Sie liegt an der Kötitzer Straße – als „Nähmatag“ wohl eher bekannt. Die1870/71 einsetzende wirtschaftliche Entwicklung bewirkte in vielen Gemeinden strukturelle Veränderungen. auch die Lößnitzgemeinden konnten sich diesen nicht entziehen. Es war jedoch zu entscheiden, welches Gelände für die Ansiedlung der Industrie zur Verfugung gestellt werden könne. Radebeuls Gemeinderat legte 1872 dafür das Gebiet zwischen der Bahnlinie und der Meißner Straße fest. Bald danach erwarb die Fa. Gebrüder Ziller „Fabrikbauplätze“ und errichtete als erstes einen Bau fur die Fa. Thoenes. In Serkowitz entstand eine Farbenfabrik. Naundorf fasste erst 1907 den Beschluß zur Bebauung des südöstlichen Geländes mit Fabriken, Bahnanschlüssen usw. Kötzschenbroda genehmigte die Bebauung zwischen Kötitzer und Fabrikstraße, wo sich die Lehrngruben und Ziegeleien befanden. 1892 entstand an der Fabrikstraße das Gaswerk Kötzschenbroda. Hier befinden sich noch heute das Hochspannungs-Armaturenwerk, die Verzinkerei und die(gewesene) Nähmatag. Was hier gefertigt wurde‘ dürfte allgemein wenig bekannt sein. Schlagen wir einmal in Akten und Zeitungen nach.Sie gehörte früher zu den bedeutendsten Betrieben unserer Stadt. Eine Fabrik für Nähmaschinenteile war 1868 in Dresden gegründet worden. Die Fabrikation von Nähmaschinen war zu dieser Zeit noch recht jung. Erste erfolgreiche Versuche, die mühevolle Handarbeit durch maschinelles Nähen zu ersetzen, gehen auf das Jahr 1800 zurück. Leistungsfähige Maschinen kamen nach 1845 auf, Firnen wie Pfaff und Singer entwickelten sie weiter. Die Anforderungen an die Teilefertigung stiegen rasch. Zur Erweiterung der Dresdner Produktionsstätte erwarb ihr Besitzer, Konsul Schmidt 1896 die ältere Höppner‘sche Ziegelei. Die alten Ziegeleigebäude wurden abgerissen, die Esse durch Pioniere gesprengt. 1898 konnte die neue Fabrik für die Schiffchenproduktion von Dresden nach Kötzschenbroda verlegt werden. Sie war auf das Modernste eingerichtet. In den Haupt- und Nebensälen standen 300 verschiedene Werkzeugmaschinen, zum Teil hochinteressante amerikanische Systeme, auf denen mit eigens dazu hergestellten Spezialvorrichtungen die verschiedensten Arten und Größen von Schiffchen hergestellt werden konnten. Ferner gab es zwei starke Friktionspressen mit einem Druck von 40.000 bis 50.000 kp zum Pressen der genauen Form der Schiffchen. Diese wurden mit Fallhämmern aus Stahlstangen geschmiedet. Zwanzig automatische Revolverdrehbänke dienten sowohl der Fertigung kleinster Schräubchen wie auch der größten Schiffchen. Im ersten Stockwerk befand sich die Federstanzerei und die Sammlung der Stanzeinrichtungen, außerdem die Schleiferei, Zusammensetzung (Montage) und Justiererei. Immerhin waren 1100 verschiedene Schiffchen für die verschiedensten Arten und Größen der Nähmaschinen zu fertigen, für Haushalt- Gewerbe- und Industriemaschinen, für Doppelsteppstich und Kettenstich. 1909 soll die Fabrik das größte industrielle Unternehmen in den Lößnitzgemeinden gewesen sein. 1908 hatte sie der König Friedrich August durch seinen Besuch geehrt. Die allgemein „Schiffchenfabrik“ genannte Firma entwickelte sich bald zu einem weltweit bekannten Spezialbetrieb für höchste Präzisionsteile, die der Nähmaschinenindustrie eng verbunden war. 1936 sollen ca. 1000 Arbeiter hier beschäftigt gewesen sein. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die „Nähmatag“ zum volkseigenen Betrieb, kam nach der Wende in den Besitz der Treuhand und wurde 1990 geschlossen. Nun, fünf Jahre später, sind die Gebäude in einem erschreckenden Zustand. Scheinen sie an der Kötitzer Straße noch ziemlich in Ordnung, an der Fabrikstraße bieten zerschlagene Fensterscheiben, heruntergerissene Gardinen, verrostende Rohre usw. einen traurigen Anblick. Wie lange noch?
Lieselotte Schließer