Alter Knochen?

Interview mit einem Achtzigjährigen

Am 30. Dezember 2024 wurde der Wahlradebeuler Karl Uwe Baum in trauter Runde achtzig Jahre alt. In den letzen 30 Jahren zog er zwar seine Kreise in der Lößnitzstadt, aber den größten Teil seines Lebens hat er woanders verbracht. Einige Bewohner durfte er kennenlernen. Den Meisten aber ist er bisher nicht begegnet. Und weil er nun zu den 2,9 Prozent der Einwohner der Bundesrepublik gehört, die diese Altersgrenze übersprungen haben, will die Redaktion von Vorschau & Rückblick ihm heute etwas mehr auf den Zahn fühlen als sonst.

Apropos, wie fühlt man sich mit Achtzig?
Mit Achtzig soll man ja zum „alten Eisen“ gehören, oder doch zumindest zu dieser „seltenen Rasse“ in der Bundesrepublik, wie gerade erwähnt. Diese abstrakte Zahl aber fühlt sich überhaupt nicht an.

Aber Du bist doch zweifelsfrei kein „Spring-ins-Feld“ mehr, wie mit 18 Jahren?
Natürlich nicht! Es zwickt und zwackt hinten und vorn. Aber das hatte es auch schon früher. Es ist nicht gelogen, wenn ich sage, dass ich bisher sieben Mal von der berühmten „Schippe“ gesprungen bin. Das fing gleich am Ende des ersten Jahres nach meiner Geburt an und das vorläufig letzte Mal glückte mir die Nummer 2008. Seitdem warte ich auf den Abruf. Man lässt sich Zeit. Ich habe nichts dagegen.

Karl Uwe Baum noch unbeleckt vom wirklichen Leben

Das Auffälligste an Dir ist deine schwarze Kleidung. Hat das was zu bedeuten?
Danke! Ich hoffe, dass ich noch mehr zu bieten habe. Aber das muss mein Gegenüber schon selbst herausfinden. Stimmt schon, in dieser Sache werde ich immer mal schief angeschaut. Die einfache Erklärung ist: alle Teile passen wunderbar zusammen. Die „bunte Knete“ wird im Hirnkasten versteckt und nur gelegentlich herausgelassen, beispielsweise, wenn ich mal wieder einen Betrag für Vorschau & Rückblick schreiben darf.

Und nun kommt die philosophische Erklärung: angeregt dazu hat mich 1995 Heiner Müller. Da habe ich erstmals über das Wesentliche im Leben nachgedacht. Was man braucht, um zum Grund der Dinge vorzustoßen. Seit dem versuche ich mich vom Ballast der Industrie- und Konsumgesellschaft zu befreien. Es gelingt mir leider nur ungenügend.

Du lebst also spartanisch?
Was ist denn das?! Müller hat für sein Dasein immer eine Flasche Whisky gebraucht. Insofern lebe ich spartanisch. Ich besitze aber zum Beispiel ein Auto und auf dem Boden stapeln sich Kisten aus meinem vorherigen Leben. Das mag auch mit dem Geburtsjahr zusammenhängen. Die Älteren werden es kennen. Diese Jahrgänge haben eine Ehrfurcht vor den Dingen. Sie werfen nicht gern etwas weg, was man noch gebrauchen könnte. Zum Beispiel Holz. Da habe ich noch Material aus den 1970er, 1980er Jahren. Sicher, so eine Haltung passt nicht in die heutige Zeit. Das aber ist mir reichlich schnuppe.

Du hast angedeutet, dass du nicht schon immer in Radebeul lebst?
Ja ich weiß schon, um Radebeuler zu sein, muss man hier geschlüpft sein. Damit ist in Bälde sowieso Schluss. Die wenigen Hausgeburten retten die Stadt auch nicht mehr. In einigen Jahren kann der Ort getrost in die Landeshauptstadt eingemeindet werden, denn dann wohnen hier mehr in Dresden Geborene als echte Radebeuler.

Bisher war ich in ganz unterschiedlichen Milieus zu Hause. Im Wald hatten wir einen Kramerladen, wo die Butter neben den Kohlenanzünder lag. Sonst, außer frische Lust, nichts. Der Umzug in die Wallstraße in Dresden, nahe dem Postplatz, war für mich natürlich ein gewaltiger Zivilisationsschock. Mit der Beschaulichkeit war es da erst mal vorbei. Als ich schließlich 1998 nach Radebeul wechselte, ahnte ich nicht, dass ich wieder in der Provinz landen würde. Die Stadt wirkte damals auf mich wie eine Auster. Wenn ich da nicht schon meine Partnerin gehabt hätte, wäre ich vielleicht noch heute ein Außenstehender. Karin war für mich wie ein Türöffner.

