Niederlößnitz, wohin gehst du?!

Ist diese Zeichensetzung in der deutschen Sprache überhaupt zulässig – ein Fragezeichen und gleich darauf ein Ausrufezeichen? Ich denke ja, nämlich in den Fällen, wo es sich um eine Frage handelt, aber der Zeitpunkt, eine Frage zu stellen, fast schon zu spät ist.
Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, dass ich in V&R 09/18 einen Artikel über Niederlößnitz geschrieben habe, der durchaus Anerkennung bei Lesern und Leserinnen gefunden hatte. Wenn ich da festgestellt habe, dass der städtebauliche Charakter dieses Stadtteils sich erfreulicherweise bis 2018 gut erhalten hat, relativ locker bebaut und gut durchgrünt ist, also fast wie eine Gartenstadt wirkt und dadurch auch liebens- und lebenswert ist, muss ich meine damals geäußerte Meinung wohl nun ändern. In diesen zwei Jahren haben in einem gedachten Umkreis von etwa 250m um den Rosa-Luxemburg-Platz auffällig viele Abbruchfirmen gut verdient, d.h., viele Wohnhäuser sind abgerissen worden. Und der eine, von vielen Anwohnern gewünschte Abbruch – die nicht mehr betriebene Kaufhalle am Rosa-Luxemburg-Platz – fand nicht statt! Dafür hat das neuerdings da betriebene Büro, das wahrscheinlich keiner der Anwohner braucht, eine tolle, nachts rot leuchtende Werbeanlage bekommen. Die hier entstandenen, bzw. entstehenden Neubauten sind, was den Entwurf betrifft, von unterschiedlicher Qualität und Größe, so dass sich das gewohnte Stadtbild von Niederlößnitz geändert hat und wohl weiter ändern wird. Die Abbrüche betreffen meines Wissens zwar keine Kulturdenkmale – aber wenn denn, mal hypothetisch gesprochen, nur noch die Denkmale stehen blieben, wäre der Charakter von Niederlößnitz so auch nicht mehr zu retten. Die abgerissenen Wohnhäuser hatten ein Baualter von ca. 120 bis 150 Jahren und z.T. im Leerstand, aber keine Ruinen. Hätte man denn nicht mit gutem Willen auch ein paar sanieren, modernisieren und für neuzeitliches Wohnen herrichten können? Nein, es muss wohl immer etwas Neues sein!

Foto: D. Lohse

Viele von diesen Grundstücken werden an Zugezogene oder Kapitalanleger, die vielleicht nie Radebeul sehen werden, verkauft und so entstehen hier Haustypen und Wohnideen, die in Niederlößnitz erst mal fremd und ungewohnt erscheinen. Aber von Zeit zu Zeit scheinen sich auch weit hergeholte Bautypen manchmal hier einzubürgern, ich denke nur an die Schweizerhäuser, die, zuerst argwöhnisch betrachtet, inzwischen ein Stück von Radebeul geworden sind. Man muss also vorsichtig sein mit einem allzu schnellen Urteil.
Und wie ist das mit den Gärten? Oft zielten die 800-1000m² großen alten Radebeuler Gärten mit Obstbäumen, einem Nussbaum, einer Linde, mit Obststräuchern, Gemüse, Flieder und ein paar Blumen auf weitestgehende Selbstversorgung und ein bisschen Erholung ab – heute ist das eher umgekehrt, nun wünscht man sich mehr Erholung. Da spielt dann bald auch Geld eine Rolle. Durch die relativ hohen Grundstückspreise, möchte in den meisten Fällen das, was man drauf baut, sich auch rechnen. An Stelle des älteren Landhauses, im Prinzip ein Einfamilienhaus, kommt ein reichlich doppelt so großer Neubau, zwei Häuser oder ein Doppelhaus. Wenn ein großes, altes Grundstück neu bebaut werden soll und die mögliche Größe des neuen Hauses allein über die einzuhaltenden Abstandsflächen errechnet wird, kommen dann Gebäude heraus, die die gewohnten Niederlößnitzer Verhältnisse sprengen. Und in den meisten Fällen ist die Mitwirkung von Maklern und Bauträgern von Nöten, die wollen ja schließlich auch noch was verdienen. Also ganz schlechte Zeiten für Buschbohnen, Radieschen, Astern und Co., das kriegt man doch im Supermarkt sowieso viel günstiger. Das ist nicht meine Art zu denken, aber sie ist doch schon recht weit verbreitet und erklärt zum Teil die aktuelle städtebauliche Entwicklung der Stadtteile Ober- und Niederlößnitz – der Charakter einer Villen- oder Gartenstadt verschwindet so zusehends.

