Museum für alle

Heimatmuseen an der Spitze

Thomas Kliemann schwärmte neulich in der Aachener Zeitung davon, dass Nordrhein-Westfalen „das Land mit der größten Museumsdichte Europas, vielleicht sogar der Welt“, sei. Allein diese Sicht muss Wunschgedanke bleiben. Baden-Württemberg und Bayern führen die Tabelle der Museen in der Bundesrepublik an, in der Sachsen einen beachtlichen 7. Platz einnimmt. Immerhin kommt auf knapp 10.300 Einwohner im Freistaat ein Museum! Diese Zahl liegt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt und ist damit weit besser als Nordrhein-Westfalen, wo sich immerhin etwa 26.400 Einwohner ein Museum teilen müssen.

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Heimatmuseum Radeburg, Straßenansicht.
Foto: Karl Uwe Baum


Sieht man sich in der näheren Region von Radebeul um, so kommt man aus dem Staunen, ob der Vielzahl von großen und kleinen musealen Einrichtungen, nicht heraus. Schon im Umkreis von 10 Kilometern kann man Ausstellungen von ca. 30 Museen, Heimatstuben und technischen Schauanlagen bewundern, von den großen „Dampfern“ in Dresden, Meißen und Moritzburg mal ganz abgesehen. Und zählt man die kleineren Einheiten in der Landeshauptstadt noch dazu, beläuft sich die Zahl gut und gerne um die 100 Museen. Wird der Radius gar um 10 Kilometer erweitert, gestaltet sich die Lage schier unübersichtlich. Ein Jahr würde dann kaum ausreichen, um allen Einrichtungen einen Besuch abzustatten. Im Freistaat Sachsen gibt es offiziell mehr Museen, als das Jahr Tage hat. Die nicht offiziell anerkannten einmal beiseitegelassen!

Und gegen alle zeitweiligen Befürchtungen steigen sogar die Besucherzahlen kontinuierlich an, um über vier Prozent (Stand 2019) gegenüber 2009. „Museum“ aber darf sich nur die Einrichtung nennen, welche die „Standards für Museen“ erfüllt. Auch wenn es keine festgelegte Definition für Museen gibt, nützt das den Betreibern wenig, denn jedes Bundesland verfährt nach eigenen Vorstellungen. Was im Bundesland Brandenburg ein Museum ist, braucht in Sachsen noch lange nicht auf diesen Status zu hoffen. Während der Internationale Museumsrat (ICOM) auch die Unterhaltung als eine legitime Aufgabe von Museen ansieht, fehlt dieser Zweck in den Empfehlungen des Deutschen Museumsbundes. Die Präambel zu den Standards für Museen formuliert ganz im Bildungsverständnis der Deutschen, dass „Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen/ Vermitteln“ die Hauptaufgaben der Museen zu sein habe. Bildung und Spaß gehören nun mal nicht zusammen. Folgerichtig erwarten die meisten Besucher von einem Museumsbesuch die Erweiterung ihres Wissens. Dies habe natürlich auf altbekannten pädagogischen Wegen zu erfolgen, sicher nicht mehr mit Rohrstock, immer aber mehr oder weniger didaktisch. Darüber hat sich schon vor nahezu 200 Jahre Herrmann Fürst von Pückler-Muskau echauffiert, der partout nicht einsehen wollte, „weshalb man das Schöne vom Nützlichen ausschließen sollte“. Hoffen allerdings sollte man nicht darauf, dass dem Radebeuler „Lügenmuseum“ eines Tages doch noch der offizielle Status als „Museum“ in Sachsen zuerkannt wird.

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Werbeausleger des Heimatmuseums Radeburg mit dem stilisierten Maler Heinrich Zill.
Foto: Karin Baum


Auch wenn historische und archäologische Einrichtungen und Kunstmuseen stärker von der positiven Besucherentwicklung profitieren, wird die Museumslandschaft der Bundesrepublik von den orts- und regionalgeschichtlich sowie den volks- und heimatkundlich ausgerichteten Häusern dominiert. Ihr Anteil beträgt 44 Prozent in einer neun Punkte umfassenden Klassifizierung. Von den 27 bei Wikipedia in der Kategorie „Heimatmuseen in Sachsens“ registrierten Einrichtungen liegen immerhin 30 Prozent in unmittelbarer Nachbarschaft zu Radebeul. Unter ihnen befindet sich als einzige Einrichtung der Lößnitzstadt auch die „Heimatstube Kötzschenbroda“. Dabei hätte die Stadt mit dem Bilzmuseum und der Heimatstube Naundorf durchaus weiteres zu bieten.

So klar, wie sich die Museumslandschaft auf den ersten Blick im Internet darbietet, ist sie in Wirklichkeit natürlich nicht. Da ist es schon sinnvoll, sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Zugegeben, das ist mit ein wenig Aufwand verbunden. Viele Museen, die in ihren Sammlungen regionale und örtliche Geschichte zeigen, sind nicht als reine Heimatmuseen ausgewiesen, andere wiederum als Heimatmuseum nicht anerkannt und die Heimatstuben sind zumeist nicht erfasst.


