Gab es beim ehemaligen „Haus der Kunst“ einen Vorgängerbau?

Als ich neulich ein Bild geschenkt bekam, was die Geschichte der Lößnitz illustriert, war da zuerst Freude über den Besitz und auch Dankbarkeit gegenüber der Frau, die es mir zugedacht hatte. Dann kam bald der Wunsch auf, mehr darüber zu erfahren: wo ist es und was ist auf dem Bild eigentlich dargestellt und existiert das heute noch so, wann und von wem wurde es gezeichnet / gemalt, bzw. welche Technik wurde angewandt, ist der Rahmen original, gibt es eventuell Rückseitenvermerke, die Rückschlüsse auf Vorbesitzer zulassen? Da fängt die Arbeit für einen Sammler an! Nachdem die ersten Antworten gefunden waren, kam die Frage, wäre das Stoff für einen Artikel in V&R? Und schließlich, wo in meiner Wohnung wäre der richtige Platz für das neue, alte Bild?

Foto: D. Lohse

Ich möchte mal mit der Antwort auf die letzte Frage anfangen. Das Bild, auf dem man einen Ausschnitt von Niederlößnitz links der Jägerhofstraße erkennt, hat im ehemaligen Büro des Vor- Vor- Vorbesitzers, des Baumeisters Franz Jörissen, in unserem jetzigen Gästezimmer seinen Platz gefunden. Das Bild kehrte so durch einige Zufälle zurück zu seinen Wurzeln.

Foto: D. Lohse

Jetzt wollen wir uns besagtes Bild (eine Farblithografie) etwas genauer anschauen. Wir sehen einen Höhenzug von rechts nach links abfallend mit lockerem Baumbestand, z.T. auch Obstbäume, im Vordergrund erkennen wir einen angeschnittenen Weinberg, da wo heute wieder Wein wächst und rechts der Mitte steht ein Landhaus um 1870 mit Nebengebäuden und einem massiven Pavillon am Hang, den es so nicht mehr gibt. Das Landhaus mit Krüppelwalmdach ähnelt dem etwa zeitgleich entstandenen aber verschwundenen „Karlshof“ in Zitzschewig. Ganz rechts erkennen wir nahezu unverändert ein zum damaligen Grundstück gehörendes kleineres, noch existierendes Fachwerkhaus um 1800 und ganz links im Hintergrund ist noch die alte Kötzschenbrodaer Kirche zu erkennen. Auf der Rückseite des zeitgemäß gerahmten Bildes fand ich zwei Notizen von unterschiedlicher Hand: ein Unbekannter notierte, auf dem Bild sei eine Mühle aus dem Lößnitzgrund abgebildet. Das wird sowohl von mir, als auch früher schon von Baumeister Jörissen angezweifelt, der die genaue Lage des Gebäudes mit Adresse und Brandkatasternummern auf einem Klebezettel notiert hatte. Mühle scheidet vor allem deshalb aus, weil der Lößnitzgrund deutlich tiefer liegt und weil es im Seitental (Auf den Bergen) des Lößnitzgrundes keinen Bach oder ein anderes Gewässer gibt.
Das abgebildete Landhaus dürfte durch den Dresdner Ratszimmermeister Daniel Ruppert errichtet worden sein, der das Grundstück Niederlößnitz BC (Brandkatasternummer) 66-68 von 1748 bis 1787 besaß. Eine Familie Schelcher verkaufte es dann 1850 an Charles Martini, der jedoch das Haus abreißen und von 1852-54 durch Baumeister Eberhardt an gleicher Stelle eine moderne Villa im Stil des Klassizismus errichten ließ. Möglicherweise wurde das signierte Bild 1852 bei Borkman (Herr oder Frau?) in Auftrag gegeben, als der Abriss beschlossen war und eine Erinnerung an das Landhaus bewahrt werden sollte. Wenn man das Haus auf dem Bild ansieht, ist nicht zu verstehen, dass es abgerissen werden musste, es scheint ja baulich in Ordnung gewesen zu sein. Der Grund für den Abriss dürfte eher gewesen sein, dass Martini ein Haus nach der aktuellen Mode und/ oder ein größeres Haus haben wollte. Er nannte sein neues Domizil „Mon Repos“ (mein Ruheplatz). Mitte des 19. Jh. kamen in der Lößnitz noch einige klangvolle Eigennamen für Häuser wie „Paradies“, „Haus in der Sonne“ oder „Haus Sorgenfrei“ auf, die der Volksmund heute noch gebraucht.

