Bestimmt nicht an einem Tag Ende August. Aber an dem werde ich zum letzten Male von Ochs und Esel geweckt. Schafe, Ziegen Hühner und Hunde mischen sich bald in diese Geräuschkulisse. Noch bevor die Sonne über den schroffen, kantigen Bergrücken steigt, welcher der kleinen griechischen Insel in der Ägäis Profil gibt, schlagen die Tiere an. Die fugalen Folgen, so scheint mir, wechseln von Tag zu Tag. Nochmal einschlafen bis es Frühstück gibt, nun, das geht erst nach einer Weile wieder. Urlaub auf dem Dorf. Kristos und Andrea, ein griechisch-tschechisches Paar, haben mir das gleiche Zimmer wie in den Jahren davor vermietet. Zum letzten Mal geht es die Straße entlang zum Meer, vorbei an Tomatenfeldern, Kühen und Pferden auf der Weide, duftenden Oleandersträuchern und Feigen als Straßenfallobst. Nach einem Kilometer tut sich ein Stück paradiesisch einsamer Sandstrand auf. Hinter den Dünen, rings um einen Salzsee, werden jedes Jahr im Dezember und Januar bunte Flamingos mehrere Tage rasten. Drüben über der Meerenge taucht das Festland aus dem Schönwetterdunst, dort beginnen die Wege in den Orient. Sollte mir da ein heller Stern aufgefallen sein? Eher nicht, in diesem Jahr bleibt eine totale Mondfinsternis im Gedächtnis. Und mehrere Weise haben nachgerechnet, die nächste wird es hier am 9. Juni 2123 geben.
Wie ich zum letzten Male in diesem Jahr die Straße zum Hotel zurücklaufe, stoppe ich im kleinen Laden von Maria, der hiesigen „Tante Emma“. Kalo taxidi wünscht sie mir – gute Reise. Und ich bekomme eine Dose Bier der Marke „Mythos“ mit. Sofort ist mir klar, die werde ich zu Weihnachten zu Hause trinken. Vier Stunden, nachdem das Flugzeug gestartet ist, schließe ich meine Wohnungstür in der Flusstalstadt auf.
Noch ist es nicht September, als ich zu Hause den Kühlschrank gründlich auf seinen Alltagsmodus bestücke. Im Supermarkt steht der erste Wein des Jahres, Federweißer. Und es ist noch September, als die ersten Lebkuchen und Weihnachtsmänner sich in und um die Regale türmen. Draußen ist bestes Badewetter. Das 2018er Jahr verwöhnt uns ungewöhnlich mit Sonne und Wärme. Landarbeiter, Gärtner, Förster, die Wasserwirtschaft und die Elbschifffahrt werden das anders sehen. Noch im Oktober an der Kiesgrube fasse ich rationale Gedanken. Die zu verschickenden Stollen, meint der Bäcker, kann ich gleich auf seiner Internetseite ordern, als Aufpreis nur das Porto…
und darüber ist November geworden. Aus dem Fenster der Linie 4 verfolge ich schon ab Monatsbeginn den Aufbau des Striezelmarktes. Der Baum stand zuerst. Finde ich wieder Zeit, mich mit dem einen oder anderen Bekannten dort auf einen Glühwein zu treffen? Schaffe ich es, wie in Kindertagen an den Märchenfiguren vorbeizuschlendern? Ach ja, die Geschenke im engsten Kreis: nein, „nichts“ wollen wir uns nicht schenken, sondern Erlebnisse. Gemeinsamkeit lautet die Verabredung. Ein kostbarer Anspruch wie ich finde, braucht es doch dafür Ideen, aber vor allem die Zeit, diese zusammen umzusetzen.
Dezember. An der Elbe rasten Graugänse und beim Salzsee hinter dem paradiesischen, jetzt bestimmt noch einsameren Sandstrand auf der kleinen griechischen Insel müssten jene Scharen bunter Flamingos angekommen sein. Schade, das werde ich nicht sehen können. Abgesehen davon, dass keine Zeit dafür wäre, ist die Insel ab Oktober nicht mehr per Charterflug erreichbar, sondern nur mit Umstieg in Athen, und das auch nicht täglich. Die Reise von Tür zu Tür würde nicht vier Stunden, sondern vielleicht vier Tage dauern. Blieben die Bilder vom Sommer. Traditionell werden die bei uns am 27. Dezember, unserem 3. Feiertag angeschaut. Und wie jedes Jahr werden an diesem Tag bereits die ersten Weihnachtsbäume, abgeschmückt und ausgemustert, vor einigen Haustüren und an den Containersammelplätzen liegen. Weihnachten, so einige Nachbarn, wäre ja jetzt vorbei. Leute, denke ich dann immer, es hat doch jetzt gerade erst begonnen…!
Tobias Märksch