr als 25 Jahren aufmerksamer Begleitung eine intensive Beziehung zum Haus an sich und zu den Schauspielern im Speziellen aufgebaut habe. Die allermeisten von ihnen wissen das gar nicht, aber das ist kein Problem für mich. Ganz im Gegenteil: So konnte und kann noch immer meine Bewunderung im Stillen wachsen, konnte und kann diese einseitige Beziehung von mir als Zuschauer zu einzelnen Akteuren reifen und sich in der anonymen Begegnung zwischen dunklem Saal und heller Bühne ausformen. Unter all den Schauspielerinnen und Schauspielern, die ich im Laufe der Zeit kommen, bleiben aber vielfach auch gehen sah, ist Matthias Henkel einer derjenigen gewesen, dessen Auftritte ich immer besonders genoss. Er war schon da, als meine Theaterleidenschaft als junger Erwachsener erwachte. Eine meiner allerersten Begegnungen mit ihm hatte ich im November 1994 in seiner Rolle als Biff in Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“. Ich habe ihn noch immer vor Augen und in den Ohren, in dieser für ihn so typischen melancholischen Gebrochenheit, die eine Verletzbarkeit unter der mannhaften Oberfläche erfahrbar machte. Aber Henkel konnte natürlich auch ganz anders in seinen großen Rollen, so etwa als Draufgänger (Karl Mohr in Schillers „Räuber“), Zweifler (Hamlet) oder jugendlicher Naivling (Michael Kuppisch in „Sonnenallee“). Im März 2018 agierte Henkel – damals im 30. Jahr an den Landesbühnen und damit schon fast der Doyen unter den Akteuren – als König Theseus in der umjubelten Premiere von Shakespeares „Sommernachtstraum“ und überließ die stürmischen Rollen längst den jüngeren Kollegen. Es war eine seiner letzten Partien. Vor fast genau 14 Jahren wurde Henkel als Salieri in Peter Shaffers Erfolgsstück „Amadeus“ besetzt. In meiner Besprechung schrieb ich im Heft 12/2006: „Henkels Leistung verdient nicht nur wegen des enormen Textumfangs großen Respekt, sondern vor allem auch, weil er trotz sehr beanspruchter Stimme die Aufführung fabelhaft zu Ende brachte.“ Ja, Henkel war ein Profi durch und durch, aber er musste auch kämpfen, vor allem in den letzten Jahren, als seine Konstitution unter dem Einfluss einer hartnäckigen Krankheit litt. Deswegen war er seit vielen Monaten, auch schon vor Corona, nicht mehr auf der Bühne zu sehen gewesen, machten sich seine Fans schon Sorgen. Sie waren nicht unbegründet. Am 15. November verstarb Matthias Henkel in Dresden. Für die Landesühnen ist das ein großer Verlust an künstlerischer Kraft, dem Publikum ist ein Sympathieträger genommen. Es bleibt zurück in Trauer, aber in Dankbarkeit über viele beglückende Theaterabende.

Bertram Kazmirowski

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