Bacchantinnengesang, perlend wie Sekt

Horst Hille: "Saurer Wein und Trocken Brot" (Selbstbildnis)

»850 Jahre Weinbau in Sachsen« lautet das überörtlich verbindende Motto des Jahres 2011. Der Weinbauverband, zahlreiche Museen, Kulturvereine und kommerzielle Festveranstalter haben sich damit auseinandergesetzt und bringen sich nun mit den vielfältigsten Aktivitäten in das Jubiläumsprogramm ein. Die Chance erkennend (Winzer und Künstler sind sehr sinnlich), schloss sich die Radebeuler Stadtgalerie als spontaner Quereinsteiger dem Veranstaltungsmarathon mit einer Gemeinschaftsausstellung an.

Wenngleich der Titel »Gestalt und Wirkung einer Landschaft« nach dem bekannten Essay des Radebeuler Malers Karl Kröner (1887-1972) über die Lößnitz als eine durch den Weinanbau geprägte Kulturlandschaft zunächst etwas sperrig und spröde anmuten mag, so bot sich doch damit ein großer Gestaltungsspielraum für den schöpferischen Prozess.

Vierzig Künstler und fünf Schüler im Alter von 7 bis 81 Jahren haben sich mit der komplexen Thematik auf höchst unterschiedliche Weise befasst. Allein die künstlerisch-technische Umsetzung zeichnet sich durch eine verblüffende Vielfalt aus und reicht von der Malerei über Grafik, Collage, Cutterschnitt, Scherenschnitt, Fotografie, Plastik bis zur Installation.

Die Ausstellung ist weder laut noch schrill, dafür aber nachhaltig intensiv und mit hintersinnigem Humor gewürzt. Bereits auf dem Innenhof der Galerie wird der Besucher mit einer Schautafel von Dorothee Kuhbandner begrüßt, die den Lebenslauf der gemeinen Reblaus vom Läusebaby bis zur Sauflaus als Komik zeigt. Der Blick durch die Fenster der Galerie fällt auf ein Sammelsurium von Weinflaschen, die Eckhard Kempin bemalt, beklebt und beschriftet hat. Mittendrin – aus Kork – drohnt der Meister höchst selbst als Weingeist, welcher schließlich, auf wundersame Weise vervielfacht, alle Flaschen mit seinem geistigen Antlitz ziert. Auch Horst Hille hat sich selbst hineinbegeben in seine »Heiße Weinlese« als Akt mit Hut zwischen prallen nackten Brüsten und reifen süßen Trauben. Das Leben kann so schön sein! Besonders hervorhebenswert: Die Trauben sind aus Gold, wohl als Symbol für Sonne, Wärme, Reichtum, Lebenskraft und Inspiration. Doch ein paar Stufen weiter staunt der aufmerksame Galeriebesucher nicht schlecht, wenn er plötzlich den selben Künstler mit ernster Miene vor »saurem Wein und trocken Brot« sitzen sieht.

Clara Freier: "Ausblick"

Im Deckenausschnitt der Galerie schweben 36 weiße Ringe aus handgeschöpftem Papier. Die Textilgestalterin Annerose Schulze nannte ihre Installation »Bacchantinnengesang«, der nun wie perlender Sekt die Räume füllt. Traum und Wirklichkeit  scheinen ineinander überzugehen auf Johanna Mittags Gemälde mit einem in zartes Rosé gehüllten Weinberg, welches sie mit dem Titel  »Nach dem Erwachen« versah. Auch Friederike Curling-Aust begab sich mit ihrer Collage aus Papier, Pergament und Metall auf eine Reise »Durch die Zeiten«. Viel Sinn fürs Praktische hat dagegen Anna Kuntsche mit ihren handgefilzten »Weinkleidern« bewiesen. Die Radebeuler Alleinstellungsmerkmale persiflierend, schuf Peter Graf mit seinem »Winnetou im Weinberg« eine recht eigenwillige Symbiose.

Karola Smy »Weinberg im Winter«

Die Historie zurück bis ins Jahr 1161.bemühend, hat Gerald Risch billigen Wein in detailreich bemalten Kartons »hoheitlich verpackt« und die Zapfhähne bei Christian I., Johann Georg III. und Weinkönigin an delikater Stelle platziert. Einem überdimensionierten Lampenschirm nicht unähnlich, scheint Peter PIT Müllers »Ranopama« mit dem Radebeul-Rundblick vom Wohnhaus des Künstlers aus gesehen, das sich unermüdlich um die eigene Achse dreht. Ob beabsichtigt oder nicht, die Gefahr, welche dem Reiz der Lößnitz innewohnt, wird hier am deutlichsten benannt. Radebeul – eine Insel der Glückseeligen? Werke mit Titeln wie »Winzerfreuden«,  »Weinzunge«, »Zeit der Weinernte«, »Weincode«, »Fröhliche Ernte« oder »Winzers Glück« scheinen dem Leben genussvoll zugewandt.

