Zwei Jubiläen der „Blutsbrüder“

Grabstätte der Familie Bilz auf dem Serkowitzer Friedhof in Radebeul Foto: K. U. Baum

Sie waren, so wie die Literatur es beschreibt, richtig gute Freunde und gewissermaßen bis nach dem Tod verbunden. Sie besuchten sich gegenseitig, nahmen an den jeweiligen Familienfeiern teil und bewunderten die Leistungen des Anderen. Als schließlich der Eine zehn Jahre nach dem Tod des Freundes mit 80 Jahren verstarb, ließ er sich neben dessen pompösem Grabtempel bestatten. Lange aber wussten beide nichts voneinander, wandelten, teils recht abenteuerlich auf unterschiedlichen Wegen und waren sich doch so ähnlich wie kaum zu vermuten.

Friedrich Eduard Bilz und Karl Friedrich May wurden im Jahr 1842 geboren. Der Eine in Arnsdorf bei Penig gelegenen, der Andere in Ernstthal unweit von Chemnitz – keine 25 Kilometer voneinander entfernt. Während Bilz aus Liebhaberei zur Schriftstellerei fand, diente sie Karl May zum notwendigen Broterwerb. Beide waren Autodidakten und überaus erfolgreich. May verlegte Abenteuerromane und Reiseberichte, deren Auflage weltweit auf etwa 200 Millionen Bände geschätzt wird. Eduard Bilz erzielte mit seinen Gesundheits- und Naturheilbüchern bis 1938 immerhin eine Auflage von 3,5 Millionen Exemplaren.

Radebeuler Werbeaufsteller zum 180. Geburtstag von Karl May und Friedrich Eduard Bilz Foto: K. U. Baum

Beide aus ärmlichen Verhältnissen stammend, der Eine vom Weber zum Kolonialwarenhändler aufgestiegen, der Andere mit einem Hang zur Kleinkriminalität, eine begonnene Lehrerkarriere abbrechend, gelangten sie durch ihre schriftstellerischen Begabungen zu Ansehen und Wohlstand.

Seine erste Veröffentlichung brachte Karl May vermutlich 1875 heraus. Es war die Erzählung Die Rose von Ernstthal, eine verworrene, triviale Geschichte um Liebe und Entführung mit gutem Ausgang, bei der alles in einer Höhle begann:

»Er erhob sich von dem harten, steinigen Boden, ergriff das Felleisen, welches ihm als Kopfkissen gedient hatte und trat vor den Eingang der Höhle.

Guten Morgen, Du lieber, schöner, grüner Wald! Schüttest zwar Dein immer junges, hundertköpfiges Haupt mißbilligend über den faulen, schlaftrunkenen Kumpan, der ich heut bin, bietest mir aber doch Waschgeschirr und Morgentrunk in altgewohnter, fürsorglicher Weise.« [sic!]

Der sich hier andeutende Erzählstil Mays sollte sich in seinen späteren Reiseberichten und Abenteuerromanen in verfeinerte Form fortsetzen. Diese waren eine Mischung detailgenauer Beschreibungen in teilweise mythologischer Erzählweise, verbunden mit geografischen Kenntnissen und durchwoben von eigenen Erlebnissen sowie Verhaltensmustern. Die in Die Rose von Ernstthal erwähnte Höhle kannte May genau. In ihr fand er Zuflucht, als ihm 1869 bei einer Überführung als Strafgefangener eine spektakuläre Flucht bei Kuhschnappel, nahe St. Egidien, einer kleinen Gemeinde im Erzgebirgsvorland, gelang. Die Freude währte nur kurz. Bereits Anfang Januar 1870 konnte er im Böhmischen wieder gefasst werden. In Freiheit gelangte er erst 3½ Jahre später. Seine „kriminelle Laufbahn“ war damit im Wesentlichen beendet und er wendete sich dem Schreiben zu.

