Der Februar – Kinderfaschingsallotria

Soweit es das Winterwetter zuließ, waren wir bis zum Anbruch der Dunkelheit mit Schiern und Schlitten draußen. Mit tut heute noch unsere gute Martha, Haus- und Küchengehilfin im „Weißen Roß“ leid, die irgendwie unsere klatschnassen Sachen wieder trocken kriegen musste.

Bis zum Abendbrot saßen wir Kinder oft in der Kinderstube um Tante Emma herum, die unermüdlich vorlesen musste. Unsere Tante Emma war die jüngere Schwester von Oma Anna. Früh verwitwet – Onkel Hanns Rößler verstarb an den Folgen des ersten Weltkrieges (nasse Schützengräben). Sie lebte im „Weißen Roß“ und war der gute Geist des Hauses. Sie machte Buffetdienst, schälte unheimlich schnell Kartoffeln in großen Ringeln (täglich fielen zwei große Wassereimer voll an) und beschäftigte uns Kinder. Zunächst las sie Märchen der Gebrüder Grimm und aus dem goldenen Märchenbuch von Andersen vor. Von manchen Märchen kriegten wir einfach nicht genug. Als wir älter wurden, ging sie zu Robinson Crusoe und dem schwarzen Bento über. Ich bewundere noch heute ihre Geduld und Ausdauer beim Vorlesen, wenn sie auch manchmal sagte, ihr fehle die Spucke.

Älteste bildliche Darstellung vom »Weißen Roß«, um 1800


Wir spielten natürlich alles Gehörte mit unseren Holzbaukästen und den Holztieren nach. Im Sommer wurde die Siegfriedsage im Garten gespielt, wobei der Fliederwald als Odenwald fungierte. Eine in die Erde eingegrabene ausrangierte Bratpfanne voller Regenwasser war der Quell, an dem Siegfried sterben musste.

Es war auch Tante Emma, die uns das Vaterunser lehrte, als sie fand, dass wir für unsere Kindergebetchen allmählich zu groß geworden waren.

Der Höhepunkt für uns Kinder im Februar war natürlich der Faschingsdienstag. Mit den Kostümchen wurde nicht soviel Ruß gemacht. An den ersten Faschingsdienstag, an den ich mich erinnern kann, ging ich als Eierfrau in einem großen Umschlagtuch und den Korb mit den Toneiern an den Arm gehängt. Dann ging ich als Seppl mit Trachtenhut und Wolfgangs Sepplhose, die mir in den Kniekehlen hing. Später nähte mir unsere gute Wo, eine Freundin von Muttel, die ihr in der Arbeitslosenzeit beistand, ein wunderschönes Rotkäppchenkostüm, das ich zweimal anhatte, dann war es leider ausgewachsen. Wolfgang und die anderen Jungs gingen als Indianer. Heyls Inge habe ich als Spanierin in Erinnerung und Heyls Erika als Holländerin. Am Fastnachtsdienstag zogen alle Kinder der Umgebung erstmal auf der Straße herum. Wir beguckten uns gegenseitig unsere Kostüme und die Jungens knallten wie verrückt mit ihren Zündblättelpistolen, sodass wir Mädchen uns dauernd die Ohren zuhielten. Einmal hatte Vielhauer Siggis Mutter sein Gesicht mit Kakao eingerieben, da sah er echt wie eine Rothaut aus. Das Entfernen aber machte große Mühe, trotz Seife und Creme, und noch tagelang schimmerte sein Gesicht in zartem Rotton. Herr Vielhauer war Hausmeister in der Gewerbeschule Criegernstraße, auf ihn komme ich noch zurück. Es war eine kinderfreundliche Zeit, drei bis vier Geschwister konnte ein Elternpaar ohne weiters aufziehen. Einzelkinder gab es wenig und galten für uns als supervornehm.

Kinderfasching im Innenhof


Nachmittags ging es dann zum Kinderfasching zu Heyls hinüber. Heyls hatten eine Gärtnerei auf dem heutigen Gelände von Auto-Gommlich. Frau Heyl hatte unheimlich viel los mit der Ausgestaltung derartiger Feiern. Die ganze Wohnstube war kreuz und quer mit Girlanden bespannt und in der Ecke hing ein riesiger gelber Mond. Der Wellensittichkäfig, der sonst auf dem Vertiko stand, war bereits in Sicherheit gebracht worden, denn leider hatte einmal der grüne Sittich samt seinem Käfig durch uns Dösen (Toben) einen unfreiwilligen Abgang nach unten machen müssen. Es war ihm aber nichts geschehen. Und hier muss ich auch gleich mal die gute Oma Günther erwähnen. Sie war immer liebevoll zu uns Kindern und schimpfte auch nicht, wenn wir hin und wieder mal gar zu verrückt spielten. Da die Küche nebenan war, steckte sie nur den Kopf durch die Tür und – ich habe den Klang ihrer Stimme noch heute im Ohr – sagte lediglich: „Nu, deest nur ni so…“

Durch unser draußen Herumziehen hatten wir natürlich ganz schön Hunger bekommen und stürzten uns wie wild auf die traditionellen Pfannkuchen. Ein mit Senf gefüllter Pfannkuchen wurde von Frau Heyl geschickt auf Wolfgangs Teller lanciert. Der biß herzhaft hinein und spuckte alles auf die schöne Luftschlangengarnierung wieder hinaus. Nach Kakao und Pfannkuchen wurden sämtliche Pfänderspiele und anderes durchgespielt, wobei es auch kleine Preise zu gewinnen gab. Beim Topfschlagen lag für jeden etwas unter dem mißhandelten Topf. „Ringlein, Ringlein, du musst wandern“, „Blinde Kuh“, „Hänschen piep einmal“ und „Schnelle Post“ waren einige unserer Kinderspiele. Zum Abendbrot war Fleischsalat-Wettessen angesagt. Da war Wolfgang unschlagbar. Nie wieder hat mir italienischer Salat, so wurde der Fleischsalat genannt, so gut geschmeckt wie damals. Da war Mayonnaise noch nicht der Hauptanteil. Für den Obstsaft hatte jedes Kind immer sein Glas in einer bestimmten Farbe. Meins war grün, Wolfgang seins rubinrot. Beim Austrinken rutschte ihn einmal eine schwarze gläserne Spinne entgegen, wieder ein kleiner Spaß von Frau Heyl. Wolfgang beherrschte sich aber und sein Glas blieb ganz. Bei uns Mädchen hätte es sicher Scherben gegeben.

Todmüde verschwanden wir dann ohne „Tritt Marsch“ (Vaterns Worte) in unsere Betten, murmelten mit Muttel noch unser Abendgebet und schliefen sofort fest ein.

Das war der Februar in meiner Kinderzeit.

Christa Stenze/ Christian Grün

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