Radebeuler LebensArt

Von der Kunst mit Kunst in Gärten zu gehen

Man kann es nicht sehen, riechen oder schmecken. Und doch ist das Corona-Virus gefährlich präsent. Es kam plötzlich und unerwartet, fast wie ein Blitz aus mehr oder weniger heiterem Himmel – nicht nur für Deutschland, nein, weltweit.

Die Ausnahmesituation wurde zur Herausforderung und setzte neue, bisher ungeahnte kreative Kräfte frei. Die Kultur, von engstirnigen Menschen oftmals als Sahnehäubchen verlacht, bekam wieder einen größeren Stellenwert zugemessen. So Manches wird eben erst vermisst, wenn man es nicht mehr hat. Museen, Galerien, Theater, Kinos, Bibliotheken und Clubs wurden geschlossen, Feste und Tanzveranstaltungen untersagt. Öffentlicher Kulturentzug total!

Schon bald war auch klar: Gestreamte Kultur ist kein vollwertiger Ersatz. Doch was ist während einer Pandemie möglich und was nicht? Mit welcher Art von Veranstaltungen könnte eine Wiederbelebung der öffentlichen Räume erfolgen?

Das Radebeuler Kulturamt (das einzige im ganzen Landkreis Meißen) mutierte in Zusammenarbeit mit dem neu gegründeten Radebeuler Kulturverein e. V. zur Ideenfabrik und Schaltzentrale. Man begann ein dichtes kulturelles Netz zu spannen und gemeinsam nach alternativen Lösungen zu suchen. Vieles wurde neu gedacht. Fast so, wie vor drei Jahrzehnten, in den Zeiten des gesellschaftlichen Um- und Aufbruchs.

Immer wieder eingeschlossen in jene kulturellen Nachwende-Erinnerungen, ist der viel zu früh verstorbene Dr. Dieter Schubert (1940-2012), der am 31. August 2020 achtzig Jahre alt geworden wäre und im Januar 1991 im Alter von fünfzig Jahren, quasi als Seiteneinsteiger, die Funktion des Amtsleiters für Bildung und Kultur übernommen hatte. In seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen vermerkte er: „Mein Verständnis von meinem neuen Amt ist ein wenig das eines Gärtners: Wachsen muss alles selbst, wir können von der Stadtverwaltung nur dafür sorgen, dass Licht, Luft und Sonne an die Pflanzen kommt, und der Boden ist zu düngen, manchmal auch umzugraben. Mit Unkraut- und Schädlingsbekämpfungsmitteln werden wir uns zurückhalten. (s. „Vorschau und Rückblick“ 2012/06)

In Anbetracht der außergewöhnlichen Situation reagierten Stadtverwaltung und Fördermittelgeber schnell und unbürokratisch. Kulturelle Zuschüsse wurden umgewidmet und für zahlreiche kleinere Alternativangebote freigegeben, welche die in ihrer ursprünglichen Form ausfallenden Großveranstaltungen wie Karl-May-Festtage, Kasperiade und Wandertheaterfestival kompensieren sollten. Unter der inhaltlichen Klammer „Radebeuler LebensArt“ erfolgte eine „zeitliche und räumliche Entzerrung“. Kunst- und Kulturangebote wurden von Juni bis September über das ganze Stadtgebiet verteilt.

Auch die Radebeuler Stadtgalerie brachte sich ein und startete die Aktion „Kunst geht in Gärten“. Die Vorbereitungszeit war äußerst knapp. Am 12. Mai machte ein erster Aufruf die Runde, in dem es darum ging, sich an einem Projekt zur Unterstützung regionaler Kunst und Künstler zu beteiligen. Angefragt wurde, ob man sich vorstellen könne, den eigenen Garten am 11. und 12. Juli für Besucher als eine Art erweiterten Ausstellungsbereich unter freiem Himmel zu öffnen. Die Resonanz übertraf die Erwartungen der Initiatoren. Schließlich konnten 19 mitwirkungswillige Stationen registriert werden. Über 80 Künstler engagierten sich. Das Galerieteam war für die Leitung des Projektes und die Klärung der Rahmenbedingungen zuständig.

