Glosse

Die Maske, das neue Gesicht

Heute ist Plenzdorf-Woche an meinem Kalender. Wer ist denn das, wird der Eine oder Andere denken? Dem gelernten DDR-Bürger mag der Schriftsteller, Drehbuchautor und Dramaturg eventuell noch im Gedächtnis geblieben sein. Mit 38 Jahren hatte er das Kultstück Die Leiden des jungen W. herausgebracht. Hier ging es um einen jungen Mann, der sein Leben nach den Vorstellungen anderer einrichten sollte, was natürlich zu einer Reihe von Konflikten, ja sogar zum Tod der Hauptfigur führte.

So wollte ich auch werden, wie Edgar Wibeau! Mir von niemandem etwas einreden lassen, sondern selbst entscheiden. Gut kann ich mich noch an einen 16-jährigen Gymnasiasten erinnern, der im Jahre 2000 bekannte, wir „wollen Fehler bis zu einem gewissen Grad selbst erfahren, wollen zugleich aber unsere Naivität dazu benutzen, unbefangen Ideen Wirklichkeit werden zu lassen und es jedem teilhaben zu lassen, der es auch erfahren will.“.

Warum also alten Vorbildern nacheifern? Auch ich habe das schon immer gehasst. Was weiß ich denn von den sogenannten großen Vorbildern? Einen Scheißdreck weiß ich! Da werden drei Merkmale in den Vordergrund geschoben und der Rest bleibt im Dunklen. Elon Musk ist der große Macher und erfolgreichste Unternehmer, aber ist er auch als Mensch zu ertragen? Woran misst sich ein Vorbild? Erfolgreich sein, gegen den Strom schwimmen, den Helden spielen? – doch wohl eher an den vermeintlichen Idealen einer Gesellschaft. Aber was sind das für welche, wo findet man wirkliche Vorbilder und welches davon könnte dann meines sein?

Hier springt die Die Zeit in die vermeintliche Lücke und will ganz selbstlos weiterhelfen. Sie bietet 50 deutsche Vorbilder – Menschen, die uns heute fehlen an, ein seit 2010 in Buchform erschienener Ratgeber für schlappe 12,95 Euro, damit keiner etwa nach dem falschen Vorbild greift. Wieso fehlen sie eigentlich, wo doch heute die Welt voll von Größen, Stars und sogenannten Promis ist? Findet sich darunter denn keiner, der vorzeigbar ist? Oder ist nicht mehr genug lenkbares Volk vorhanden, das gehorsam die Fahne in den Wind hängt? Da haben wir die Auswirkungen der bundesdeutschen Bildungskrise, die offensichtlich das selbständige Denken vernachlässigt hat.

Ja, Vorbilder gibt es heutzutage kaum noch, sind sie doch eher zum Entertainment verkommen. Oder sie werden zu „Heldinnen und Helden“ hochstilisiert, zu unerreichbaren Idealtypen. Regelmäßig veröffentlichen Karriereberater*innen beispielsweise im Nachrichtenmagazin Spiegel entsprechende Beiträge. Erst unlängst, im April 2024, stellten Dorothea Assig und Dorothee Echter die Frage: Wo gibt es noch gute Vorbilder? Ja, wo denn? In der Politik kann ich keines ausmachen. Neulich wurden gar Brandbriefen wegen drohender ungewöhnlicher Kollationen versendet. So mancher Politiker zündet lieber die Welt an, als die eigne Meinung zu revidieren, aus Angst davor sein Gesicht zu verlieren! Welches?

Spätestens seit dem 19. Jahrhundert sind die wirklichen Gesichter doch verschwunden und stattdessen trägt man lieber eine Maske. Das war die Zeit, als die „öffentliche Person“ ans Licht drängte. Das wahre Gesicht wurde nur noch zu Hause gezeigt. Da konnte der vermeintliche Biedermann seine Maske fallen lassen. Seitdem aber das Intime zur öffentlichen Begierde der Allgemeinheit wurde, konnte die Maske auch im Privaten nicht mehr abgelegt werden und sie wurde zwangsläufig das neue Gesicht. Die Performance war jetzt das Bestimmende und nicht das sachbezogene Handeln. Und so labert man heutzutage was das Zeug hält, ist dafür und dagegen in einem Satz, wirft verbriefte Lebensmaxime, wissenschaftliche Erkenntnisse und moralische Grundsätze übern Haufen, nur um den vermeintlichen Gegner niederzudiskutieren. Der Irrsinn ist Methode. Je verwirrter das Volks, desto leichter lässt es sich an der Nase herumführen, so die Überzeugung. Aber, wie die Geschichte lehrt, geht manchmal die Sache auch gewaltig nach hinten los, meint

Euer Motzi

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