Nach Dresden lockte ihn eine Offerte des dortigen Verlegers Heinrich Gotthold Münchmeyer, der ihn als Redakteur einstellte. Schließlich ließ er sich in der Residenzstadt 1878 als freier Schriftsteller nieder. Mit seinen Arbeiten für die katholische Wochenzeitung Deutscher Hausschatz aus Regensburg ab 1879 stabilisierte sich seine finanzielle Lage, so dass May 1888 nach Kötzschenbroda zog und 1891 in Oberlößnitz die von Moritz Ziller erbaute Villa Agnes anmieten konnte. Zum Durchbruch verhalf ihm allerdings der Jungverleger Friedrich Ernst Fehsenfeld aus Freiburg mit der Herausgabe seiner Gesammelten Reiseromane in Buchform. Bis dahin erschienen Mays Erzählungen als Fortsetzungsfolgen in verschiedenen Zeitungen.

Mays erfolgreichster Kolportageroman ist Der Schatz im Silbersee, entstanden 1890/1891, der zweimal verfilmt wurde. Die Identifizierung mit seinen Helden (May gab sich als Old Shatterhand aus) untergrub seinen Ruf als Schriftsteller, so dass er sich in seinem Spätwerk vom Abenteuerroman abwendete und symbolischen wie weltanschaulich-religiösen Themen zuwendete. Mays Spätwerk wurde allerdings erst ab den 1950er Jahren als der literarisch wertvollste Teil seines Schaffens erkannt.

Der „Vater der volkstümlichen Naturheilkunde“ Friedrich Eduard Bilz war ein gelernter Weber, der aus gesundheitlichen Gründen schließlich 1872 in Meerane mit seiner Frau einen Kolonialwarenladen eröffnete. Im gleichen Jahr trat er dem Verein für Gesundheitspflege und Naturheilkunde bei und beschäftigte sich fortan ausschließlich mit dieser Thematik. Zehn Jahre später veröffentlichte der nun 40-jährige Bilz im Selbstverlag seine erste Schrift mit dem etwas langen Titel Das menschliche Lebensglück. Ein Wegweiser zu Gesundheit und Wohlstand durch die Rückkehr zum Naturgesetz. Hausfreund und Familienschatz für Gesunde und Kranke. Zugleich ein Beitrag zur Lösung der sozialen Frage. Darin vertrat er eine naturbezogene Weltanschauung als Lösung für die sozialen Fragen. Die bisher gesammelten Erkenntnisse praktizierte er selbst an sich aus. So schlief er nur bei offenen Fenstern und sah in Wasseranwendungen ein wichtiges Heil- und Stärkungsmittel (kalte, nasse Kopfumschläge zur geistigen Stärkung). Bilz’ erstes Standardwerk für volkstümliche Heilkunde kam 1888 heraus. Im Bilz, das neue Heilverfahren. Ein Nachschlagebuch für Jedermann in gesunden und kranken Tagen. fand der Autor für komplizierte medizinische Vorgänge einfache Erklärungen und empfahl verständliche sowie praktische Heilverfahren für Jedermann. Das Werk wurde ein großer Erfolg und zum meist gedruckten Buch vor 1939.

Bilz ging seine Unternehmungen zielstrebig an. Mit der Herausgabe seines dann erfolgreichen Bilz-Buches gründete er 1888 den Verlag F. E. Bilz. Schließlich konnte er dadurch 1890 in Oberlößnitz ein großes Anwesen erwerben. Dort setzte er seine naturheilkundlichen Überzeugungen ganz praktisch um, in dem er unter anderem 3.000 Obstbäume setzte. Keine zwei Jahre später baute er eine kleine private, sich an Sebastian Kneipp anlehnende, Naturheilanstalt auf, die sich sehr familiär gab. So speisten die Kurgäste zusammen mit der Familie. Die Lößnitz war in jenen Jahren ein wahres Eldorado für Kur- und Heilanstalten. Auch wirkte bis 1843 im benachbarten Meißen der Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann.

Das erste große Kurhaus des Bilz-Sanitoriums konnte 1894 eingeweiht werden. Karl May hatte es da ebenfalls schon zu einigem Ansehen gebracht. In diese Zeit fällt auch der Beginn der Freundschaft zwischen Bilz und May. Sie entstand vermutlich, als sich Mays erste Ehefrau Emma 1896 einem längeren Kuraufenthalt im Bilz-Sanatorium unterzog.

