Radebeuler Miniaturen

Von der Köstlichkeit des Lebens
Zum 35. Geburtstag von Vorschau & Rückblick

Die Spatzen pfeifens von den Dächern: Vorschau & Rückblick ist 35 Jahre alt geworden. Wir feiern gleich ein halbes Menschenleben.

Halten wir uns nämlich an Luthers Bibelübersetzung, währt „ein Leben siebzig Jahre (…) und wenns köstlich war, ist es Mühe und Arbeit gewesen“. Wer, wie ich, das Alter hat, wird sicher gern bestätigen, sich schon fast ein halbes Leben lang Monat für Monat an den 32 Seiten zu erfreuen. (Für jüngere wird es prozentual immer mehr.) Jedenfalls können wir alle behaupten, mit dem Heft jung geblieben zu sein.

Sind wir allerdings ganz ehrlich (was manchmal durchaus von Nachteil ist), müssen wir zugeben, daß wir, anstatt jung geblieben zu sein, lediglich gemeinsam gereift sind. Das ist immerhin auch schon was. Aber: Wir sind nicht nur ge-reift, wir sind auch be-reift, denn der Graureif auf unseren Köpfen will selbst bei heißester Sommersonne einfach nicht mehr wegtauen.

Weil wir gerade von Reifen reden:

Noch einmal dreißig Jahre früher als V&R uns, brachte eine lustige Modeerscheinung ganze Gesellschaften in Bewegung: Hula-Reifen.

Erinnert euch: Das waren Plastereifen von etwa einem Meter Durchmesser, die durch stetige Hüftbewegung in der Körpermitte gehalten werden sollten. Mit der Bewegung wurden Träume wach, Träume von Südseestränden und sommerlich-freizügigen Hula-Mädchen – damals alles für uns auf ewig unerreichbar. Umso beweglicher und bewegter wurden die Träume.

Gereift (und versteift) wie ich nun inzwischen bin, stellt sich mir die Frage, ob dergleichen Gerätschaft heute noch ebenso im Einsatz ist wie damals. Immerhin konnte ich seither lernen, daß Hula-Tänze die spezielle Funktion haben, auf Hawaii die Fruchtbarkeit der Felder zu befördern. Ihre meist stümperhafte aber stets fröhliche Nachahmung durch gutgepolsterte Europäerhüften dürfte als „kulturelle Aneignung“ gelten, also wenigstens verpönt sein und schon deshalb als nicht mehr wünschenswert erscheinen.

Vorschau & Rückblick ist hingegen etwas durch und durch indigen Radebeulsches.

Wir tun also gut daran, uns auf unsere Kernkompetenz zu besinnen und alle freudige Erwartung auf den Erscheinungstermin des jeweils neuen Heftes zu richten. Denn auch wenn die einst jungen Leute, wie etwa unser verdienstvoller Redakteur Sascha Graedtke, sich der Tendenz zu ergrauen angeschlossen haben, besteht die berechtigte Hoffnung, noch weitere Jahrgänge von V&R erleben zu dürfen. Ob es noch einmal fünfunddreißig Jahrgänge werden, wird sich denen zeigen, deren von Luther zugemessene Höchstlebensdauer (…wenns hoch kommt, sinds achtzig Jahre…) das erlaubt. Wir älteren aber können damit rechnen, selbst unsere letzten Tage mit dem Heft in der Hand verbringen zu dürfen. Denn es gibt sie noch, die Unermüdlichen, die Mühe und Arbeit auf sich nehmen, zwölfmal im Jahr die 32 Seiten mit köstlichen Inhalten zu füllen – dafür ganz herzlichen Dank!

Anders als zur Lutherzeit zeigt sich die Köstlichkeit des Lebens für uns immer dann, wenn wir das neue Heft schwarz auf weiß besitzen, getrost nach Hause tragen, im Sessel genußvoll darin blättern und der Katze zurufen: Gestehe, daß ich glücklich bin…

Thomas Gerlach

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