Den meisten Radebeulern werden die Namen Clara Salbach oder Ernst Edler von Schuch geläufig sein. Die bekannte Hofschauspielerin und der Generalmusikdirektor bewohnten Anfang des 20. Jahrhunderts Villen in unserem heutigen Radebeul. Es waren aber nicht die einzigen Mitglieder der Königlich Sächsischen Hoftheater, die das milde Elbklima und die Schönheit der Lößnitzorte schätzten. Immer wieder zog es Künstler und Musiker hier heraus. Einen, der es erst seit kurzem wieder ins Radebeuler Gedächtnis, ins neue Stadtlexikon, geschafft hat, ist der königlich sächsische Hofschauspieler Maximus René (bürgerlicher Name: Maximus Ottowa-René).
Geboren in Böhmen, riss René mit 16 Jahren zu Hause aus und schloss sich zum Ärger seiner Eltern einer durch die Dörfer tingelnden Theatergruppe an. Er war talentiert und so folgten schon bald eine kurze Ausbildung und Engagements an verschiedenen Theaterhäusern. Auch die Königlich Sächsischen Hoftheater wurde auf den jungen Mann aufmerksam und holten ihn 1898 nach Dresden. Eine steile Karriere für den 25jährigen, der sich im Schauspielhaus am Albertplatz als Bonvivant in die Herzen der Dresdner Zuschauer spielte. Hofschauspieler zu sein, war mit das größte, was man als darstellender Künstler erreichen konnte. Nicht nur langfristige Engagement-Verträge, hohe Gagen und eine Pension wurden geboten. Auch die Aufführungen selbst waren von höchster Qualität. Dresden konnte sich mit Kulturmetropolen wie Berlin oder Wien messen!
Renè wurde bei den Sachsen bald heimisch und erwarb 1904 mit seiner späteren Frau, der Schauspielerin Franziska Wolbach-Hilpert, ein Zillerhaus in Serkowitz. Ein Platz zum Wohlfühlen und Familie gründen. Das Radebeuler Adressbuch verrät, dass René einer der ersten Einwohner war, der einen Telefonanschluss besaß. Auch ein Privileg der Hofschauspieler. Die Generaldirektion der Hoftheater wollte ihre Künstler rund um die Uhr erreichen. Wie oft das Telefon wohl in Serkowitz schellte? Dann hieß es für René nach Dresden eilen, eine Probe war spontan angesetzt oder ein kranker Kollege musste vertreten werden.
Mit Mitte 30 war René bereits auf der Karriereleiter weit nach oben geklettert. Das Leben hätte so schön sein können, doch dann stellten sich Zweifel ein. Wollte er nur für das betuchte Großstadtpublikum spielen? Eine Idee formte sich in seinem Kopf. Die Idee, solch gutes Theater für das ganze Volk zu machen. Nichts Besonderes, werden Sie jetzt sagen. Damals war der Gedanke jedoch ein Novum. Hochwertiges Theater konnten sich nur betuchte Städter leisten. Für alle anderen blieben Possen und Schwänke, mehr schlecht als recht von mittelmäßigen Schauspielern aufgeführt. Es lag aber nicht nur am schmalen Geldbeutel. Man sprach den einfachen Menschen auch ab, Goethe, Lessing oder Ibsen zu verstehen. Schmierentheater, nannte es René, was man ihnen stattdessen bot.
Er war überzeugt, dass alle Menschen zum Hineinleben in die Kultur ihres Volkes erzogen werden mussten und das von Jugend auf. Er sah das Wissen eines Volkes in Form von Werten, Tugenden und Moral in den Werken der großen Dichter. Hier lernte der Mensch die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, wahr und falsch. René war überzeugt, dass gerade das Theater aufgrund seiner Lebendigkeit, Unmittelbarkeit und Intensität eine herausragende Wirkung erzielte. Das gemeinsame Erleben riss die Theaterzuschauer mit und ein Gemeinschaftsgefühl bildete sich heraus. Im Ergebnis sah er den gebildeten Menschen, der zum politisch mitwirkenden Staatsbürger wird und die Werte seines Volkes mitträgt. Ein interessanter Gedanke, wie ich finde.
Und dann bot sich René die Gelegenheit! Als der König 1909 beschloss, ein neues Schauspielhaus an der Ostra-Allee zu bauen, kündigte René seine Stellung am Hoftheater und verließ Radebeul Richtung Dresden. Mit den Worten „Ich will ein Theater schaffen, das Werke aller deutschen Dichtkunst aller Zeiten als Bildungs-, Belehrungs- und Erholungsmittel bietet und zwar in künstlerisch erstklassigen Darbietungen!“ bewarb sich um die Leitung des freiwerdenden Theaters am Albertplatz. Er überzeugte und eröffnete mit großem Erfolg als Direktor im Oktober 1913 mit Raimunds „Verschwender“. Unter verschiedenen erfolgreichen Aufführungen brachte er mit nachhaltigem Eindruck „Die Weber“ von Hauptmann auf die Bühne. Ein unglücklicher Konflikt mit dem neuen Eigentümer, der Albert-Theater-Aktiengesellschaft, beendete vorzeitig sein Wirken.
Mit Ausbruch des Krieges stellte sich René und seine Frau in den Dienst des Roten Kreuzes und zog mit einem Thespiskarren und einer Handvoll Gleichgesinnter die Frontlinie entlang, gab Soldaten aufmunternde Stücke zum Besten.
