WEINGUT HAUS KYNAST
Man sollte sich dem „Kynast“ als Wanderer nähern, also mit der Straßenbahn fahren und in Zitzschewig an der Gerhardt-Hauptmann-Straße aussteigen. So kann man sich an der Krapenburg, die in neuem Glanz erstrahlt, erfreuen und läßt sich von der langen Natursteinmauer, die die Reben-Versuchsstation begrenzt, direkt zum „Kynast“ führen. Der Weg ist sozusagen die Ouvertüre für das Erlebnis des ehemaligen Weingutes Haus Kynast. Übrigens empfiehlt sich das Laufen auch deshalb, weil man im engen Kynastweg große Mühe haben wird, sein Auto zu parken.
Man betritt das Grundstück, von Süden her kommend, durch ein zweiflügliges, schmiedeeisernes Tor, eine solide Arbeit aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ginge man den Kynastweg weiter bergauf, käme man zunächst zur kleinen Pforte, ebenfalls mit Eisengittertor, und am Ende der zum Kynast gehörenden Gebäude zur Durchfahrt neben der oberen Linde. Zum Betreten des Grundstücks – es ist Privatbesitz und kein Museum – wäre zu sagen: Man sollte einer oder einem Anwesenden erklären, warum man das Grundstück ansehen möchte, und man sollte die Ruhe, die dem Charakter des Grundstücks entspricht, wahren.
Nach Durchschreiten des großen Eisentores werden wir zunächst vom Park begrüßt. An einem heißen Sommertag mit 30 Grad und mehr, wie er ja vergangenes Jahr keine Seltenheit war, wird man sich im Schatten einer weit ausladenden Blutbuche niederlassen. Dann nimmt man die anderen Bäume des kleinen Parkes wahr: mehrere große Eßkastanien, von denen eine über 300 Jahre alt sein soll, eine Gruppe von Robinien, daneben ein wieder freigelegtes rundes Bassin. Die Wiese wird nördlich von einer Stützmauer begrenzt, der eine wesentliche Funktion der Gliederung von Park, Hof und Weinberg zukommt. Am Rande der Stützmauer, dicht neben Radebeuls ältester Eßkastanie, finden wir eine Grotte, wie sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts häufig in Parks zu finden war. Zwischen Büschen, die die Wiese flankieren, befinden sich eine Sonnenuhr und eine kleine Plastik. Vom Park aus erkennen wir schon das größte Gebäude, das sogenannte Herrenhaus, das von einem stattlichen Walmdach mit z.T. zwei Gaupenreitern abgeschlossen wird.
Auf dem Hauptweg weiterlaufend, erreichen wir den Hof mit einer Linde. Um ihn gruppieren sich etwa in Dreiecksform alle zum ehemaligen Weingut Kynast gehörenden Gebäude: das schon erwähnte Herrenhaus, in dessen nördlichem Teil früher der Preßraum war, das Turmhaus, das Gärtnerhaus, das Winzerhaus mit Scheune und Durchfahrt, ein ein- und ein zweigeschossiger Schuppen mit Lattenwerk sowie das sogenannte Wasch- oder Badehaus. Beim Betrachten des Ensembles von Gebäuden aus unterschiedlichen Bauepochen fällt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Grundhof an der Paradiesstraße auf.
Erwähnungen einzelner Mitglieder der Kynast-Familie seit dem 14. Jahrhundert können wohl mit dem Grundstück, aber kaum mit den Gebäuden in ihrer heutigen Form in Zusammenhang gebracht werden. Selbst ein vom Amtsschösser Andreas Kynast 1578 (auf diese Zahl wird mehrfach im Grundstück Bezug genommen) hier erbautes Gebäude dürfte nur zum Teil mit dem Herrenhaus identisch sein. Seine Architektur deutet eher auf eine Erbauung oder einen Umbau in der 2.Hälfte des 17. Jahrhunderts hin. (Der Chronist Lilie nennt das Jahr 1674 für die Erbauung des Herrenhauses unter Gabriel Voigt, Bergrath und geheimer Kammersekretär). Das zweigeschossige Herrenhaus hat einen bemerkenswert großen Weinkeller, ein Ianggestrecktes Sandstein-Tonnengewölbe. Etwa um die letzte Jahrhundertwende erfolgte im Inneren ein Umbau im “altdeutschen Stil“, insbesondere Diele und Treppenhaus. Auf den Besitzer Bergrat Hilger, der den Kynast 1927 erwarb, weist eine gußeiserne Platte von 1934 hin, die an dem massiven Eingangsvorbau angebracht wurde.