Für die meisten, der teilnehmenden Grundstückseigentümer, war so eine Aktion völliges Neuland. Hinzu kamen die notwendigen Hygiene- und Sicherheitsanforderungen. Aber vor allem galt es zu überlegen, wie und wo sich Kunst in einem Garten stehend, liegend oder hängend präsentieren lässt. Lauben, Veranden, Terrassen, Sandkästen, Gartenberge, Vorgärten, Hecken, Bäume, Mauern, Zäune oder Brunnen wurden dafür hergerichtet. Eimer, Gießkannen, Sack- und Schubkarren sowie sonstige Gartengerätschaften aber auch Ziegelsteine, Gehwegplatten und verrostete Kleinschrott-Überbleibsel erlebten die wundersame Veredlung zu Kunst. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.

Zwei-Tages-Kunstaktion mit Tobias Wolf am Elbufer
Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Besucher im Garten von Cornelia Konheiser
Foto: Karin (Gerhardt) Baum

Action Painting mit Klaus Liebscher auf der Wilhelmshöhe
Foto: Sophie Cau

Besucherin mit Goldenem Ei im St.-Nimmerleins-Garten des Lügenmuseums Foto: Reinhard Zabka

„Auferstehung“ (Detail) von Christiane Latendorf im Kunsthaus Kötzschenbroda Foto: Karin (Gerhardt) Baum

 

„Vino, Virus, Veritas“ (Detail) von Matthias Kratschmer Foto: Karin (Gerhardt) Baum

 

 

 

 

 

Sowohl Einzelkünstler als auch Künstlergruppen wie die Ateliergemeinschaft „Alte Molkerei“, die Künstlergruppe „Spurensuche“, die Ateliergemeinschaft „Oberlicht“ und die Künstler von der „Alten Schuhfabrik“ beteiligten sich an dem Projekt. Mit von der Partie waren die Stadtgalerie Radebeul, die Galerie mit Weitblick, das Kunsthaus Kötzschenbroda, das Café Grünlich, das Café am Spitzhaus, das Sächsische Weinbaumuseum Hoflößnitz, das Lügenmuseum, das Weingut „Drei Herren“ und die Kunstscheune Naundorf. Ihre Gärten öffneten die Künstlerinnen und Künstler Johanna Mittag, Cornelia Konheiser, Annerose und Fritz Peter Schulze, Katharina und Günter „Baby“ Sommer, Ralf Uhlig, Irene Wieland, Gabriele und Detlef Reinemer. Neben den zahlreich mitwirkenden Radebeuler Künstlern erhielten auch einige Künstler des Umlandes die Möglichkeit, sich an dem Projekt zu beteiligen. Wandernde Musiker zogen von Garten zu Garten und erfreuten das Publikum in stimmungsvoller Atmosphäre mit spontanen Darbietungen. Darüber hinaus fanden Mal-, Näh- und sonstige Performanceaktionen statt.

 

Licht-Installation „Garten“ in der Alten Molkerei

 

Aktion der Gruppe Kunstspuren mit Quintravers Foto: Irene Wieland

 

Die Bildhauer Detlef und Gabriele Reinemer mit Besuchern in ihrem Garten Foto:Heidi Tyroff

Der räumliche Bogen wurde von West nach Ost sowie vom Elbtal bis hinauf in die Weinberge gespannt. Im größten Garten der Lößnitzstadt, dort wo die Elbe als Quell aller Fruchtbarkeit fließt, erfolgte der Auftakt des zweitägigen Kunstwochenendes. Selbst wenn es dem Performer nicht vollständig gelang, die Elbe an zwei Tagen leer zu schöpfen, schätzte er seine dabei gemachten Erfahrungen und die vielen Gespräche als sehr interessant und erfrischend ein.

