Warum blitzt es am Himmel?
Gespenstig fand ich jene Nacht, als unsere Mutter mich im Februar 1945 auf ihr Fahrrad setzte und uns Kindern hastig mitteilte, wir müssen schnell zu den Großeltern, fragt nicht so viel. Ich hielt mich krampfhaft am eiskalten Fahrradsattel fest, derweil Mutter mit verrutschten Kopftuch und meine Schwester Traudl schnell auf dem Bischofsweg nebenher liefen.
Mit knapp fünf Jahren war ich erstaunt über die Feuerblitze, die wie Christbäume aussahen. Es waren die unzähligen Bomben, die Dresden, die Kunststadt Europas in Schutt und Asche legten.
In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar erfolgte auf das rund 630 000 Einwohner zählende Dresden einer der verheerenden Luftangriffe auf Dresden.
Wir strebten zügig dem Haus in Zitzschewig unterhalb der Weinberge zu. Meine ältere Schwester Traudl schluchzte und fragte immer wieder nach unserem Vater, aber der war, wie eben alle Männer im Krieg, weit weg. Wiedergesehen habe wir ihn nicht mehr. Er wurde am 3. März 1945 beim Rückzug unweit des Westwalles von einem amerikanischen Tiefflieger getroffen und verblutete in einer kleinen Eifler Dorfschule. Die Sanitäter waren einen Tag vor her abgezogen wurden.
Die Großeltern beherbergten an diesem Abend mehrere Töchter mit ihren Kindern. Großvater hatte auf einem Leiterwagen Decken und Proviant gepackt. Die kleinsten Enkelkinder, so auch ich, wurden obenauf gesetzt.
Schweigend verließen wir das Grundstück. Unsere Großmutter ließ keine Sentimentalitäten aufkommen und mahnte uns still zu sein. Eilig ging es in die nahe gelegene Johanneskapelle, wo unser Großvater, Oswald Keller, über Jahre hinweg in kirchlichen Diensten stand. Stille umgab uns, doch warteten schon andere, ebenso ängstlich gestimmte Menschen auf uns. Darunter Frauen, Kinder und ältere Männer. Unser Großvater teilte alle in die Bänke ein und fing mehrmals an zu beten und viele schlossen sich dem an. Er versuchte besonders die Kinder mit exakt formulierten Anweisungen in der Dunkelheit ruhig zu halten.
Bei Besuchen in meiner alten Heimat erinnerte ich mich mehrmals daran beim Anblick der großen Kirchenfenster, die in der Schicksalsnacht innen mit Holzplatten verdunkelt waren. Unsere liebe Mutter nahm uns etwas von der Angst, wenn das Grollen und Zischen zu stark wurde und uns Schwestern, neun und nahezu fünf Jahre alt, fest an sich drückte. Irgendwann muss ich in dieser langen Nacht eingeschlafen sein. Der Proviant, wie Mutter Jahre später erzählte, wurde nicht angerührt.
Im Sommer desselben Jahres lud ein Tante in Blasewitz ihre Schwester und uns zur Hühnersuppe ein. Wir kamen nach mehrmaligen Umsteigen und zeitweiligen Laufen, verspätet an. Tante Marie musste uns allen erstmal Kräutertee kochen. Uns war es übel, wovon wussten wir Kinder nicht, wohl die Erwachsenen und die schwiegen auf unsere Fragen nach dem süßlichen, unbekannten Geruch. Noch heute, nach 80 Jahren sind diese Kindheitserlebnisse in den bewussten Februartagen des Jahres 1945 besonders lebendig.
Felicitas Schulz