Das zweitälteste Gebäude des Ensembles dürfte nach meiner Auffassung das Winzerhaus mit Durchfahrt und Scheune, ein Fachwerkbau um 1700, sein. Die Familien Muth, die seit 1990 ihre Rechte und Pflichten als Eigentümer wieder wahrnehmen können, begannen 1991 mit Umbau und lnstandsetzung des Winzerhauses zu Wohnzwecken.
Das kleine, an der Stützmauer gelegene Bade- und Waschhaus, stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 1724, Es zeigt einfache barocke Formen, hat aber den kritischsten Bauzustand.
Als nächstes Gebäude in der Chronologie folgt das Turmhaus. Es soll als Ruhesitz für Postmeister Blüher aus Tharandt Ende des 18. Jahrhunderts erbaut worden sein. Eine genauere Datierung verspräche ich mir von einer Betrachtung der schüsselförmigen Glocken im Turm, der mir aber noch nicht zugänglich war.
Das daneben befindliche Gärtnerhaus wurde nach Abbruch eines älteren Stalles 1845 erbaut. Außer einer Remise hat es einen Stall mit schönen Kreuzgewölben und im Keller zwei kleine Tonnengewölbe. Das Gärtnerhaus wurde 1993/94 rekonstruiert und dient ebenfalls Wohnzwecken. Die unterschiedlichen Entstehungszeiten beider bisher rekonstruierter Häuser sollen jeweils andere Farbfassungen unterstreichen, Bei fortschreitender Rekonstruktion wird man für die anderen Gebäude stilistisch passende Farben, wenn möglich nach älteren Befunden, festlegen müssen. Die gesamte Anlage umfaßt z.Z. verpachtete Weinberge, Waldstücke und alte Brunnenfassungen am Langenbergweg. Es wäre interessant, das Bergwasser aus diesem Brunnen wieder zum Kynast zu leiten. Es könnte einen Sandsteintrog im Hof oder das erwähnte runde Becken im Park speisen oder als Brauchwasser dienen.
Anders als im Grundhof, wo mehrere Generationen Maler lebten, spielten im Kynast zwei Bewohner der schreibenden Zunft eine gewisse Rolle. Um 1830 ließ sich Oberst Karl August Friedrich von Witzleben (u.a. Schlacht bei Jena 1813) hier nieder und veröffentlichte unter dem Pseudonym A. von Tromlitz verschiedene Novellen und Erzählungen. Er starb aber schon 1839. Nach 1945 lebte die Schriftstellerin Maria Marschall Solbrig (geb. 1897 – gest. 1979) auf dem Kynast Von ihr sind besonders lyrische, aber auch engagierte Gedichte in Erinnerung geblieben. Sie war Bibliothekarin und auch als Kommunalpolitikerin in Radebeul tätig gewesen. Bei all dem Notierenswerten blieben eine Reihe von Ungewißheiten und Annahmen zur Baugeschichte – ein reiches Feld für einen Architektur-Studenten als Baugeschichtsarbeit, will mir scheinen.
Ehe der Wanderer den Kynast verläßt, empfiehlt sich ein Blick vom oder über den Kynast auf das weite Elbtal von Radebeul und Coswig. Mit etwas Glück sind die Türme des Meißner Domes am Horizont zu erkennen. Und diese erinnern den Besucher, daß er doch nicht in Umbrien oder der Toscana, sondern in der Lößnitz weilt.
Dietrich Lohse