Ton in Ton, ausgezeichnet

Mechthild Kießling gewinnt Keramikpreis von Bürgel

Foto: B. Zscheischler

„Ton in Ton“. Als Mechthild Kießling die Ausschreibung für den Walter-Gebauer-Keramikpreis las, fiel ihr sofort die Mehrdeutigkeit ein. Als sie die fünf Ton-Schalen abgab, legte sie zwei Holzlöffel dazu. Kurz dachte sie über einen Motto-Zettel nach. „Vor dem Essen“, wollte sie drauf schreiben. Sie ließ es sein. Die Besucher der Ausstellung im Keramik-Museum Bürgel, östlich von Jena, kommen von selbst drauf, wie bereits die Jury-Mitglieder. Sie nutzen die Holzlöffel als Schlegel. Die Tonschalen klingen wie Glocken. Dabei ist es doch „normales“ Gebrauchsgeschirr, das es seit Jahren im Laden Altkötzschenbroda 21 zu kaufen gibt. Was für eine Überraschung! Frau Kießling gewann im Juni den diesjährigen Keramikpreis. Bürgel steht für hohe Qualität, der Förderkreis Keramik-Museum und der Dornburger Keramik-Werkstatt e.V. sowie der Bürgeler Töpfermarkt e.V. ehren mit dem Preis den verdienstvollen Bürgeler Töpfermeister Walter Gebauer. Sein Lehrbuch dürfte in keinem Bücherschrank von Keramikern und Töpfern fehlen, zumindest in Deutschlands Osten.
Eigentlich wollte Frau Kießling Ärztin werden. Sie begann als Krankenschwester, wollte danach Abitur machen und studieren.

Foto: B. Zscheischler

„Während der Arbeit im Krankenhaus kam mir der Berufswunsch abhanden“, erzählt sie. Sie dachte alternativ an Musik oder Sprachen, schließlich spielte sie viele Jahre Querflöte und singt bis heute in verschiedenen Chören. „Die Musik begleitet mich mein Leben lang.“ Kein Wunder, dass sie die Klangwelt in ihren Beruf holte.
Es war ein Umweg, der sie Bekanntschaft mit der Töpferscheibe machen ließ. Autodiaktisch tastete sie sich an den künftigen Beruf heran. Es folgte eine verkürzte Lehre. Das Abitur machte sie noch, ein Studium war immer noch erreichbar. Doch die drehende Scheibe, der feuchte Ton, aus dem geschickte Hände Teller, Tassen, Becher, Töpfe formen, ja, einen ganzen Hausrat, sollten ihr Lebenszweck werden. 1994 mietete sich Mechthild Kießling in der Familieninitiative ein, im ersten renovierten Dreiseithof am Anger von Altkötzschenbroda. Die vielen Kneipen und das heute bei Touristen wie Einheimischen so beliebte Ambiente wuchsen erst später heran. Tatsächlich lebt sie von beiden, den schlendernden Touristen und den gezielt nach „Kießling-Geschirr“ suchenden Einheimischen. Gemeinsam mit ihrer Mitarbeiterin Irene Kranich schafft Frau Kießling seit mittlerweile gut 30 Jahren Gebrauchsgeschirr.
Ist das Kunst oder Handwerk? Sie mag die Unterscheidung nicht. Wenn sie am Schreibtisch sitzt und eine neue Form zeichnet, was ist das? Und dann, an der Töpferscheibe, was ist das? Hier passt das Bonmot: Kunst ist ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration. Am Ende ist das Gesamtergebnis entscheidend. Richtig ist: Farbe und Schnörkel sind nicht ihr Ding. Kießling-Geschirr besteht aus einfachen, handhabbaren Formen, es hat eine einfarbige mattglänzende Glasur, entweder ein erdiges Braun oder ein zurückhaltendes Grün, dessen Verlauf man noch erahnt. Man kann nachvollziehen, wie die Handwerkerin das Stück in die feuchte Glasur taucht und dann mit einer geschickten Umdrehung der Hand dafür sorgt, dass sich die Flüssigkeit auf dem trockenen Ton verteilt. Dabei entstehen typische Schlieren und Farbverläufe von Hell zu Dunkel, an denen der Kundige die ureigene „Handschrift“ der Erzeugerin erkennt. Das gilt für Tassen, die schmeichlerisch in der Hand liegen, aus denen sich Tee oder Kaffee bequem trinken lassen, ebenso für tiefe Teller für Suppe und Schalen, Salatschüsseln sowie Kompottschälchen, die, klopft ein Fingerknöchel dran, einen lange nachklingenden Ton haben. Woher der kommt, weiß Frau Kießling nach langem Probieren. „Am besten klingen meine Stücke, wenn sie einen Rand haben.“

Foto: Keramikmuseum Bürgel

1997 krönte Mechthild Kießling ihren beruflichen Werdegang mit dem Meistertitel. Mittlerweile ist sie nur noch wenig im eigenen Laden zu sehen. Der Laden im Erdgeschoß der „Fami“ ist zugleich Arbeits- und Verkaufsraum, ständig kommen und gehen Neugierige, für ein konzentriertes Schaffen und „Wegarbeiten“ ist er nicht geeignet. Daher zieht sich die Keramikerin lieber in ihre zweite Werkstatt schräg gegenüber zurück. Dort ist auch Platz für ein Lager und einen großen Elektro-Ofen.
Sofort sind wir bei einem aktuellen Thema, den Energiepreisen. Strom ist teuer, die Alternative Gas nicht minder. Einen Freibrandofen gibt es auch. Ein jeder Keramiker, der auf sich hält, hat einen, meist irgendwo auf dem Land. Der verbraucht schnell mal ein bis zwei Kubikmeter Brennholz, doch dabei entstehen einzigartige Stücke für Keramikliebhaber mit dem etwas dickeren Geldbeutel. Bis der nasse Ton zum Klingen kommt, muss er in der Regel zweimal gebrannt werden, beim Schrühbrand bei um die 900, beim Glasurbrand bei 1.120 Grad. Da heißt es, die Rohlinge im Ofen gut stapeln und jede Lücke nutzen. Trotzdem: Einer der ältesten Berufe der Menschheit muss sich heute Gedanken über den ökologischen Fußabdruck machen. Doch gute Gebrauchskeramik hält lange, mitunter ein Leben lang. Damit wären wir beim Thema Nachhaltigkeit. Also: den Ton angeben, sich nicht im Ton vergreifen, sondern den richtigen Ton treffen. Das klappt bei Mechthild Kießling. Ton in Ton.

Burkhard Zscheischler

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