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Titelblatt des Imageflyers der „Sächsischen Fahrrad-Erlebniswelt“ in Weinböhla.


Viele dieser Einrichtungen befinden sich in öffentlicher Hand (62,7 %), ein reichliches Drittel (35,3 %) hat private Träger und der Rest existiert in einer sogenannten Mischform. So kann beispielsweise die Gemeinde Besitzer der Räumlichkeiten bzw. das Sammelgutes sein, aber das Museum von einem Förderverein oder einem Heimatkreis betreut werden, wie etwa die Heimatstube in Kesselsdorf. Als private Träger treten nicht nur Personen auf, wie zum Beispiel beim Automuseum Hertrampf in Nossen oder dem Schloss Lauterbach, welches man nur zu Veranstaltungen besichtigen kann. Als private Träger gelten auch Vereine. So unterhält der Heimatverein Großerkmannsdorf die dortige Heimatstube und das Schmalspurbahnmuseum Löthain wird vom Heimatverein Käbschütztal e. V. gemanagt.

Auch das DDR-Museum in Pirna arbeitet auf rein privater Basis, was sich natürlich in den relativ hohen Eintrittspreisen niederschlägt. Die Stadtverwaltung soll laut der Internetseite des Museums wiederholt eine Unterstützung abgelehnt und in einem Schreiben an den Betreiber formuliert haben, dass man „doch froh sein sollte[n], dass die DDR Vergangenheit ist“. Dabei erfährt das Museum von Besuchern aus dem gesamten Bundesgebiet viel lobenden Zuspruch.

Dass auch in Zeiten knapper Kassen die Verwaltungen der Gemeinden und Kommunen anders reagieren können, ist in der Nachbargemeinde Weinböhla zu beobachten. In der gerademal knapp 10.400 Einwohner zählenden Kleinstadt eröffnete im vergangenen Jahr mit der „Sächsischen Fahrrad-Erlebniswelt“ eine neue kulturelle Einrichtung ihre Pforten. Sie musste zwar wegen der Pandemie sofort wieder schließen, zeigte aber zum diesjährigen Stadtfest den Besuchern ihre Schätze.

Als im Zuge des Ausbaus des Stadtzentrums von Weinböhla für die historische Scheune am Kirchplatz ein neuer Verwendungszweck gesucht wurde, fragte man den Radfahrerverein Weinböhle, ob er nicht Lust hätte…? Und der Verein hatte Lust, betreibt er doch seit über hundert Jahren das Fahrradfahren mit großer Inbrunst und widmete sich auch der Geschichte des Fahrrades. So entstand eine fruchtbare Partnerschaft zwischen der Stadt, dem Verein und weiteren Akteuren, und die Idee zur Errichtung eines Museums war geboren. Als das Vorhaben aber wegen fehlender Fördermittel zu scheitern drohte, schrieb man die Konzeption um. Aus dem geplanten Museum wurde die Fahrrad-Erlebniswelt „Velocium Weinböhla“, in der man alles über das Fahrrad erfahren und sogar so manches ausprobieren kann. Die Stadtverwaltung machte noch „Nägel mit Köpfen“ und stellte eine Planstelle zur Verfügung. Und so findet der Besucher heute eine Einrichtung vor, die einen professionell aufgebauten Ausstellungsbereich vorweist und an vier zusammenhängenden Wochentagen geöffnet hat.

Teilansicht der Ausstellung im „VELOCIUM Weinböhla“.
Foto: Karl Uwe Baum


In der Ausstellung erfährt der Besucher etwas zur Geschichte der Radfahrervereine in Weinböhla und der Fahrradindustrie in Sachsen sowie des Weinböhlaer Fahrradsports nach 1945. Bewundern kann man Laufräder, Tretkurbelräder, Hochräder aber auch neuere Produkte. Die Mitglieder des Radfahrervereins stellten zahlreiche Leihgaben für die Ausstellung zur Verfügung.

Auch anderenorts kann man solch ein Hand-in-Hand-gehen bei identifikationsstiftenden Aktivitäten beobachten, so zum Beispiel in der Gemeinde Goppeln, als bei der denkmalregerechten Sanierung der „Alten Schule“ im Ort gleich die Einrichtung einer Heimatstube mit eingeplant wurde und in Großerkmannsdorf baute man an das Dorfgemeinschaftshaus einen Fahrstuhl an, um auch Behinderten den Besuch der Heimatstube zu ermöglichen.

Es lohnt sich also, eine „Reise“ ins Umland von Radebeul zu wagen, bei der man sicher nicht nur so manche musealen Schätze entdecken kann, sondern auch erfährt, wie andere Gemeinden damit umgehen.

Karl Uwe Baum

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