Bilz arbeitete indes an seinem Werk weiter. Mit jeder Auflage wurde das Bilz-Buch umfangreicher, bis es schließlich fast 2.000 Seiten umfasste. Neben den Krankheitsbildern und deren Heilmöglichkeiten enthält es unter anderem auch Abschnitte zur Kleidung, Ernährung, Wohnung, Bewegung und vieles mehr. Das Bilz-Buch war nicht unumstritten, besonders die Ärzteschaft warf ihm nicht unberechtigt „Kurpfuscherei“ vor. Ein gewisses Sendebewusstsein, gepaart mit Geschäftssinn, kann man Bilz nicht absprechen. Auch bewunderte er Mays schriftstellerische Fähigkeiten, die mitunter ins Phantastische ausuferten. Mays Bücher mögen Bilz veranlasst haben, sich nach der Niederlegung der Leitung des Sanatoriums schriftstellerisch zu betätigen. Der selbst ernannte Naturheilkundler brachte 1907 als sein letztes Werk einen teils märchenhaft anmutenden Roman mit dem Titel In hundert Jahren heraus, in dem er eine gewisse Sozialromantik verkündete. Dieser beginnt mit der wundersamen Auffindung eines alten Mannes auf einer einsamen Insel durch eine Schiffsbesatzung. Hier ein kleiner Auszug aus dem I. Kapitel „Ein irdischer Methusalem“:

»[…] „Ich bin alt, sehr alt, mein guter Freund, rechnet ’s aus. Im Jahr 1872 erblickte ich das Licht der Welt. Ich weiß nicht, welches Jahr wir jetzt schreiben…“

Der Greis wurde durch erstaunte Ausrufe seitens Witlund in der Rede unterbrochen.

1872!… Und jetzt schreiben wir 2048 nach christlicher Zeitenrechnung… Mann! dann besäßt Du ja ein Alter von 176 Jahren?“ rief Olaf aus […].« [sic!]

Titelbild: Das neue Natur-Heilverfahren, 1926 Repro K. U. Baum

Der Greis war nicht nur zwei Köpfe größer als die Besatzung, sondern hatte durchaus eine kräftige vitale Figur, wie eine farbige Abbildung zeigte. Bilz bringt in der Figur des Kapitäns Witlund seine teils anthroposophische Weltanschauung zum Ausdruck, während der Greis die nach Bilz veralteten Ansichten vertritt, aber durch asketische Lebensweise zu einem hohen Alter gelangte. Der Roman spiegelt Bilz moralisierende Ansichten und Zukunftsvorstellungen, die sich in seitenlangen Traktaten und Vorträgen erschöpfen. Dabei handelt er alles ab, was ihm wichtig erscheint, von Verhütung von Krankheiten, freier Liebe, Kindererziehung, Arbeitsstätten im Naturstaat bis zum Weltfrieden. Am Ende des 1.130 Seiten umfassenden Werkes, dessen Fäden nur locker geknüpft sind, findet man bei einem Verbrüderungsfest des Erdenvolkes mit dem Marsvolk den nunmehr 181-jährigen Urgreis als „Senior des neuen ,Greisenbundes‘“ wieder.

In den durchaus ausufernden und locker hingeworfenen Texten scheinen sich Friedrich Eduard Bilz und Karl May vermutlich getroffen zu haben. Allerdings konnte May die Herausgabe des Bilz’schen Werkes nicht mehr erleben. Ein Zurück zur Natur, wie es sein Freund Bilz konsequent vertrat, hätte ihm möglicherweise das Leben gerettet, war er doch bereits 1912 an einer Schwermetallvergiftung verstorben, die er sich durch den langen Genuss von Trinkwasser aus Bleirohren zugezogen haben soll. Auch wenn Bilz‘ literarisches Werk eher „ungenießbar“ ist, spiegelt es doch seine Ansichten und Vorstellungen von der Zukunft der Menschen wieder. Dieses Jahr wären Bilz und May 180 Jahre alt geworden.

Karl Uwe Baum

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