Peter Graf: "Winnetou im Weinberg"

Doch nichts ist sicher. Während sich Wolf Eike Kuntsches Liebespaar im Schneckenhaus vergnügt, liegt unmittelbar daneben bereits ein zweites Schneckenhaus: total zerstört. Glaube, Liebe, Hoffnung! Gunter Herrmanns »Solitär«, eine Tanne, die sich inmitten von Weinterrassen über Jahrzehnte als Außenseiter behauptet hat – eine Allegorie auf menschlichen Überlebenswillen. Auch Claus Weidensdorfers »blue-note« lässt sich nicht in unser heimisches (Ton)system einfügen und  trotzdem ist sie existent.

Die Auseinandersetzung mit der symbiotischen Verschmelzung von Landschaft und Architektur im Wandel der Tages- und Jahreszeiten bedarf statt einer Erklärung des Hinweises auf das unvoreingenommene »Aufsicheinwirkenlassen« einer nahezu vollkommenen noblen Malerei der Radebeuler Altmeister. Ungeachtet dessen, setzte die aus Frankreich stammende Künstlerin Sophie Cau einen radikalen Kontrast. Leuchtendes Türkis dominiert ihr Gemälde, in dem sich Schichten und Strukturen wie Urgewalten kraftvoll ineinander schieben und die von Treppen unterbrochenen Weinbergterrassen nur noch erahnen lassen.

Die jüngsten Ausstellungsteilnehmer, Schüler der Grundschule Oberlößnitz, gestalteten, angeregt durch Friederike Curling-Aust, Geschichtenbilderbücher, die sie »Mein Weg nach Hause – meine Heimat« nannten. Mit dem Ort der Geburt, wohin das Schicksal jeden von uns verschlagen hat, setzt sich Dorothee Kuhbandner auseinander. »Auserkoren – Hineingeboren« nennt sie ihr Papierobjekt. Es stellt die nach ihr benannte Villa »Dorothee« dar, welche sich in einer der besten Lagen in der Niederlößnitz befindet. Doch statt selbstzufriedener Satuierheit schießen aus dem Inneren des Gebäudes wie Silvesterraketen  lampiongleiche Gebilde mit Wünschen, Sehnsüchten und Kümmernissen hervor.

Ein kleines Büchlein mit der schön gedachten Geschichte »Weinfest in der Haußgaß« von Thomas Gerlach, durch farbige Holzschnitte von Michael Hofmannn bereichert, rundet die Gemeinschaftsausstellung ab.

Von Schönheit umgeben zu sein ist Alltag in Radebeul. Aber vielleicht bedarf es auch der Durchreisenden und Zugezogenen, damit sich die Heimischen ihrer Privilegiertheit immer wieder aufs Neue bewusst werden können.

Bleibt letztlich zu hoffen, dass sich die Zugezogenen nicht nur an ihren Immobilien und der reizvollen Landschaft erfreuen, sondern auch die ansässigen Künstler zu entdecken beginnen. Die laufende Ausstellung und der bevorstehende Grafikmarkt bieten reichlich Gelegenheit für dererlei Einsicht. Denn ohne Auftraggeber, Sammler und Mäzene werden selbst in der viel gepriesenen Lößnitz die Künstler eines Tages rar.

Teilnehmende Künstler:
Dieter Beirich, Sophie Cau, Brian Curling, Friederike Curling-Aust, Clara Freier, Thomas Gerlach, Karen Graf, Peter Graf, Gunter Herrmann, Mandy Herrmann, Horst Hille, Michael Hofmann, Eckehard Kempin, Dorothee Kuhbandner, Anna Kuntsche, Bärbel Kuntsche, Wolf Eike Kuntsche, Christiane Latendorf, Klaus Liebscher, Johanna Mittag, Maria Morgenstern, Peter PIT Müller, Pseudo, Gabriele Reinemer, Markus Retzlaff, Gerald Risch, Luc Saalfeld, Gabriele Seitz, Karola Smy, Wolfgang Smy, Ju Sobing, Annerose Schulze, Fritz-Peter Schulze, Gerold Schwenke, André Uhlig, Christian URI Weber, Claus Weidensdorfer, Irene Wieland, Ute Wittig und Werner Wittig

Die Ausstellung läuft bis zum 16. Oktober 2011. Zu sehen sind auch die Dokumentationen vom »Winzerfest 1924« und der Performance zum Künstlerfest am 3.9.2011 von der  Künstlergruppe ANASAGES »vino absurdum – ein tierisches Vergnügen«.

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