Foto: D. Lohse

Aber was kann man dagegen machen? Leider nicht viel. Man kann davon ausgehen, dass die entstehenden Neubauten alle eine Baugenehmigung von der Stadtverwaltung bekommen haben. Die wesentliche Rechtsgrundlage ist § 34 BauGB (Baugsetzbuch), ein „grobmaschiges Netz“ mit dem Ziel der Bauförderung. In der Stadtverwaltung werden gelegentlich B-Päne (Bebauungspläne) festgesetzt, die könnten aber nur kleinere Bereiche und nicht einen ganzen Stadtteil wie Niederlößnitz betreffen. Wenn man Baukultur, hier also die Erhaltung der Besiedlungsstruktur von Niederlößnitz, erreichen will, braucht man ein „feinmaschigeres Netz“, das neben o.g. § 34 zur Wirkung kommen muss. Das städtebauliche Instrument wäre eine Erhaltungssatzung, über die mit der Stadtverwaltung in diesem Jahr schon gesprochen wurde (Auslöser waren die Diskussionen und Zeitungsmeldungen zu zwei Neubauten in Oberlößnitz), ich weiß aber nicht, ob die Satzung schon da ist und angewendet werden kann. In den mittleren 90er Jahren gab es schon mal Bemühungen, eine solche Satzung zu beschließen, die Sache kam damals aber leider, wenn ich mich richtig erinnere, nicht durch die politischen Ausschüsse. Außer dem rechtlichen Hintergrund gehört natürlich noch dazu, dass die Mitarbeiter der Stadtplanung die jeweiligen Antragsteller beraten sollten, da kann man hinsichtlich Charakter und Einfügung eventuell auch noch was erreichen. Gäbe es da noch Reserven? Ich kann von hier aus also nur an die Fachleute der Bauaufsichtsbehörde und der Stadtplanung appellieren, bei neuen Bauanträgen alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um die charmante städtebauliche Eigenart von Niederlößnitz besser zu erhalten. Aber wenn dann in manchen Fällen vom Antragsteller Anwälte hinzugezogen werden, werden die sich natürlich nur auf die § berufen, das mit dem „besonderen Charakter“ interessiert im Normalfall keinen Juristen, da gilt Kopf geht vor Bauch! Wahrscheinlich ist hier noch mit dem Entstehen von ein paar weiteren Neubauten in Ober- und Niederlößnitz zu rechnen, die bereits nach §34 geprüft und genehmigt worden sind, aber noch nicht begonnen wurden.

Foto: D. Lohse

Welche Standorte von Abrissen und Neubauten in Niederlößnitz betrifft mein Nachdenken im Einzelnen? Borstraße 68 ( Abriss eines Landhauses der Firma Gebr. Große und dafür 2 Neubauten, die m.E. eine gute, moderne Gestaltung haben und sich relativ gut einfügen); Borstraße 52 (1 „Bellavista“-Neubau steht auf von Heinrichstr. 2A abgeteiltem Grundstück – das Problem hier, der leerstehende Altbau Heinrichstr. 2A wird durch den eigentlich guten Neubau erdrückt, was bei Nichtverkauf desselben auch früher oder später zum Abbruch führen wird); Dr.-Külz-Str. 5 (der kleine Altbau eines Landhauses hatte Denkmalverdacht, war es aber dann nicht geworden, nach Abbruch entsteht derzeit ein Neubau und ein zweiter muss gemäß der Absteckpfähle vermutet werden); Lößnitzstr. 2 (der Abbruch eines ortstypischen Landhauses ist erfolgt, 1 Mehrfamilien-Doppelhaus mit unpassender Dachform ist fast fertig, ein nicht so gutes Beispiel); Wilhelmstr. 9 (anstelle eines unauffälligen Altbaus steht ein inzwischen bezogener, moderner Neubau mit Flachdach, bei dem mir nur die teilweise Natursteinverkleidung zu auffällig erscheint); Winzerstr. 32 ( Abriss eines relativ großen Altbaus ist erfolgt, der noch nicht begonnene Neubau dürfte sicherlich größer werden).
Ich bin auch als ehemaliger Denkmalpfleger keineswegs ein Vertreter von denen, die sich für ihren Ort wünschen: “Käseglocke“ drüber und nichts geht mehr! Jede Zeit bringt neue Bauten hervor, das ist ein normaler Prozess, aber es sollte in einem bestehenden, für gut befundenen Stadtteil das richtige Maß und möglichst gute Gestaltung gesucht werden. Das Areal von Ober- und Niederlößnitz ist kein Brachland, wo man alles ausprobieren kann. Ja, die Überschrift betrifft Niederlößnitz, wenn ich an einigen Stellen Oberlößnitz mit einbeziehe, liegt das daran, dass die Geschichte und Besiedlungsstruktur der beiden Ortsteile sehr ähnlich ist und für beide mehrere B-Pläne oder eine Erhaltungssatzung vonnöten sind.

Dietrich Lohse

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