Dass sich die Gartentore endlich öffnen, konnten die Besucher kaum erwarten. Viele kamen zu Fuß oder per Rad. Der Flyer mit dem Orientierungsplan bot reichlich Information. Offene Fragen wurden kundig, gern und freundlich von den anwesenden Mitwirkenden beantwortet. Die Besucher zeigten sich aufgeschlossen und kommunikativ. Selbst zu abseitigen Stationen drang man entdeckerfreudig vor.

Wenngleich inmitten des Industriegebietes von Radebeul-West in großen Buchstaben kurzzeitig das Wort „GARTEN“ zu lesen war, hätte die „Alte Molkerei“ wohl eher die Bezeichnung „Anti-Garten“. verdient. Dem in diesem Umfeld paradox wirkenden Auftritt des Gnadenchores auf der Milchrampe mit dem Repertoire aus heimatlichen Volksliedgut lauschte eine sichtlich begeisterte Zuhörerschaft. Allerdings schien sich auch ein etwas kunstfernes Publikum in die Werkstatträume der jungen Künstler (mit Mundschutz) verirrt zu haben, so dass die Reaktionen auf die plastischen Objekte, Installationen und Fotografien im Arbeitsambiente mitunter recht widersprüchlich waren. Man nahm es gelassen, zumal sich zahlreiche Studien- und Künstlerkollegen eingefunden hatten. Sehen will eben gelernt sein und Humor hat man oder hat man nicht. Denn zahlreiche Arbeiten besaßen ein reiches Maß an hintergründigem Witz wie z. B. die temporäre Großplakat-Imitation vorm Zaun auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In einer Selbstinszenierung zeigte sich der Künstler unter fiktivem Namen in der Rolle eines Aussteigers als ganzkörperbemalter Naturvolk-Konvertit. Wie schade, dass die Alte Molkerei zum Verkauf steht und eine räumliche Ersatzlösung in Radebeul bisher nicht in Sicht ist.

Aber auch die klassischen Kunst- und Gartenfreunde sind reichlich auf ihre Kosten gekommen. Kunstwerke wechselten ihre Besitzer und gärtnerische Geheimtipps gab es gratis dazu. Allerdings ließen einige Bilder in ihrer leuchtenden Farbigkeit, so manche Blumenrabatte vor Neid erblassen. Auch Nähmaschinen ratterten für Quintravers im Farbenrausch. Zu den floral und wild gewandeten Flötistinnen gesellte sich überraschend eine Tänzerin. Die Lust am kreativen Gestalten war allerorts zu spüren und steckte an. Während Kunst und Kuchen in einem Brunnen genossen werden konnten, fiel im „St.-Nimmerleins-Garten“ ein goldenes Ei vom Himmel. In einem etwas morbiden Vorhaus lauerten wiederum riesige Insektenköpfe den Besuchern auf. Ein allzeitvergnügter Gartenzwerg warb unter dem Motto „Vino, Virus, Veritas“ mit einem genmanipulierten Corona-Virus für die Lösung aller Pandemie-Probleme. Die Kunst wartete als Larve in einer Badewanne auf ihre Wieder-Auferstehung und von Künstlerhand geschriebene Monatssprüche vermittelten an einer hölzernen Wand aus Kellertüren Zuversicht. Im Atelier Oberlicht hingegen war allerlei frisch Gedrucktes im Angebot und der vorgelagerte Kunstpassagenhof wurde zum kleinen Bilder- und Keramikmarkt in kontrastierender Kombination mit einer gebeamten Videoshow.

Hoch über der Elbe zeigten „Boote der Hoffnung“ ins weite Tal. Hier schloss sich der Kreis. Die zweitägige Aktion „Kunst geht in Gärten“ klang in abendlicher Stimmung auf der Terrasse der Wilhelmshöhe aus. Das Kunst-Wochenende, dessen Reiz in einer wohldosierten Mischung aus praktizierter Lebensfreude, Spontanität, Zugewandtheit und Intimität bestand, war ein großer Erfolg und verschmolz für alle, die dabei waren zu einem einzigartigen Fest.

Karin (Gerhardt) Baum

Alle Stationen und mitwirkenden Künstler unter www.vorschau-ruechblick.de, Juli 2020, „Kunst geht in Gärten“

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