Foto: D. Lohse

Eine besondere Eigenart, eine gedoppelte Haustür, d.h. zwei Türen nebeneinander, von denen nur eine funktioniert, finden wir an dieser Villa. So was kommt noch an zwei anderen Stellen in Radebeul bei Gebäuden aus der 2. Hälfte des 19. Jh. vor, wohl der Symmetrie geschuldet. Ich erinnere mich noch an ein bemerkenswertes Treppenhaus, dreiläufig mit vier Stützen und offenem viereckigen Auge, in der Villa. Kurz nach Fertigstellung der Villa wurden die Remise mit Kutscherwohnung, ein Eiskeller und eine Schießanlage gebaut – von beiden letzteren gibt es heute keine Spuren mehr.
Ein nächster Besitzer, Major a.D. Adolf von Mayen, veranlasste 1892/ 93 dann den Bau des Gärtnerhauses (Baumeister Adolf Neumann), heute Dr.-Rudolf- Friedrich.-Str. 25, und verkaufte 1897 den Besitz an Josef Goldschmidt, einen jüdischen Kaufmann aus Berlin. Im Südteil des Grundstücks entstand ein prächtiges, gläsernes Palmenhaus, das aber zwischen den beiden Weltkriegen verfiel. Für Josef Goldschmidt und später auch für seinen Sohn, Dr. jur. Curt Goldschmidt (Bankier in Berlin), und dessen Familie war die Villa immer nur der Sommersitz gewesen. Vor allem Dr. Goldschmidt nahm am Geschehen in Radebeul regen Anteil. Es ist bekannt, dass er für die Grundschule Niederlößnitz ein farbiges, noch existierendes Treppenhausfenster gestiftet hatte. Der Stiftervermerk im Fenster wurde bereits 1936 von den Nationalsozialisten entfernt, als die Goldschmidts Deutschland in Richtung Frankreich verlassen hatten. Ihr Leben als Juden war zwar gerettet, doch der Besitz verloren.
Grundstück und Villa wurden enteignet, „arisiert“ und ein Studentenheim der nationalsozialistischen Langemarck-Stiftung eingerichtet. 1939 entstand neben der Villa ein neues Bettenhaus, das ebenfalls nach klassizistischem Vorbild gebaut wurde. Kriegszerstörungen waren im Grundstück nicht zu beklagen. Das nationalsozialistische Intermezzo endete im Frühjahr 1945 hier wie in ganz Deutschland.

Foto: D. Lohse

Da Vieles in Dresden zerstört war und man in der Aufbauphase auch schon nach Ausstellungsmöglichkeiten suchte, konnte in Radebeul geholfen werden – die Goldschmidtvilla wurde vom Land Sachsen als „Haus der Kunst“ eingerichtet. Meines Wissens wurden bis in die 50er Jahre verschiedene Bilderausstellungen gezeigt, zu denen viele Besucher aus Dresden und Radebeul kamen. Einen Schwerpunkt bildeten junge bildende Künstler und solche, die zwischen 1933 und 1945 ausgegrenzt waren. Anschließend fasste der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) hier Fuß und betrieb in den Räumen eine Gewerkschaftsschulungsstätte. Dafür musste die Villa nach Norden hin erweitert werden. Das erfolgte unter Einhaltung der Gestaltung der Villa, bald sah man keinen Unterschied zum Altbau mehr. Nach 1990 wechselte man das „Firmenschild“, von jetzt an arbeitete der DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund) an gleicher Stelle weiter. Etwa 2002 stellte dann der DGB in Radebeul seine Tätigkeit ein und es folgte längerer Leerstand in den Gebäuden. Einmal erschien hier eine Organisation aus Berlin, die zu altem jüdischem Besitz recherchierte. Eine Rückkehr der Goldschmidt-Erben erfolgte aber nicht, so dass es schließlich zum Verkauf an Herrn Kliemann (Heizung und Sanitär) aus Radebeul kam. Man teilte das große Grundstück auf: die Villa als Auf den Bergen 9, das Fachwerkhaus als Auf den Bergen 11 das ehem. Gärtnerhaus als Dr.-Rudolf- Friedrichs-Str. 25 und die ehem. Remise als 25a. Die Gebäude wurden in den folgenden Jahren durch verschiedene Eigentümer unter Mitwirkung des Denkmalschutzes saniert, aus der Villa wurde jetzt ein Mehrfamilien-Wohnhaus mit zusätzlichen Balkonen und im Gelände wurde etwas Neues gebaut. Dadurch ist vom ehemaligen Villenpark leider nicht mehr viel übrig geblieben.
Was dürfen wir als Fazit feststellen? Wir lernten ein Niederlößnitzer Grundstück mit wechselvoller Geschichte kennen, sozusagen ein Spiegelbild deutscher Geschichte. Und ja, einen Vorgängerbau gab es, wie zu sehen ist, auch.

Dietrich Lohse

Literatur. „Radebeul in alten Ansichten“, Band 2, Liselotte Schließer, Europ. Bibliothek, Zaltbommel /
Niederlande, 2002
„Juden in Radebeul“, 1933-1945, Ingrid Lewek, Wolfgang Tarnowski, Große Kreisstadt
Radebeul, 2008

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