Der Jubilar im gereiften Alter

Eigentlich kennen wir Dich nur als Rentner. Hast du auch mal was anders gemacht?
Doch, ich war mal Säugling und Schüler von der 1. bis zur 8. Klasse! Dann wurde mir das zu dumm – oder anders herum? – und ich bin zum Bau gegangen. Habs da aber nicht lange ausgehalten. Immerhin hatte dann die Kanonierslaufbahn, die sich daran anschloss, mir mein bisher höchstes Körpergewicht beschert. Leider beendete später ein Krankenhausdirektor meine so hoffnungsvoll begonnene Kraftfahrerkariere 1967 schon nach wenigen Monaten. Aber trotzdem bin ich in der Branche hängen geblieben. Zu Direktoren habe ich allerdings von da an ein gestörtes Verhältnis. Aber Rentner war bisher der beste Job, den ich je angenommen habe.

Gescheiterte Existenz oder kommt da noch mal was?
Eigentlich nicht. Als Mauerer, Krankenpfleger und Stationsleiter habe ich staatliche Abschlüsse und mit dem Ökulei (Ökonomisch-kultureller Leistungsvergleich) Ende der 1960er Jahre bin ich auch in die kulturelle Freizeitbeschäftigung eingeschwenkt und habe mich ab 1976 in verschiedenen Theatergruppen ausprobiert. In Leipzig an der Spezialschule für Leiter des künstlerischen Volkskunstschaffens, qualifizierte ich mich dann 1988 in einem zweijährigen Studium im Fach „Amateurtheater“ zum Leiter von Theatergruppen. Als schließlich alles ganz anders wurde und ein Landesverband gebraucht wurde, habe ich mit anderen Enthusiasten die Organisation aufgebaut und geleitet.

Wie war das mit der Vermehrung?
Du willst doch jetzt nicht etwa Details wissen? Auch braucht sich keiner einbilden, dass ich mein Bankgeheimnis in Vorschau & Rückblick abdrucken lasse. Nachwuchs, ja den gibt es, aber nicht in Radebeul. Alles muss nicht in die Welt posaunt werden.

Man sieht dich immer mit einer schwarz gekleideten Frau…
Das habe ich gewusst! Da hat mich schon einmal ein hiesiger Direktor (!) angemacht, als ob ich nicht frei laufen könnte. Ich darf ganz alleine bis nach Berlin fahren – manchmal.

In Altkö-Kreisen hat man uns gar einen Spitznamen verpasst. Den lasse ich aber jetzt nicht gucken.

Stimmt, über Beziehungen haben wir ja noch gar nicht gesprochen. Es sind nun schon fasst 30 Jahre her, als eine mitleidige Person aus Radebeul mich und den Inhalt eines Möbelwagens aufnahm. Die Müllerschen Erkenntnisse waren damals bei mir noch nicht zur vollen Reife gelangt. Auch so ein Zufall, der meinem Leben eine jähe Wende gab. Ich finde es als sehr angenehm, wenn sich die Interessen der Partner auf vielen Gebieten decken. Man entwickelt so ein größeres Verständnis füreinander.

Aber vorher, da muss doch auch etwas gewesen sein.
Muss es?! – Ja sicher, da gab es große und kleine Geschichten. Man hat Fehler gemacht und manchmal auch keine. Da wechselten die Orte und Personen. Einmal verlief das Leben wie in einer Einsiedelei, und ein andermal quietschte die Straßenbahn noch nachts um Halbzwei vor der Haustür. All das liegt 40 Jahre zurück. Es muss nicht mehr hervorgeholt werden. Ich bin kein Freudianer. Sicher muss man auch einmal zurückschauen. Aber morgen, morgen ist auch noch ein Tag…

Das greife ich doch gern am Schluss noch auf. Was willst du morgen anstellen?
Das weiß ich doch heute noch nicht. Eventuell mal das machen, was meine Frau sagt. Aber sonst besitze ich schon noch die Hoheit über mich selbst. Aber vielleicht sollte ich mal was für die Meinen tun: Lebensgeschichte aufschreiben für Tochter und Gattin. Die kennen mich ja nur zur Hälfte.

Nun, da hast du sicher viel zu tun. Da will ich dich nicht davon abhalten. Vielen Dank.

Das Gespräch für die Vorschau & Rückblick führte Sascha Graedtke.

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