Im November 1918 kam René nach Dresden zurück. Armut und Hunger überall, die Kunst lag durch den Krieg am Boden. Dazu die Spanische Grippe, Theater und Schulen mussten kurzzeitig schließen. Eine Zeit, die der Kunst viel abverlangte. Auch uns hat die Pandemie vor kurzem jegliche Kultur genommen. Wir wissen, wie es sich anfühlt, ohne Theater, Konzerte, Ausstellungen oder Lesungen zu leben, wie geistige Impulse fehlen. Viele haben sich mit den Corona-Gewohnheiten arrangiert und gemerkt, wie einfach es durch Streaming-Dienste ist, sich Unterhaltung ins Wohnzimmer zu holen. Nun befürchtet man, dass nach der gegenwärtigen, starken Kulturnachfrage auch eine Flaute kommen könnte, weil die Menschen gelernt haben, auch ohne Kultur auszukommen. 1918 war es so. Der Kriegsalltag und der ständige Kampf ums Überleben bestimmten den Alltag. Die Kunst wieder zu erwecken, dem hatte sich damals der Künstlerhilfsbund verschrieben. Gemeinsam mit den Leitern des Bundes, Otto Schambach und Alfred Waldheim, kam René eine grandiose Idee. Mit einer Wanderbühne wollte er die Provinz Sachsen bereisen und (wie sollte es anders sein) die großen Dichterwerke gut inszeniert ins Land bringen.
So war sie geboren, die Sächsische Landesbühne. Ja, lieber Leser, Sie lesen richtig: Maximus René gründete die Sächsische Landesbühne! Welche Namensähnlichkeit zu unserer Landesbühne Sachsen! Und auch darüber hinaus weisen die Theater Ähnlichkeiten auf, obwohl sie nicht aufeinander aufbauen.
Am 19. Februar 1919 startete Renés Reiseunternehmen. Unterstützt von den Kommunen tourte das Reisetheater per Eisenbahn und später per sonderangefertigtem Daimler-Benz- Kraftwagenzug durch die Kleinstädte Sachsens, wie Bad Elster, Großenhain oder Riesa. Der kettenrauchende René wählte die Stücke aus, führte Regie, hielt seine Künstlertruppe väterlich zusammen und spielte selbst mit. Viele belächelten ihn. Er würde keinen Erfolg haben, sagten sie. Die Provinzbevölkerung würde klassische Werke der Weltliteratur nicht wertschätzen. Doch weit gefehlt: Faust, Minna von Barnhelm, Sappho, Othello, Die lustigen Weiber von Windsor, Don Carlos, Raub der Sabinerinnen – Dramen, Tragödien, Schauspiele, Lustspiele, Komödien standen auf seinem Spielplan. Dreistündige Vorführungen von „Nathan der Weise“ verzauberten Kinder und Erwachsene und ernteten reichlich Applaus. René war am Ziel seiner Träume.
Ein Nomadenleben war der Preis. Das ganze Jahr unterwegs, nur im Sommer ein paar Wochen im Quartier in Olbernhau. Aber auch da hieß es arbeiten, die neue Saison musste vorbereitet werden. So kann nur ein Idealist leben. Was für ein Glück, dass er in seiner Frau eine Seelengefährtin fand.
Der Kulturkritiker Dr. Felix Zimmermann brachte Renés Lebenswerk schon 1926 in der Zeitschrift „Die deutsche Bühne“ ziemlich gut auf den Punkt: „… René hat dem Land Sachsen das Theater für alle gegeben, er hat der Schmiere den Todesstoß versetzt und die künstlerische Wanderbühne geschaffen. … Er technisierte den Thespiskarren, machte die moderne Bühne transportabel, errichtete Tempel der Dichter, verbannte den Gelegenheitsmimen durch den vollwertigen, fachbegabten Berufskünstler.“ Zimmermann zweifelte damals nicht daran, dass diese „Kulturleistung ersten Ranges“ durch den Staat anerkannt und unterstützt werden würde. Denn auch damals schon, kam gutes Theater ohne finanzielle Unterstützung nicht aus. Doch er sollte sich irren. Während das Land Sachsen Millionen in die Staatstheater fließen ließ, überließ man es den Kommunen, sich um ihre Sächsische Landesbühne zu kümmern. Vor dem Hintergrund von Inflation und Wirtschaftskrisen ein aussichtsloses Unterfangen. So schloss die Sächsische Landesbühne schließlich 1931 ihre Türen. Doch ihr Spirit „gutes Theater für alle“ lebt in der Landesbühne Sachsen und vielen anderen großen und kleinen Theatern fort.
Anja Hellfritzsch
Haben Sie Lust, die Renés noch besser kennenzulernen und sie auch in der Radebeuler Zeit zu begleiten? Wollen Sie erfahren, wie René schon 1906 für das Grün in der Garten- und Villenstadt kämpfte? Fragen Sie sich auch, wie seine Frau seine Lebensentscheidungen mittrug? Harmonisch ging es jedenfalls nicht immer zu. Im Ränkespiel von Intrigen, Krieg und Inflation versuchte René seinen Traum zu leben und mischte dabei Dresden und die sächsische Provinz gehörig auf. Mehr erfahren Sie in meinem Roman „Der Theatermann“. Das Buch beruht auf wahren Ereignissen.
Der Theatermann
Anja Hellfritzsch
DDV Edition
ISBN 978-3-943444-90-2
Foto Maxime René
Kgl. Sächsischer Hofschauspieler Maximus René, 1910
Quelle: Autogrammkarte, Gebr. Scheizel Dresden
Foto Haus
Foto: Radebeuler Landhaus in der Friedlandstraße, dass René ab 1904 bewohnte
Fotograf: Oscar Rothe Dresden